Urphar/Lindelbach. Sandro und Kinga besuchen die Werkrealschule Urphar-Lindelbach. An diesem Vormittag haben sie Unterricht bei Susanne Keupp. Darauf freuen sich die beiden besonders. Denn jeden Dienstag und Donnerstag hat die Lehrerin für Deutsch, Englisch, Geschichte, Musik und Geografie ihre Hunde mit dabei.
Im Moment liegen die beiden Mischlinge Kimo und Kaya völlig entspannt auf ihrem Platz neben der Tafel. Nur hin und wieder hebt Hündin Kaya mal eine Augenbraue. Einer der Schüler liest den Hunden laut die Geschichte von den drei Schweinchen vor. Alle anderen Schüler haben die Nase auch in ihre Bücher gesteckt. Manche rutschen mit ihren Fingen auf den Textzeilen entlang. Heben sie die Köpfe, geht ihr Blick zuerst zu den Hunden. Ob Kaya und Kimo wohl die Geschichte gefällt? „Der Hund ist ein guter Zuhörer und er nimmt den Kindern die Hemmung beim Lesen“, erklärt Susanne Kneupp.
Besondere Stellung
An der Werkrealschule wird seit dem Schuljahr 2020/21 tiergestützte Pädagogik praktiziert. Die Schule nimmt damit als eine der wenigen Anwender eine besondere Stellung im Kreis ein. In Kindergarteneinrichtungen dagegen ist diese Art der Pädagogik auf dem Vormarsch.
Lehrkörper, Förderverein und nicht zuletzt die Schulleitung der Werkrealschule mussten vorab zustimmen. „Ohne deren Unterstützung wäre das gar nicht möglich gewesen“, sagt Keupp.
Sie selbst hat das Konzept für die tiergestützte Pädagogik an ihrer Schule entwickelt. „Gerade in Hauptschulen ermöglicht die reine Anwesenheit eines Schulhundes ein stressfreies Unterrichtsklima und dient der Verbesserung des sozialen Gefüges in der Klasse“, zitiert die Lehrerin in ihrem Konzept Autorin Andrea Beetz.
Susanne Keupp hat seit über 20 Jahren Hunde. Ihr Kimo ist zehn Jahre alt und stammt aus dem Tierschutz. „Es war für mich schon lange eine Herzenssache, die Tiere und Schüler zusammenzubringen. Als die Möglichkeit bestand, in Wertheim diese Ausbildung zu machen, bin ich sofort aktiv geworden“, erzählt die engagierte Lehrerin. „Kimo ist ein Knuddelbär und ein sehr gemütlicher Hund. Er brachte damit beste Voraussetzungen für die Ausbildung mit“, sagt seine Besitzerin.
Aber nicht jeder Hund eignet sich für diese Aufgaben. Soll er im Unterricht eingesetzt werden, muss er nicht nur ein ausgeglichenes Wesen haben, sondern bestimmte Voraussetzungen mitbringen. Und deshalb absolvierten Frauchen und Hund zuvor die notwendige Schulhundteam-Ausbildung. Etwa ein Jahr dauerte der Kurs vom Kimo und Susanne Keupp bei Hundetrainierin Lara Kleinschmidt und Sozialpädagogin Sabine Lederle. Am Ende bekamen Kimo und sein Frauchen natürlich das Zertifikat. Die Ausbildung bezahlte der Förderverein der Schule. Eine gute Investition, wie sich inzwischen herausgestellt hat.
Tiergestützte Pädagogik
Tiergestützte Pädagogik beinhaltet den Einsatz von Tieren. Durch die Zusammenarbeit mit den Tieren soll das Verhalten von Kindern und Jugendlichen positiv beeinflusst und einen Lernfortschritt erzielt werden.
Die tiergeschützte Pädagogik wird von qualifiziertem Personal durchgeführt. Sie unterscheidet sich vom Ziel her von der tiergestützten Aktivität, der tiergestützten Förderung und der tiergestützten Therapie.
Für den Einsatz eines Schulhundes müssen im Vorfeld verschiedene Bedingungen stimmen. So muss eine Versicherung abgeschlossen werden, ein tierärztliches Gesundheitszeugnis vorliegen, ein Hygieneplan erarbeitet werden und die Zustimmung der Schulleitung vorliegen.
Voraussetzung für den Einsatz ist eine Ausbildung zu einem Schulhund-Lehrkraft-Team. Diese Ausbildung umfasst drei verschiedene Teile, dauert etwa 60 Stunden und endet nach einer schriftlichen Prüfung mit einem Zertifikat. suk/hei
Seit eineinhalb Jahren nun wird Sussanne Keupp zweimal pro Woche von Mischlingsrüde Kimo in die Schule begleitet.
