Besuchsdienst

Malteser-Hilfsangebot: Kontakte pflegen die Seele

Der Gesprächsstoff ist Nikolaus Hildenbrand und Hans Kimmel noch nie ausgegangen. Die beiden Männer treffen sich einmal pro Woche zu einem Spaziergang. Zusammengebracht hat sie der Besuchsdienst der Malteser.

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Katharina Buchholz
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Nikolaus Hildenbrand (links) und Hans Kimmel flanieren die Willy-Brandt-Straße entlang. Auf ihrem Weg diskutieren die Männer, die der Besuchsdienst der Malteser zusammengebracht hat, über Baugewerbe, Nachhaltigkeit und das Leben. © Buchholz

Wertheim. Strahlend weiß leuchten die Kirschblüten in der Frühlingssonne. Zwei Männer stehen auf dem Gehweg in der Willy-Brandt-Straße im Stadtteil Reinhardshof und schauen zu dem Baum auf der anderen Straßenseite. „Können Sie das erkennen, dass der Baum blüht?“, fragt der jüngere der beiden, Nikolaus Hildenbrand, den Älteren. „Ich sehe, dass es da hell ist. Also weiß ich, das kann nur die Blüte sein“, antwortet Hans Kimmel.

Kimmel ist nahezu blind. Eine dunkle Sonnenbrille schützt die Augen des 93-Jährigen. Mit dem Gehstock tastet er nach Hindernissen. Hildenbrand und Kimmel unternehmen gerade ihren wöchentlichen Spaziergang. Erst laufen sie die Straße runter und wieder rauf, dann kehren sie in das Café im nahe gelegenen Supermarkt ein. Seit Ende August des vergangenen Jahres kennen sich die Männer. Zusammengebracht hat sie der Besuchsdienst der Wertheimer Malteser.

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„Die Idee, einen Besuchsdienst zu gründen, bestand schon seit einem Jahr und länger“, blickt die Ortsbeauftragte der Malteser-Gliederung Wertheim, Meike Diehm, zurück. Doch erst mit der Gründung der neuen Gliederung im November konnte auch der Besuchsdienst starten. Treibende Kraft hinter dem Angebot sind Gabriele Gauger und ihr Mann Olaf Nadler. Beide engagieren sich seit Jahren im Hospizdienst der Malteser und sind zudem im Apothekendienst tätig. „Dabei haben wir festgestellt, wie viele einsame Menschen es gibt. Bei manch einem kommt man gar nicht von der Tür weg“, erzählt Gauger.

Diese Lücke wollen die Malteser mit ihrem Besuchsdienst schließen. In neun Fällen klappt dies bereits. Ein- bis zweimal pro Woche treffen sich Besucher und Besuchte. Wie sie die gemeinsamen Stunden – zwei sollten es höchstens sein – verbringen, entscheiden die Paare selbst. „Manchmal geht es darum, jemanden zum Arzt oder zum Einkaufen zu begleiten. Andere spielen ein Brettspiel, trinken eine Tasse Kaffee, gehen spazieren oder zum Friedhof“, nennt Nadler einige Beispiele. Möglich sei aber auch, dass die Ehrenamtlichen für ihre Schützlinge einkaufen gehen oder sie ins Theater begleiten. Grenzen finde das Angebot allerdings in pflegerischen Tätigkeiten. „Das überlassen wir den Pflegediensten. Wir sind nur für die Seele da“, betont Gabriele Gauger, die mit ihrem Mann die Kontakte zwischen denn Helfenden und Hilfesuchenden herstellt. Nach getrennten Erstgesprächen findet jeweils das gegenseitige Beschnuppern statt. „Ob es passt, weißt du erst, wenn besucht wird“, sagt Nadler. Bisher haben Gauger und Nadler jedoch ein gutes Händchen bewiesen und die richtigen Menschen zusammengebracht.

Neues Angebot

Besuchsdienst: Gabriele Gauger sucht als Organisatorin des neuen Besuchsdiensts weitere ehrenamtliche Helfer sowie Menschen, die gern Besuch empfangen würden. Angesprochen sind nicht nur ältere Menschen. Eine Mitgliedschaft bei den Maltesern ist keine Voraussetzung, um am Besuchsdienst teilzunehmen, auch Religion oder Konfession spielen keine Rolle.

Die Helfer werden in einem Einführungskurs auf ihren Dienst vorbereitet. Sie sind während ihres Einsatzes versichert und erhalten eventuell anfallende Fahrtkosten erstattet. Bei regelmäßigen Gesprächsrunden mit den ehrenamtlichen Leitungskräften können sie sich über ihren Dienst austauschen.

Hilfesuchende – angesprochen sind Menschen aus dem gesamten Gebiet der Alten Grafschaft Wertheim – können den Besuchsdienst kostenlos in Anspruch nehmen. Die Malteser Gliederung freut sich über Spenden.

Interessierte wenden sich an Gaby Gauger und Olaf Nadler unter Telefon 01511/8931411 oder per E-Mail an besuchsdienst.wertheim@malteser.org.

