Rettungsdienst - Neue Helfer-vor-Ort-Gruppe seit wenigen Monaten aktiv / Bereits zu zehn Einsätzen gerufen / Häufigster Grund für Alarm: Herz-Kreislauf-Probleme

Lindelbach hat Helfer-vor-Ort-Gruppe

Was tun in einem Notfall, wenn der Rettungswagen noch nicht da ist? In Lindelbach können die Bewohner aufatmen. Hier gibt es seit wenigen Monaten die Helfer vor Ort.

Von 
Heike Barowski
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Die jüngste Helfer-vor-Ort-Gruppe im DRK-Kreisverband Tauberbischofsheim ist in Lindelbach zu Hause. Mit dabei sind (von links) Wolfgang Flegler, Laila Prokopp und Judith Flegler. Nicht auf dem Foto, aber genauso dazu gehört auch Tobias Flegler. © Heike Barowski

Lindelbach/Bettingen. An diesem Abend hätten Laila Prokopp, Wolfgang und Judith Flegler eigentlich frei – sofern kein Notruf eintrifft. Doch sie haben dasich aufgemacht, um sich mit Kreisbereitschaftsleiter Marco Genise in den Räumen der DRK-Ortsgruppe in Bettingen zu treffen. Normalerweise finden Gespräche und Weiterbildungen derzeit nur online statt. Aber es gibt einiges zu besprechen. Denn die drei bilden gemeinsam mit Tobias Flegler die jüngste Helfer-vor-Ort-Gruppe, die nun im Wertheimer Ortsteil Lindelbach ehrenamtlich im Einsatz ist.

Die Helfer vor Ort im DRK-Kreisverband Tauberbischofsheim

Helfer vor Ort (HvO) sind ausgebildete ehrenamtliche Ersthelfer, die direkt in der Nachbarschaft tätig werden. HvO kommen zum Einsatz, wenn sie den Ort eines Notfalls schneller erreichen können als der Rettungsdienst oder wenn das nächste Rettungsfahrzeug noch im Einsatz ist. Die Ehrenamtlichen übernehmen die Versorgung des Patienten, bis der Rettungsdienst eintrifft.

Helfer vor Ort kann werden, wer einen Erste-Hilfe-Kurs, eine Ausbildung zum Sanitäter und eine spezielle Ausbildung zum Helfer vor Ort absolviert hat.

Die ersten HvO-Gruppen des DRK-Kreisverbands Tauberbischofsheim sind im Dezember 1997 in Freudenberg und Sonderriet gegründet worden.

Derzeit gibt es insgesamt 13 HvO-Gruppen, eine weitere befindet sich in Gründung.

Im Wertheimer Stadtgebiet gibt es HvO-Gruppen in Bettingen, Lindelbach, Nassig, Sachsenhausen und Sonderriet.

Insgesamt sind 68 Helferinnen und Helfer als HvO aktiv, in den fünf Wertheimer Gruppen sind es 27 Helferinnen und Helfer.

Einmal pro Monat findet ein Übungsabend statt, in der Regel gemeinsam mit der jeweiligen DRK-Ortsgruppe.

Mehr Informationen unter: www.drk-baden-wuerttemberg.de/angebote oder unter www.drk-tbb.de im Internet. hei

„Ich weiß ja, wie lange die Rettungskräfte des DRK brauchen, um von Wertheim bis nach Lindelbach zu kommen. Deswegen war es mir wichtig, dass die Menschen um mich herum im Ernstfall schnellstmöglich Hilfe bekommen“, sagt Laila Prokopp, die wie die anderen der Gruppe in Lindelbach wohnt. Die 21-Jährige arbeitet in Wertheim auf der Rettungswache des DRK. Sie absolvierte dort ihr Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), war als Rettungssanitäterin tätig und befindet sich gerade in der Ausbildung zur Notfallsanitäterin. Eigentlich entschloss sich Laila Prokopp Politikwissenschaften zu studieren. Doch es kam anders. „Ich wollte schon immer wissen, was im Rettungswagen passiert, wenn die Türen zu sind. Jetzt bin ich halt hängengeblieben“, sagt sie und lacht. Das Helfen liegt ihr im Blut.