Inzwischen ist Hundedame Kaya dazugekommen, ebenfalls aus dem Tierschutz. Zwar fehlt ihr noch das Zertifikat, sie darf aber am Unterricht der Klasse 5/6 schon mal teilnehmen. „Sie passt vom Wesen sehr gut und lernt sehr viel vom alten Hasen Kimo. Sie will arbeiten, geht freundlich mit den Kindern um und ist völlig entspannt“, so Keupp. Mit ihr will die Pädagogin ab diesem Sommer den „dogik-Kurs“ belegen und das Zertfikat erarbeiten.
Kaya selbst schaut gerade sehr genau hin, was Kimo da treibt. Er steht vor dem Glücksrad und dreht es mit seiner Pfote. Für den Hund gibt es zur Belohnung ein Leckerli, für die Schüler der Kombi-Klasse dafür die entsprechende Aufgabe. Weil der Zeiger auf dem G stehen blieb, müssen sie nun Adjektive aufzählen, die mit diesem Buchstaben beginnen.
Natürlich werden die Tiere auch für die kleine Bewegungspause mit einbezogen. Der Hund schubst den Würfel. Je nach obenliegender Augenzahl machen die Kinder Streck-sprünge, Kniebeugen, Armkreisen, joggen auf der Stelle oder schmeißen die Fersen an den Po. Die Tiere sind eben nicht nur anwesend, sondern werden aktiv in den Unterricht eingebunden, wie beispielsweise im Deutschunterricht. Auch auf Ausflügen sind Kimo und Kaya inzwischen immer mit dabei.
In anderen Fächern werden dann auch schon mal Hundekekse gebacken. Der Erlös aus dem Verkauf kam dem Theodora-Brandt-Tierheim in Wertheim zugute.
Im Sommer, falls die Pandemie es ermöglicht, will Susanne Keupp mit den Schülern der Kombi-Klasse das Tierheim besuchen. Als sie das laut vor der Klasse erzählt, schnellt sofort Sandros Finger nach oben: „Darf ich mir dann einen Hund dort holen?“, fragt der aufgeweckte Junge.
Inzwischen gibt es erste zaghafte Versuche, die tiergestützte Pädagogik auch an anderen Schulen in der nähern Umgebung einzusetzen. Gemeinsam mit der Schulsozialarbeiterin Elena Wenzel hat Susanne Keupp das Projekt „Emotionale Kompetenz“ entwickelt. In kleinen Gruppen lernen die Kinder der Grundschule in Bestenheid das Ausdrucksverhalten des Hundes und darüber auch das der Menschen kennen. An der Grundschule in Dertingen wird es in Kürze um das Thema „Freunde finden“ gehen. Natürlich sind Kaya und Kimo dann mit dabei. Der Umgang mit dem Hund soll bei den Grundschülern Fähigkeiten ausbilden und stärken. „Mein Plan für die Zukunft ist es, mit meinen Hunden an die Grundschulen zu gehen und je nach Bedarf zu verschiedenen Sachgebieten die tiergestützte Pädagogik anzubieten“, erläutert Susanne Keupp.
Immer informiert sein
Kein Stress für die Tiere
Doch jetzt muss die Lehrerin erst einmal wieder ihre Schüler zur Ordnung rufen. Sie haben sich alle um den Lagerplatz der Hunde gruppiert. Eine der aufgestellten Regeln besagt, dass immer nur ein Schüler oder eine Schülerin bei den Hunden sein soll. Keupp schaut, dass der Stress für die Tiere so gering wie möglich ist. Dazu gehört auch, dass die Tiere nur stundenweise in der Schule sind.
Berührungsängste haben die Kinder nicht. Im Gegenteil, oft muss Susanne Keupp sie bremsen. Wie Kinga haben einige von ihnen selbst Hunde zuhause, sind also den Umgang mit den Tieren gewöhnt.
„Ich finde es cool, wenn die Hunde da sind. Da macht es Spaß, etwas zu lernen“, sagt Zoe. Am meisten Freude bereiten ihr die Futterrunden – dabei geht der Hund von einem Schüler zum anderen und holt sich Leckerli ab.
„Mit den Hunden im Unterricht ist es toll. Wenn sie da sind, ist es irgendwie entspannter“, sagt Johanna. „Wenn man mit den Hunden raus geht, muss man keinen Unterricht machen“, ergänzt Leon und alle lachen.
„Die Kollegen merken manchmal gar nicht, dass die Hunde da sind, weil sie ihren Platz unter meinem Tisch haben und total ruhig sind“, sagt Keupp. Natürlich haben die beiden auch im Lehrerzimmer so gut wie jedes Herz erobert.
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