Besuchsdienst im Krankenhaus: Bis zum Beginn der Corona-Pandemie gab es unter dem Dach der Malteser einen Besuchsdienst in der Rot-Kreuz-Klinik, der aufgrund des Infektionsschutzes eingestellt wurde. Dabei gingen Ehrenamtliche durch die Zimmer und besuchten die Kranken für ein kurzes Gespräch oder boten Hilfe an. Dieses Angebot möchten die Ehrenamtlichen wieder zum Leben erwecken. Im Moment sind sie auf der Suche nach einem neuen Organisator.

Hospiz- und Palliativdienst St. Veronika: Der Hospizdienst wird im Gegensatz zum Besuchsdienst von hauptamtlichen Mitarbeitern organisiert. Die Besuche übernehmen unter anderem Ehrenamtliche, die jedoch eine umfangreiche Ausbildung durchlaufen, um auf die Herausforderungen der Begleitung von Sterbenskranken vorbereitet zu sein. Die Ehrenamtlichen besuchen die Kranken sowohl im Krankenhaus als auch zuhause. kabu

„Bei Herrn Kimmel war klar, dass er jemanden braucht, der mit ihm mithalten kann“, beschreibt Nadler. Kimmel ist nicht nur wegen seiner Statur eine sehr präsente Erscheinung. Vor seinem Ruhestand war der 93-Jährige als Architekt und Bauingenieur auf den großen Baustellen der Republik und darüber hinaus unterwegs. „Ich musste mich durchsetzen, und das hab ich gemacht“, blickt er zurück.

In Nikolaus Hildenbrand hat er einen Gesprächspartner, mit dem er seine Leidenschaft zum Baugewerbe teilt. Der 58-Jährige Unternehmer und Wirtschaftsingenieur unterrichtet als Dozent an der Dualen Hochschule Mosbach angehende Bauingenieure. Sein großes Thema ist Nachhaltigkeit. „Herr Kimmel, auf der Baumesse in München musste ich an Sie denken“, beginnt er das Gespräch. Kimmel bleibt stehen und wendet sich Hildenbrand zu. Nun folgt einer der kleinen Unterhaltungen, die beide Männer sehr schätzen. „Da hat tatsächlich ein Unternehmen versucht zu erklären, dass Beton nachhaltig ist. Ihre Meinung dazu würde mich interessieren“,wendet sich Hildenbrand an Kimmel. Der überlegt, dann antwortet er. Hildenbrand hört zu, hakt nach. Nach einigen Minuten setzen sie ihren Weg fort. „Für uns ist das eine Win-Win-Situation. Ich profitiere oft von seinem Wissen. Er kennt sich aus“, erklärt der Ebenheider später. „Es ist eine schöne Abwechslung“, sagt Kimmel über die gemeinsame Zeit. „Mit ihm kann ich über das Bauwesen sprechen. Die Frau Plewe ist da nicht so drin.“

Gisela Plewe ist Kimmels Frau. Sie genießt die Stunden ohne ihren Mann. „Da mache ich etwas für mich höchstpersönlich. Ich unternehme eine Wanderung ganz in meinem Tempo“, erzählt sie. Das Ehepaar ist zwar fast täglich gemeinsam unterwegs, aufgrund von Kimmels Sehbehinderung dürfen die Wege dabei aber nicht über Stock und Stein führen. „Der Besuchsdienst soll auch die Angehörigen entlasten“, sagt Meike Diehm.

Etwa ein dutzend Ehrenamtliche engagieren sich derzeit für das Angebot, wobei die meisten von ihnen ursprünglich aus der Hospizbegleitung kommen. „30 bis 40 Ehrenamtliche wären wünschenswert“, blickt der Pressebeauftragte der Malteser, Peter Riffenach, in die Zukunft des Besuchsdienstes. „Für mich ist das ein schöner Ausgleich. Würde ich nicht mit Herrn Kimmel spazieren gehen, säße ich jetzt am Schreibtisch. So komme ich aus meiner kleinen Welt raus“, beschreibt Nikolaus Hildenbrand seine Motivation.

Kuchen zum Abschluss

Apropos Motivation: Der krönende Abschluss der Treffen zwischen Kimmel und Hildenbrand ist ein Stück Kuchen. „Gehen Sie mal 45 Grad nach links, da kommt ein Auto“, sagt Hildenbrand zu Kimmel. Für den dreifachen Familienvater war es nicht schwer, sich auf seinen blinden Begleiter einzustellen. „Eine Hupe wäre gut für mich. Geh weg, ich komme“, kommentiert Kimmel die Situation und lacht. Bei Freunden und Bekannten ist er für seinen Humor bekannt. Im Café angekommen, freuen sich die Männer, dass ihr Stammplatz heute frei ist. Dann plaudern sie noch eine Weile über Bau, Politik und die wunderbar blühenden Kirschbäume, die Kimmel von seinem Wohnzimmerfenster aus nicht mehr sehen kann. „Aber ich weiß ja, dass sie da sind“, sagt er.

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