Seit 43 Jahren aktiv

Genau wie Wolfgang Flegler. Der gelernte Metzger ist seit 43 Jahren in der DRK-Ortsgruppe Bettingen als Sanitäter aktiv. Sein Vater, selbst früher Mitglied, habe ihn von der Richtigkeit überzeugt. Und wenn Wolfgang Flegler sich entschließt, etwas zu machen, dann richtig. „Ich steh für das DRK und ich leb’ für das DRK“, sagt er voller Inbrunst. Etliche Dienste hat er absolviert, beispielsweise auf dem Dertinger Weinfest, bei Burg-Veranstaltungen, auf dem Weinblütenfest in Königheim oder zum Faschingsumzug in Assamstadt. Inzwischen haben seine beiden Kinder Judith und Tobias nachgezogen und sind ebenfalls im DRK-Ortsverband und als Helfer vor Ort (HvO) organisiert.

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Tobias Flegler ist 27 Jahre alt, Chemiker, derzeit im Promotionsstudium und seit 2012 im DRK. „Ich denke, eine gewisse Grundmotivation zu helfen, ist bei jedem im DRK vorhanden. Mir geht es auch darum, etwas zur Dorfgemeinschaft beizutragen. Außerdem halte ich es für selbstverständlich, wenn man sowieso in der Nähe ist und helfen könnte, auch so gut wie möglich zu helfen. Als HvO wird man auf genau diese potenziell hilfsbedürftigen Menschen hingewiesen“, sagt Tobias Flegler. Wolfgangs Tochter Judith ist 22 Jahre alt. „Nach dem Fachabitur wusste ich nicht so recht, was ich machen will. Dann hat mein Bruder mir vorgeschlagen, ein FSJ beim DRK-Kreisverband inklusive Sanitätsausbildung zu machen“, erinnert sie sich. Genau wie ihr Vater und ihr Bruder trat sie vor Jahren in den DRK-Ortsverein Bettingen ein. Zur Zeit durchläuft sie eine Ausbildung an der Wertheimer Rotkreuzklinik zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Seit wenigen Tagen ist sie im OP tätig. Als mit Judith die dritte aus der Flegler-Familie Mitglied der DRK-Ortsgruppe wurde, kam logischerweise der Gedanke an eine eigene Helfer-vor-Ort-Gruppe in Lindelbach auf.

Im Januar 2021 war es dann soweit. In Lindelbach wurde die jüngste HvO-Gruppe des Kreisverbands Tauberbischofsheim gegründet. Nur wenige Tage später folgte der erste Einsatz: Im Ort war eine Person gestürzt. Der Notarzt wurde alarmiert und somit auch die HvO-Gruppe. Seit der Gründung rückte die HvO-Gruppe zehn Mal zu einem Einsatz aus. Nicht immer sind dann alle vier Helfer vor Ort.

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Wie Tobias Flegler mitteilt, war der bisher häufigste Grund für den Einsatz ein Herz-Kreislauf-Notfall. Übrigens erfolgte die Alarmierung meist zwischen 7 und 12 Uhr. Zwischen 0 und 7 Uhr musste bisher noch keiner der Helfer raus.

Noch gut erinnert sich Wolfgang Flegler an einen Einsatz, der erst vor kurzem nötig war: ein Herzinfarkt. Den musste Vater Flegler allerdings allein bewältigen. Die anderen drei Helfer waren zu diesem Zeitpunkt beruflich eingebunden.

„Gerade diese Einsätze, auf denen man allein vor Ort ist, werden oft unterschätzt“, sagt Kreisbereitschaftsleiter Marco Genise. Da kann es schon einmal sein, dass der Helfer durchaus 20 Minuten Wiederbelebungsmaßnahmen durchführen muss, bis der Notarzt und der Rettungswagen am Einsatzort sind. Laila Prokopp erklärt die Situation: Während in Mannheim beispielsweise auf zwei Quadratkilometern Stadtfläche etwa 25 Rettungswagen kommen, sind es im Kreisverband Tauberbischofsheim (bis Boxberg, Großrinderfeld, Freudenberg) lediglich drei. „Da kann es schon mal sein, dass man auf einen Rettungswagen aus Würzburg oder Bad Mergentheim warten muss“, so Laila Prokopp. „Im ländlichen Raum haben wir das Problem, dass nicht viele Rettungswagen vorhanden sind – auf die Einwohnerzahl zwar genügend – aber hier macht sich die Fläche bemerkbar“, fügt Genise an.

