FN-Sommerinterview

„Nicht alle Finanzmittel müssen in Beton fließen“

Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez zur Windkraft, dem Bearbeitungsstau in der Verwaltung, der Stimmung im Rathaus und anderen Themen

Von 
Gerd Weimer
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Über die wichtigsten kommunalpolitischen Themen sprachen die Fränkischen Nachrichten mit Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez.

Wertheim. Sommerzeit – Interviewzeit. Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez nimmt im großen FN-Gespräch Stellung zu den wichtigsten Themen der Kommunalpolitik. Der Rathauschef äußert sich zur Windkraft und erklärt, wie sich die Stadt auf den von der Gaskrise geprägten Winter vorbereitet und äußert sich auch zu Berichten über die schlechte Stimmung unter den Rathausmitarbeitern.

Das Thema Windkraft beschäftigt viele Menschen auf den Ortschaften, sei es nun im Wertheimer Osten oder in Nassig, Sonderriet und Dörlesberg. Es stehen die Projekte im Schenkenwald und rund um die Deponie Heegwald im Raum – dazu noch Dertingen. Kommen möglicherweise noch weitere Vorhaben hinzu?

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Markus Herrera Torrez: Die Grundlage für Windkraftprojekte hat sich in den letzten sechs Monaten komplett geändert. Die Bundesregierung hat klar definiert, dass die Windenergie der nationalen Sicherheit dient und sie unerlässlich ist, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Zwei Prozent der bundesweiten Flächen sollen dafür zur Verfügung stehen, zudem möchte das Land die zeitlichen Vorgaben aus Berlin für sich selbst verschärfen. Die für Baden-Württemberg vorgesehene Fläche von 1,8 Prozent soll beispielsweise bis Ende 2027 erreicht werden.

In Baden-Württemberg haben die Regionalverbände jetzt die Aufgabe, geeignete Flächen zu identifizieren.

Herrera Torrez: Richtig. Die Strategiegruppe Windkraft der Stadt hat sich vergangene Woche damit beschäftigt, und nach der Sommerpause wird das Thema im Gemeinderat behandelt. In der Tat ist der Regionalverband die Planungsebene dafür, auch in der Region Heilbronn-Franken müssen die 1,8 Prozent erzielt werden.

Kann es sein, dass der Landkreis Heilbronn nur 0,5 Prozent der Fläche zur Verfügung stellen muss, und der Main-Tauber-Kreis 2,5 Prozent?

Herrera Torrez: Der Regionalverband identifiziert geeignete Flächen mit genügend Windpotenzial und Abstand zur Wohnbebauung. Die Flächen werden im Dialog mit den Kommunen ausgewiesen. Angesichts dieser Entwicklung müssen wir gemeinsam feststellen: In zehn bis 20 Jahren wird es in unserem Land mehr und höhere Windräder geben, als es heute der Fall ist.

Verliert die Stadt möglicherweise die Planungshoheit ? Stand jetzt können die Projekte im Schenkenwald und rund um die Deponie nicht ohne Planungsrecht der Stadt umgesetzt werden. Übernimmt der Regionalverband die Planungshoheit und legt eigenständig Flächen fest, ohne die Zustimmung des Gemeinderats haben zu müssen?

Herrera Torrez: Durch die Gesetzgebung des Bundes und der voraussichtlichen Festlegung des Landes kann das durchaus sein. Ich bin aber der Überzeugung, dass der Regionalverband auch zukünftig gut daran tut, diese Entscheidungen nicht ohne die Kommunen zu treffen. Letztlich werden die Entscheidungen in der Regionalversammlung getroffen. Dort sitzen die Kommunen.

Haben Sie denn als Stadtverwaltung eine konkrete weitere Fläche im Blick?

Herrera Torrez: Nein. Dazu sind wir jetzt in einem viel zu frühen Stadium, da die Gesetzgebung des Landes noch nicht soweit ist. Wir werden nach dem Sommer im Gemeinderat über das weitere Vorgehen beraten. Im Moment gibt es keine Notwendigkeit, die erwähnten Projekte positiv oder negativ zu bescheiden. Es werden sicher auch noch weitere Interessenten kommen.

