Wertheim. Grüne Wiesen, schroffe Felsen und reißende Gebirgsbäche: „Wir lieben die Berge und das Wandern“, sagt Eva Henneberger über sich und ihren Mann Heinrich (Namen geändert). Zuletzt besuchten die beiden Senioren das Salzburger Land, das immer ihr liebstes Ziel gewesen war. Das war vor der Pandemie.
Ihre nächste Reise plant Eva Henneberger für sich allein. Heinrich ist mittlerweile dement. „Mit ihm zusammen ist es leider nicht mehr möglich. Der Ortswechsel würde ihn zu sehr verwirren. Außerdem müsste ich permanent nach ihm sehen.“ Auch zuhause ist Eva immer um Heinrich. Gegen 4 Uhr am Morgen wird sie wach, dann muss ihr Mann zur Toilette. Später ist sie ihm beim Waschen behilflich, richtet das Frühstück und legt die Zeitung zurecht, „Die liest er, dann wir sprechen wir darüber. Ich versuche, sein Gehirn mobil zu halten.“ Im Laufe des Tages erinnert sie ihn an den Toilettengang, ermuntert ihn, sich aufs Sofa zu legen. Sie gehen ein paar Schritte.
Verschnaufpause
Heute hat Eva Zeit durchzuatmen. Zweimal pro Woche fährt morgens das Taxi vor und holt Heinrich ab. Er verbringt den Tag in der Tagespflege. Eva sitzt auf dem gepolsterten Stuhl im Esszimmer des Hauses. Sie sieht hinaus in ihren kleinen Garten, in dem es gerade Frühling wird.
Im Moment, erzählt Eva Henneberger, liege sie im Klinsch mit der Pflegekasse. „Mein Mann braucht einen höheren Pflegegrad. Er hat Grad drei, das reicht aber nicht mehr.“ Bei einem höheren Pflegegrad könnte sich das Ehepaar mehr externe Hilfe leisten. Tagespflege, Verhinderungspflege und auch die Unterstützung durch den Pflegedienst, der einmal pro Woche kommt – die Kosten für all das summieren sich. „Wir kriegen es hin. Wir müssen nur gut überlegen. So komfortabel wie es von der Politik dargestellt wird, ist die finanzielle Unterstützung nicht.“
Geld für die Pflege
Ambulante Pflegesachleistungen: Mobile Pflegedienste unterstützen die Angehörigen bei der häuslichen Pflege. Das Angebot reicht von Unterstützung im Haushalt über Körperpflege bis zu pflegerischen Betreuungsmaßnahmen. Dem Pflegegrad eins steht hierfür der sogenannte Entlastungsbeitrag von 125 Euro pro Monat zur Verfügung. Die Leistungen von Pflegegrad zwei bis fünf reichen von 724 Euro bis 2095 Euro. Werden diese Beträge nicht voll ausgeschöpft, erhalten Pflegebedürftige anteilig Pflegegeld.
Verhinderungspflege: Für Pflegebedürftige (Pflegegrad zwei bis fünf) übernimmt die Pflegeversicherung für längstens sechs Wochen pro Jahr die Kosten der Ersatzpflege, wenn die private Pflegeperson im Urlaub ist oder die Pflege etwa wegen Krankheit nicht übernehmen kann. Dafür stehen bis zu 1612 Euro pro Jahr zur Verfügung. Zusätzlich können bis zu 806 Euro aus den Mitteln für die Kurzzeitpflege für die Verhinderungspflege eingesetzt werden, wenn die Leistungen noch nicht aufgebraucht sind.
Kurzzeitpflege: Ab Pflegegrad zwei haben Pflegebedürftige Anspruch auf Kurzzeitpflege, wenn sie für bis zu acht Wochen pro Jahr zeitweise nicht, noch nicht oder nicht im erforderlichen Umfang zuhause oder teilstationär gepflegt werden können. Die Höhe der Leistung beträgt bis zu 1774 Euro pro Jahr. Pflegebedürftige mit dem Pflegegrad eins können den Entlastungsbetrag in Höhe von bis zu 125 Euro pro Monat, also bis zu 1500 Euro pro Jahr, einsetzen. Auch Pflegebedürftige anderer Pflegegrade können für den Eigenanteil der Kurzzeitpflege zusätzlich den Entlastungsbetrag nutzen. Außerdem können Gelder aus der Verhinderungspflege eingesetzt werden, so dass insgesamt bis zu 3386 Euro zur Verfügung stehen.
Tagespflege: Durch dieses Angebot können Angehörige in der häuslichen Pflege entlastet werden, indem der Pflegebedürftige beispielsweise vereinbarte Tage in der Woche eine Tagespflegeeinrichtung besucht. Je nach Pflegegrad stehen 689 (Grad zwei) bis 1995 Euro (Grad fünf) zur Verfügung. Zusätzlich können ambulante Pflegesachleistungen und/oder (anteilig) Pflegegeld ohne Kürzung in Anspruch genommen werden.