Über die App alarmiert

Wurden früher Funkmeldeempfänger für die Alarmierung der Rettungskräfte verwendet, so nutzt heute jeder Helfer die wesentlich effizientere App auf dem Handy. Alle Informationen bis hin zum genauen Einsatzort und einem Navigationsleitsystem sind sofort abrufbar, inklusive der Angabe woher der Rettungswagen kommt.

Die Lage vor Ort einschätzen, Vitalzeichen des Betroffenen feststellen (Puls, Blutdruck, Sauerstoffsättigung, Atmung, Allgemeinzustand), Wundversorgung vornehmen und eine kleine Anamnese erstellen sowie Erste Hilfe leisten– das alles gehört zu den Aufgaben der Helfer vor Ort und erleichtert die Arbeit der dann eintreffenden Rettungskräfte immens.

„Dazu gehört auch das Beruhigen der Angehörigen, damit der Stress aus der Situation genommen wird. Die Leute spüren dann, dass wir genau wissen, was zu tun ist“, sagt Laila Prokopp. Und Judith Flegler ergänzt: „Deshalb ist es wirklich hilfreich, wenn man als Helfer nicht allein im Einsatz ist. So kann sich ein Helfer um den Patienten kümmern und der andere mit den Angehörigen sprechen.“

Geht der Alarm los, reagieren die Helfer innerhalb einer Minute, wie Tobias Flegler statistisch festgehalten hat. Natürlich steht der Rucksack jederzeit griffbereit, damit die Helfer ohne Verzögerung sofort zum Einsatz aufbrechen können. Etwa 20 Kilogramm wiegt der Rucksack. Er ist befüllt mit allem, was für lebensrettende Sofortmaßnahmen nötig ist: Defibrillator, Beatmungsbeutel mit Masken, Absaugvorrichtung, um die Atemwege wieder frei zu bekommen und natürlich Schienen und Verbandsmaterial.

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Weil es in Lindelbach an zwei öffentlichen Stellen (Kirche und Gemeinschaftsraum) Defibrillatoren gibt, sind die in diesem Fall nicht Teil der Ausrüstung, sondern werden auf dem Weg zum Patienten von dort mitgenommen.

Der Einsatz der HvO erfolgt immer nur im eigenen Wohnbereich. „Das gestaltet sich manchmal etwas schwierig, weil man ja die Menschen kennt“, so Genise. „Oft erheben die Leute einen größeren Anspruch auf die psychische Komponente. Da fehlt manchmal die notwendige Distanz. Schnell heißt es ’Nimm mich mal in den Arm’“, erklärt Laila Prokopp. Außerdem stehe man selber etwas mehr unter Druck, weil man die Menschen kennt oder sogar verwandtschaftliche Verhältnisse bestehen, fügt Judith an.

Psychischen Druck meiden

Nach so einem Einsatz heißt es dann: Protokolle ausfüllen. „Klar wird dann über den Einsatz noch mal gesprochen“, meint Judith. „Bei schweren Einsätzen werden gezielt Gespräche angeboten“, erklärt der Kreisbereitschaftsleiter. Mit diesen Gesprächen wolle man den psychischen Druck von den Helfern nehmen und verhindern, dass sich eine Rambo-Mentalität breit macht – nach dem Motto: Das macht mir alles nichts aus. Vom DRK wird auf Verarbeitung gesetzt und das werde von den Helfern gut angenommen. Auf die Frage nach den notwendigen Eigenschaften, die ein HvO mitbringen muss, sind sich alle einig: Hilfsbereitschaft sei enorm wichtig. So führt Judith Flegler an, dass man nach einem 8-Stunden-Arbeitstag durchaus bereit sein muss, noch zu einem Einsatz zu fahren. Empathie für die Angehörigen und Betroffenen, Spaß an der Ersten Hilfe, keine Berührungsängste sind weitere Punkte, die aufgezählt werden. „Und die familiäre Situation muss passen“, ergänzt Laila Prokopp.

Die Eignung für die Aufgabe sei sehr wichtig, weil man durchaus auch mal allein eine schwierige Situation meistern müsse, so Genise. Da sind gefestigte Persönlichkeiten gefragt. Kommt dann der Betroffene unbeschadet aus der Situation heraus, ist das am Ende immer der schönste Lohn für die ehrenamtlich arbeitenden Helfer vor Ort.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Wertheim

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