Werden wir bald auch Solaranlagen auf den Dächern der Altstadt sehen?

Herrera Torrez: Natürlich muss der Denkmalschutz beachtet werden. Es stellt sich zudem die Frage, in welcher Relation der Energiegewinn auf diesen begrenzten Dachflächen im Vergleich zur historischen Bausubstanz und dem Erscheinungsbild des Gesamtensembles „Historische Altstadt“ steht. Ich vermute, dass das Energiepotenzial nicht sehr groß ist. Natürlich sollen auch die Bürgerinnen und Bürger der Altstadt von regenerativer Energie profitieren. Beteiligungen an PV-Freiflächen und Windkraftanlagen sind in meinen Augen aber zielführender. Letztlich wird darüber der Gemeinderat entscheiden.

In der Stadtverwaltung steht eine Reorganisation an, weil Bürgermeister Wolfgang Stein im nächsten Sommer das Rathaus verlassen wird. Wie wird in etwa der neue Zuschnitt der Verwaltung aussehen?

Herrera Torrez: Wenn eine so wichtige und bedeutende Führungskraft wie Wolfgang Stein nach 24 Jahren die Stadtverwaltung verlässt und diese natürlich auch stark geprägt hat, wird es Veränderungen geben –in der Arbeit und in der Zusammensetzung. Wir werden das gut lösen, aber wie die Struktur aussehen wird, kann ich noch nicht sagen. Es laufen Gespräche.

Es gibt einige unbesetzte Stellen in der Verwaltung. Zumindest so viele, dass die Ausgaben für das Personal unter Plan liegen, wie jüngst dem Finanzzwischenbericht zu entnehmen war. Woran liegt das?

Herrera Torrez: Es fällt uns schwerer, offene Stellen zeitnah zu besetzen. Wir schaffen es zwar, aber benötigen mehr Zeit als früher. Das liegt insbesondere an der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, die viel stärker ist als noch vor wenigen Jahren. Alle Arbeitgeber und damit auch der öffentliche Dienst buhlen auf dem Stellenmarkt um immer weniger Fachkräfte.

Die Stadtverwaltung konkurriert mit anderen öffentlichen Verwaltungen in Bayern und Baden-Württemberg und auch mit der Privatwirtschaft, vor allem der Industrie…

Herrera Torrez: Exakt, gerade im technischen Bereich gibt es einen starken Konkurrenzkampf. In Wertheim herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Bei den Industriebetrieben gibt es aber zahlreiche offene Stellen. Ein Beispiel ist die Besetzung der Leitung des Referats Bauordnungsrecht: Wir haben zweimal ausgeschrieben und es gab lediglich einen Bewerber. Trotzdem haben wir die Position jetzt hervorragend besetzt. Aber es hat einfach länger gedauert. Wir müssen unsere Bewerbungsverfahren und die Einstellungskriterien überdenken: Ist es wirklich notwendig, dass der Gemeinderat bei der Besetzung einer Stelle als Sachbearbeiter mit im Boot sitzt? Zudem müssen wir als Arbeitgeber noch attraktiver werden. Wir haben ein Maßnahmenpaket erarbeitet, mit dem wir die Arbeitsplatzsituation verbessern möchten. Die Stadtverwaltung ist gut unterwegs, aber im Vergleich zur freien Wirtschaft haben wir Nachholbedarf.

Nach FN-Informationen ist die Stimmung unter den Mitarbeitern mitunter schlecht, besonders in der Bauverwaltung. Wie gehen Sie als Rathauschef damit um?

