Wertheim. Mal eben Dinge für das tägliche Leben besorgen – für Bewohner der Wertheimer Altstadt und vieler Ortschaften ist das kaum möglich. In den wenigsten Dörfern der Großen Kreisstadt gibt es noch einen Einzelhändler, und in der Stadt sieht es seit der Schließung der Norma-Filiale nicht besser aus.
Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez hat bei verschiedenen Gelegenheiten darauf hingewiesen, dass die Kaufland-Filiale gut mit dem Bus zu erreichen ist, doch den Einkauf mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause zu bringen, ist schwierig – vor allem für ältere Mitbürger. Die Lösung des Problems könnte ein Lieferservice sein, wie er von verschiedenen Anbietern in größeren Städten organisiert wird. Kommt ein solcher Dienst, der auf einer digitalen Plattform basiert, auch für Wertheim in Frage?
Nicht rentabel
Eher nicht, wie eine Recherche der Fränkischen Nachrichten ergab. Das Problem: Er würde sich betriebswirtschaftlich nicht rechnen. Während der Corona-Pandemie erlebten Dienste, die Artikel des täglichen Gebrauchs meist per Fahrradbote direkt an Verbraucher liefern, einen Boom. Einer der Anbieter ist Flink, der den Service nach eigenen Angaben in 46 Städten in Deutschland anbietet. Man sei in Großstädten wie Berlin, Hamburg, Köln und Nürnberg aktiv, wage sich aber auch immer mehr in die suburbanen Räume dieser Städte hinaus und habe gleich zu Beginn der Geschäftstätigkeit auch den Blick auf kleinere Städte gelegt, erläutert Flink-Sprecher Christoph Egels auf FN-Anfrage. „Allerdings benötigen wir etwa eine Einwohnerzahl von 100 000 um profitabel arbeiten zu können oder die direkte Anbindung mit dem Fahrrad, innerhalb von Minuten an eine deutlich größere Stadt“, schränkt er ein.
Selbst das Geschäft in den großen Städten wirft momentan noch keinen Gewinn ab. Laut diversen Medienberichten könnte das Unternehmen auf dem Weg in die Gewinnzone sein. Man habe aktuell den kompletten Fokus darauf gelegt, „unsere bisher bestehenden Standorte dauerhaft profitabel zu betreiben“ und stelle die Expansion hinten an, so Christoph Egels. „Langfristig schauen wir uns natürlich auch weitere Städte in Deutschland an, allerdings ist unser Modell in Kleinstädten deutlich schwieriger profitabel zu betreiben, daher wird es auch in Zukunft kein Flink in Wertheim geben“. Andere Anbieter dürften das nicht anders einschätzen.
Im Edeka-Verbund gibt es keinen zentral organisierten Lieferdienst, wie Sprecherin Stefanie Schmitt von Edeka Nordbayern-Sachsen-Thüringen erklärt. Die selbstständigen Kaufleute des Verbunds führten als Unternehmer ihre Märkte eigenständig und „entscheiden somit selbst über ihre Sortimentsgestaltung, organisatorischen Abläufe in den Märkten oder eben auch über Dienstleistungsangebote.“
Kostet viel Zeit
Stefan Brünner, der E-Center in Bestenheid und eine Filiale in Nassig betreibt, hat sich durchaus immer wieder Gedanken über einen Lieferservice gemacht, sagt er im FN-Gespräch. Doch letztlich sprächen die Zahlen dagegen. Man würde enorm viel Zeit für das Zusammensammeln der Artikel benötigen, dazu kämen noch Kosten für Fahrer und Fuhrpark, was den Preis für die Waren in Höhen treiben würde, die kaum ein Kunde akzeptiere. Zudem gebe es ein weiteres Problem: Es sei schwierig Personal dafür zu bekommen.
