Kultur - Beitrag des Kulturkreises Wertheim anlässlich 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland / Jüdischer Pianist und Musikwissenschaftler Jascha Nemtsov zu Gast

Jüdischer Pianist und Musikwissenschaftler Jascha Nemtsov zu Gast in Wertheim

Eigens für Jascha Nemtsov wurde der Yamaha-Flügel der Musikschule in die Stiftskirche transportiert. Diese Mühe hat sich gelohnt. Denn die Besucher des Gesprächskonzerts wurden mit spannender und intelligenter Klaviermusik belohnt.

Von 
Carsten Klomp
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Professor Jascha Nemtsov begeisterte mit technischer Brillanz, Virtuosität und Flexibilität und übernahm gekonnt die Rolle des Moderators. © Carsten Klomp

Wertheim. Jüdisches Leben war in den vergangenen Jahrhunderten in Wertheim ebenso reich wie vielfältig und man kann an vielen Orten auf Spuren dieser Vergangenheit stoßen. So ist es nur folgerichtig, dass in diesem Jubiläumsjahr, in dem an 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland erinnert wird, auch in Wertheim verschiedene Kulturveranstaltungen zu diesem Themenkomplex stattfinden.

Am Samstagabend hatte der Kulturkreis Wertheim den in Weimar lehrenden jüdischen Pianisten und Musikwissenschaftler Jascha Nemtsov eingeladen. Er setzte den Reigen dieser Veranstaltungen fort, mit einem von ihm selbst moderierten Klavierabend unter dem Titel „Musik im Judentum“. Für dieses besondere Konzert wurde der Yamaha-Flügel der Musikschule extra in die Stiftskirche transportiert.

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Der Titel war vielleicht etwas zu umfassend gewählt, denn natürlich konnte an diesem Abend „nur“ Klaviermusik vorgestellt werden. Der ganze Bereich religiöser und synagogaler Musik konnte,wie auch der Bereich sonstiger Instrumental- oder Vokalmusik, nur gesprächsweise erwähnt werden.

Das minderte den Hörgenuss der ebenso interessant vorgestellten wie glänzend interpretierten Werke jüdischer Komponisten aber in keiner Weise. Im Gegenteil: Selbst für Kenner und Freunde virtuoser Klaviermusik bot der Abend nahezu durchweg Neuentdeckungen.

Nemtzow, Professor für Geschichte der jüdischen Musik an der Weimarer Musikhochschule und Akademischer Direktor der Kantorenausbildung des Abraham Geiger Kollegs, stellte Werke vor, die er überwiegend selbst im Rahmen seiner Forschungen entdeckt, herausgegeben und teilweise auch uraufgeführt hat. Er machte dabei das Publikum nicht nur mit der Musik, sondern auch mit der teilweise tragischen Lebensgeschichte der Komponisten vertraut. Diese verloren oft entweder durch die Nazis oder in Folge der russischen Revolution Stellung, Hab und Gut und teilweise ihr Leben.

Musikalische Schätze

Schnell wurde deutlich, welche musikalischen Schätze durch diese Irrungen und Wirrungen unwiederbringlich verloren gegangen oder verschüttet worden sind. Manches jedoch wird wieder „ausgegraben“, beispielsweise die „Kindersuite“ des russisch-jüdischen Komponisten Joseph Achron. Es ist keine Musik für Kinder. Es sind Charakterstücke über Szenen aus dem kindlichen Leben, ähnlich Schumanns „Kinderszenen“ oder Bizets „Jeux d’enfants“. Achron ist, wie die anderen Komponisten des Abends, ein Vertreter der sich auf die eigenen, jüdischen Traditionen berufenden „nationalen“ Kunstmusik. Er entwickelte diese Stücke aus dem Tonvorrat der sogenannten Kantillationsmodelle. Das sind Tonfolgen, die bei der Rezitation jüdisch religiöser Texte Verwendung finden.

Nemtzow spielte sie technisch brillant und dabei so frei, dass man das unvorhersehbare Spiel kleiner Kinder förmlich vor Augen hatte. So entstand vor dem inneren Auge der Zuhörer das „Hüpfen mit ausgestreckter Zunge“– so der erste Satz –oder das Staunen über die luftigen Gebilde der „Seifenblasen“.

23 „Fantasietten“

Spannend war auch der Zyklus von insgesamt 23 „Fantasietten“. Das sind kurze Stücke, in denen der in Frankfurt lebende Komponist und Kompositionslehrer Bernhard Sekles ebenso geist- wie humorvoll mit den klassischen Formen pianistischer Virtuosenmusik spielt. Diese intelligente Musik für Kenner und Liebhaber ist gespickt mit Anspielungen auf die Großformen komponierender Tastenlöwen. Sie fordert dem Spieler neben Virtuosität auch die Flexibilität ab, sich in kürzester Zeit auf immer wieder neue musikalische Welten einzulassen.

Höchst virtuos war auch Nemtsows Zugriff auf die Musik Juliusz Wolfsohns oder Franz Liszts. Letztgenannter war der einzige nichtjüdische Komponisten des Abends, dessen „Ungarische Rhapsodien“ aber ebenfalls von dem Gedanken an eine Nationalmusik (in diesem Fall der Sinti und Roma) geprägt sind.

Es war ein spannender und mitreißender Abend, an dem das Publikum den Pianisten nicht ohne zwei Zugaben ziehen ließ.

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