Herrera Torrez: Kritik und Unmut sollten so artikuliert werden, dass man daraus Schlüsse ziehen und die Situation verbessern kann. Ich bin überzeugt, dass die Stimmung während der Corona-Pandemie in den meisten Unternehmen schlechter war als vorher, weil der Belegschaft viel gefehlt hat: der persönliche Austausch, die Begegnung am Arbeitsplatz um auch mal Konfliktsituationen direkt miteinander besprechen zu können. Das ist in der Pandemie viel zu kurz gekommen. Es gibt sicher Nachholbedarf, aber dass wir jetzt in einzelnen Bereichen besonders schlechte Stimmung hätten, kann ich nur verneinen.

Das Thema Transparenz hatten wir schon öfter besprochen. Ich habe immer noch den Eindruck, dass die Verwaltung und der Gemeinderat manche Themen unnötigerweise nichtöffentlich behandeln. Warum ändert sich daran kaum etwas?

Herrera Torrez: Da bin ich fundamental anderer Ansicht. Wir beraten heute viel mehr Themen öffentlich vor, als es früher der Fall war. Das gilt auch im Vergleich zum Landkreis und anderen Kommunen: Sie werden weit und breit keine Kommune finden, in der so viele Themen öffentlich vorberaten und entschieden werden. Dadurch kommt auch die Meinungsvielfalt im Gemeinderat zum Ausdruck. Natürlich gibt es Themen, die nichtöffentlich diskutiert werden müssen, weil sie einen sensiblen Inhalt haben, etwa die Belange eines Privatunternehmens betreffen.

Beispiel Messeausschuss. Das Konzept des Volksfestes hat sich totgelaufen. Es fehlen die Impulse, Innovationen. Die Bevölkerung könnte wichtigen Input geben. Warum tagt der Ausschuss hinter verschlossenen Türen?

Herrera Torrez: Weil der Messeausschuss und auch alle fünf Fraktionsvorsitzenden gesagt haben, dass die Sitzung nicht öffentlich stattfinden soll. Der Messeausschuss ist nun auch wirklich ein kleiner Ausschnitt unserer Aktivitäten und ich bin überzeugt, dass die Große Kreisstadt in der Gesamtheit noch nie so viel Transparenz erfahren hat wie in den vergangenen Jahren.

Thema Feuerwehr– eine große Baustelle. Jetzt liegt der Feuerwehrbedarfsplan vor. Bei den Fraktionen hat er für Enttäuschung gesorgt. Offenbar wurde eine konkretere Planung für die künftigen Vorhaben erwartet. Wie stellen Sie sich die Umsetzung der dort skizzierten Projekte vor?

Herrera Torrez: Ich möchte die Diskussion im Gemeinderat nicht vorwegnehmen, die im September stattfinden wird. Wir haben den Bedarfsplan öffentlich eingebracht. Jeder kann ihn lesen, sich darüber Gedanken machen und Rückmeldung geben. In dem Plan sind Notwendigkeiten festgehalten und wir werden im zweiten Schritt prüfen, welche finanziellen Möglichkeiten wir haben. Der Investitionsbedarf ist ohne Zweifel da, aber das bedeutet nicht, dass wir binnen eines Jahres vier neue Feuerwehrgerätehäuser bauen können. Es heißt aber auch nicht, dass es in den nächsten 20 Jahren gar kein neues Feuerwehrgerätehaus geben wird. Wir werden uns Stück für Stück am Feuerwehrbedarfsplan entlanghangeln. Klar beschrieben sind die Investitionsbedarfe in Dertingen, Bettingen, Mondfeld und Sonderriet, wo wir sogar schon weiter sind.

Wann werden die Projekte priorisiert?

Herrera Torrez: Ob das jetzt schon im September erfolgt oder im Rahmen der jeweiligen Haushaltsberatungen und der mittelfristigen Finanzplanung ist noch nicht klar. Es steht ja immer auch die Frage im Raum, wie viel die Verwaltung umsetzen kann.

Wäre es nicht möglich, externe Unterstützung anzufordern, um mehr Projekte auf die Straße zu bekommen?