Bei Kaufland habe man vor einigen Jahren während einer Pilotphase „viele unterschiedliche Erfahrungen“ mit dem Lieferdienst gesammelt, erläutert Pressesprecher Dominik Knobloch. Die Kunden hätten das Angebot positiv angenommen, doch „mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit haben wir gesehen, dass sich ein Lieferservice im Lebensmittelbereich derzeit nicht kostendeckend betreiben lässt“. Höhere Preise bei der Lieferung von Lebensmitteln sind demnach für Kaufland für „keine Option“. Dominik Knobloch verweist auf die Bushaltestelle direkt vor der Wertheimer Kaufland-Filiale. Kunden könnten den Markt „ohne Auto bequem über die öffentlichen Verkehrsmittel erreichen“.
Abholservice
Die Lebensmittel-Einzelhandelskette Rewe bietet einen Lieferdienst an. Allerdings nur in Ballungszentren. „Aus 15 zentralen sogenannten Food Fulfillment Centern in Deutschland werden über 75 Städte plus Umland mittels eigener Fahrzeugflotte und festangestellten Mitarbeitenden versorgt“, erklärt Pressesprecherin Michaela Thömmes. Man analysiere potenzielle neue Liefergebiete kontinuierlich. „Die Einführung eines zentralen Rewe-Lieferservices im Raum Wertheim ist derzeit nicht vorgesehen“, macht sie klar.
Michaela Thömmes verweist auf den Rewe-Abholservice, der in den Filialen der Region angeboten wird. Lebensmittel aus dem regulären Sortiment des ausgewählten Supermarktes könnten im Onlineshop bestellt und vor Ort abgeholt werden – „und zwar dann, wenn es dem Kunden in den persönlichen Zeitplan passt“.
Das Konzept wird an mittlerweile rund 1800 Standorten positiv angenommen. Die Kunden würden Zeit sparen, weniger schleppen müssen und bequem über Web und App einkaufen können. Für eilige Leute stehe die Bestellung bereits drei Stunden nach Bestelleingang die Einkäufe zur Verfügung und könnten vor Ort bezahlt werden. So entfalle das Anstehen an der Kasse und der Einkauf könne in durchschnittlich fünf Minuten erledigt werden.
Lücke schließen
Die Lücke in diesem Konzept ist naturgemäß die Distanz zum Supermarkt, die es zu überwinden gilt. Wie kommt die Ware zum Kundschaft, wenn niemand zur Verfügung steht, sie abzuholen? Mirco Göbel, Vorsitzender des neuen Stadteilbeirats Innenstadt, hat Schüler des Beruflichen Schulzentrums – Göbel ist dort Lehrer – im Rahmen eines Projekts mit einer Analyse der Situation beauftragt.
Gegenstand der Auswertung war unter anderem die Nachbarschaftshilfe, die während der Pandemie Besorgungen für schutzbedürftige Leute erledigte und teils von der Zentrale in der Tourismus-Information, aber auch von Ansprechpartnern in den Ortschaften koordiniert wurde.
Soziales Hilfsnetzwerk
Das soziale Hilfsnetzwerk half seinerzeit hunderten Leute aus der Patsche und könnte Vorbild für eine künftige Lösung in Verbindung mit den Abholdiensten der Supermärkte sein, so Göbel – am besten auf einer digitalen Plattform. Nutzer könnten einen Einkaufszettel online ausfüllen.
Auf der Plattform müssten Einkäufer registriert sein, die dann die Artikel im Supermarkt abholen. Die Einkäufer sollten dabei durchaus entlohnt werden, auch wenn der soziale Aspekt im Vordergrund stehe. Allerdings bräuchten ältere Menschen, die sich mit digitalen Geräten schwertun, Unterstützung bei der Bestellung.
„Es gibt auch bei uns Möglichkeiten“, ist sich Mirco Göbel sicher. Letztlich sei aber entscheidend, ob der Bedarf überhaupt vorhanden ist. Der müsse im Vorfeld geprüft werden.
Mirco Göbel verweist auf die Schließung der Norma-Filiale, deren Grund letztlich die zu geringe Nutzung war. Denn an diesem wohnortnahen Standort haben schlicht und einfach zu wenige Leute eingekauft, um die Filiale rentabel betreiben zu können.
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