Daneben gewährt die Pflegekasse weitere Unterstützung: Etwa wenn eine Wohnung wegen der Pflegebedürftigkeit umgebaut werden muss (bis zu 4000 Euro pro Maßnahme). Technische Hilfsmittel (Beispiel Pflegebett, Rollstuhl) werden in der Regel vom Arzt verordnet oder vom medizinischen Dienst im Gutachten empfohlen. Weiterhin werden die Kosten für Verbrauchsprodukte (Handschuhe, Desinfektionsmittel) mit bis zu 40 Euro monatlich erstattet. kabu
Quelle: Bundesgesundheitsministerium
Eva ist bewusst, dass die Not bei anderen größer ist. Nach den Zahlen des Statistischen Landesamts bezogen im Jahr 2021 500 Menschen im Main-Tauber-Kreis „Hilfen zur Pflege“, 40 860 Betroffene waren es landesweit. Das Sozialamt übernimmt dann die Kosten für die Pflege, die über den Beitrag der Pflegekasse hinausgehen. Wer „Hilfen zur Pflege“ bezieht, darf höchstens 10 000 Euro Barvermögen besitzen. Eine selbst bewohnte Immobile gehört zum Schonvermögen, wenn sie angemessen groß ist.
Das Haus der Hennebergers misst 100 Quadratmeter. Es ist vollgepackt ist mit Erinnerungsstücken. „Mein Mann hat alles gesammelt“, bekennt Eva. Seit er dement ist, verlegt er viel. Irgendwann, befürchtet Eva, wird sie Heinrich ins Pflegeheim geben müssen. „Wenn er ständig weglaufen sollte. Wenn er nicht mehr weiß, wo er hier ist. Oder wenn ich nicht mehr kann.“ Etwa 4400 Euro pro Monat würde das Einzelzimmer im Pflegeheim kosten, hat sich die 83-Jährige ausgerechnet. „Um das Heim zu finanzieren, wäre es ein Schritt, das Haus zu verkaufen.“ Im Moment könne sie sich noch nicht vorstellen, ihr Haus – oder besser den Garten – zurückzulassen. „Ich habe 28 Rosenstöcke. Zwei kommen noch dazu, dann ist Schluss.“
Kinder sollten erben
Der Gedanke daran, das Haus abgeben zu müssen, um die Pflege zu bezahlen, erfüllt die Wertheimerin mit Bitterkeit. Jahrzehntelang hatte das Paar ihr Anwesen gepflegt. Monat für Monat den Kredit abbezahlt. „Im Alter musst du das dann hergeben. Eigentlich sollten unsere Kinder das Haus erben. Das war der Gedanke.“ Der Plan für das Alter des Paares war auch ein anderer. Sie wollten ihre letzten Jahre mit gemeinsamen Reisen verbringen. Jetzt denkt Eva darüber nach, wie sie für einen Urlaub allein den Heimaufenthalt ihres Mannes am besten organisieren und finanzieren kann. Sie schiebt Gelder aus den verschiedenen Töpfen der Pflegekasse hin- und her. „Das Problem ist, dass er in Folge eines Krankenhausaufenthalts zwölf Tage in Kurzzeitpflege musste.“ Diese Tage fraßen einen großen Teil der Budgets auf. „Um meine Tochter zu besuchen – sie lebt in der Großstadt, mehrere Stunden entfernt – brauche ich mindestens sechs Tage Betreuung, schließlich muss ich meinen Mann ja vor der Reise ins Heim bringen und nach der Rückkehr wieder abholen. Das Geld reicht aber nur noch für vier“, erklärt die 83-Jährige ihr Dilemma. „Ich werde den Rest selbst bezahlen. Mein Mann und ich haben zum Glück gute Renten. Ansonsten könnten wir uns das nicht leisten.“ Dabei sei ein Tapetenwechsel für ihre eigene Gesundheit wichtig, sagt die Wertheimerin. „Ich bin hier wie angebunden. Wenn ich überlege, wie viele Jahre ich noch habe – mein Ziel sind zehn. Das ist doch nicht mehr lang.“ Ab und zu gelingt es Eva, sich Freiraum zu schaffen. Einmal pro Woche kommt eine Ehrenamtliche und beschäftigt sich mit Heinrich. „Sie spielen Mensch-ärgere-dich-nicht oder sprechen miteinander. Auch eine gute Bekannte übernimmt ab und zu die Betreuung. Neulich konnte ich deshalb zu einer Aufführung der Landesbühne. Das tat gut.“ Von anderen Weggefährten ist Eva enttäuscht. „Ich erwarte gar keine konkrete Hilfe. Nur kleine Gesten, dass man zum Beispiel aufrichtig fragt, ob alles in Ordnung ist.“
Und dann ist da in Evas Hinterkopf auch eine Angst: Was passiert, wenn sie später selbst auf fremde Hilfe angewiesen und der Erlös aus dem Hausverkauf aufgebraucht ist? Muss sie dann zum Sozialamt? Diesen Gedanken schiebt die 83-Jährige beiseite. Im Sommer möchte sie sich noch einen Traum verwirklichen: Endlich die Berge wiedersehen.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/orte/wertheim_artikel,-wertheim-wertheimerin-berichtet-ueber-herausforderungen-der-pflege-_arid,2073977.html