Herrera Torrez: Das ist sicherlich eine Möglichkeit. Das kostet aber mehr Geld, und man verzichtet gewissermaßen auf eigene Steuerungsmöglichkeiten. Übrigens kann nur die Stadtverwaltung eine ausreichende Beteiligung der betroffenen Parteien sicherstellen. Je mehr man also abgibt, desto weniger Entscheidungen kann man treffen. Zudem sind in Frage kommende Unternehmen auch sehr stark ausgelastet.

Wie könnte man noch mit dem Bearbeitungsstau in der Bauverwaltung umgehen?

Herrera Torrez: In der Tat können nicht alle Wünsche sofort erfüllt werden, auch wegen der knappen Verwaltungsressourcen. Daraus könnte man schließen, dass die Kapazität erhöht werden oder man sich auf das Wesentliche konzentrieren muss. Aber es muss ja nicht alles in Beton fließen. Man könnte die Ressourcen zum Beispiel nutzen, um den Familienpass zu stärken. Oder ist das Geld nicht vielleicht beim Öffentlichen Nahverkehr besser aufgehoben? Jeden Euro, den wir im Baubereich ausgeben, werden wir langfristig nicht in soziale Leistungen investieren können, die unsere Stadt für alle Bürgerinnen und Bürger attraktiver machen.

Wir stehen möglicherweise vor einem Winter, der von extremem Energiemangel geprägt sein wird. Womöglich dreht Putin das Gas ab. Welche Rolle spielt die Stadt bei der Bewältigung der Krise, wenn es wirklich hart auf hart kommt?

Herrera Torrez: Wenn man den Aussagen des Bundeskanzlers und auch denen des Ministerpräsidenten folgt, dann müssen wir uns in den nächsten Jahren auf einen Wohlstandsverlust einstellen. Das ist für mich als Oberbürgermeister natürlich nicht zufriedenstellend, weil ich die Lebenssituation der Menschen verbessern möchte. Sollten Wohlstandsverluste eintreten, müssen wir uns fragen, wer davon in welcher Form betroffen ist. Starke Schultern sollten meiner Ansicht nach mehr tragen. Die Sorge, dass gar kein Gas mehr zur Verfügung steht, ist derzeit nicht die größte Gefahr. Allerdings könnte sich der Gaspreis derart verteuern, dass er für viele nicht mehr bezahlbar ist. Hier erwarte ich von der Bundesregierung die entsprechende Unterstützung für unsere Bürgerinnen und Bürger.

Sie haben im Gemeinderat über die Einrichtung von Wärmeräumen gesprochen.

Herrera Torrez: Wir bereiten uns auf den Ernstfall vor. Wenn es wirklich Menschen geben wird, die nicht mehr heizen können, werden Wärmeräume zur Verfügung stehen.

Wie werden sich die Preise auf den städtischen Haushalt auswirken?

Herrera Torrez: Die öffentlichen Gebäude werden zum großen Teil mit Gas beheizt. Wir prognostizieren für den städtischen Haushalt einen Anstieg der Energiekosten um das Zwei- bis Dreifache. Das geht in die Millionen, es muss also Einsparungen geben. Im Ernstfall kann das bedeuten, dass eine Halle nicht mehr zur Verfügung steht, eine Ortsverwaltung vorübergehend geschlossen bleibt, oder die Beleuchtung im öffentlichen Raum nicht mehr flächendeckend oder zu kürzeren Zeiten verfügbar ist.

Wie sieht es mit dem Hallenbad aus?

Herrera Torrez: Das schauen sich die Stadtwerke an. Es macht wenig Sinn, jetzt im Sommer schon darüber zu entscheiden, ob geöffnet wird oder nicht. Aber es könnte geschlossen bleiben, klar.

Wie bewerten Sie Ihre Leistung bei der Fußball-Stadtmeisterschaft?

Herrera Torrez: Das Abschneiden des FC Eichel ist bei einem Punkt aus vier Spielen in der Vorrunde ausbaufähig. Immerhin wurde dieser Punkt gegen den späteren Turniersieger SV Nassig geholt. Da ist Luft nach oben. Wenn die Mannschaft so abschneidet, kann sich niemand rausnehmen.

Redaktion Reporter Wertheim

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