Wertheim. Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Eine gute Gelegenheit, mit Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez über die Ampel-Koalition, die Lage in der Großen Kreisstadt, sein neues Haus und das Ende seiner Fußballer-Karriere zu sprechen.
Sie sind nun seit fast 32 Monaten Oberbürgermeister. Zweidrittel Ihrer Amtszeit waren von der Pandemie bestimmt – mal mehr, mal weniger. Nervt das?
Markus Herrera Torrez: Ich bin froh, dass es zu Beginn keine Pandemie gab. Es gibt Kollegen, die konnten ihr Amt noch gar nicht in normalen Zeiten ausführen. Ja, es nervt. Weil so viel verschoben werden muss und Vorhaben, die man sich vorgenommen hat, nicht umgesetzt werden können. Aber das geht allen so. Die innere Unzufriedenheit verbindet uns gewissermaßen. Ich stelle eine allgemeine Müdigkeit fest. Aber am Ende hilft es nicht: Wir müssen nach vorne schauen.
Sie haben Land und Landkreis dafür kritisiert, dass es in Wertheim zu wenige Impfmöglichkeiten gibt. Handelt es sich hier um ein Politik- oder Verwaltungsversagen?
Herrera Torrez: Es ist ein politisches Versagen der Landesregierung. Im Spätsommer die Impfzentren zu schließen und Testkapazitäten abzubauen, war ein Fehler. Das wirkt sich natürlich bei nachgelagerten Behörden wie dem Gesundheits- oder Landratsamt aus. Dass es so lange gedauert hat, in Wertheim Impfkapazitäten aufzubauen, habe ich mehrfach kritisiert. Mich treibt die Sorge um, dass die Große Kreisstadt Wertheim bei der Impfkampagne vom Land vergessen wird. Wertheim hat eine zentrale Aufgabe, auch für die kleineren Nachbarkommunen wie Freudenberg, Külsheim und Werbach. Aber ich habe den Eindruck, dass das inzwischen verstanden worden ist.
Auf der jüngsten Gemeinderatssitzung haben Sie Ihr kurzfristig präsentiertes Vorhaben, das Rathaus mit neuen Fenstern auszustatten, zurückgezogen. Weil es Irritationen ausgelöst hat. War das Vorgehen ein Fehler im Umgang mit dem Gemeinderat?
Herrera Torrez: Zunächst: In Deutschland gibt es 180 000 Gebäude der öffentlichen Verwaltung, die energetisch sanierungsbedürftig sind. Unser Rathaus ist mit Sicherheit eines davon. Zudem stehen wir gegenüber den Mitarbeitern in der Pflicht, dass das Rathaus in den nächsten Jahren fit gemacht wird. Es gab kurzfristig finanzielle Spielräume. Ich hatte Gutes im Sinn, habe das aufgrund der Kurzfristigkeit mit den Fraktionschefs abgestimmt und positive Rückmeldungen bekommen. Im Nachhinein wär es sicherlich klüger gewesen, das mit mehr Vorlauf zu machen.
Gab es wirklich nur positive Rückmeldungen?
Herrera Torrez: Es gab zumindest keine ablehnende Haltung. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass der Haushaltsposten mit einem Sperrvermerk versehen wird, weil es eben kurzfristig war.
Nach meinem Eindruck hätten Sie dafür eine Mehrheit im Gemeinderat gewinnen können. Warum haben Sie trotzdem einen Rückzieher gemacht?
Herrera Torrez: Es hätte eine politische Mehrheit gegeben. Aber auf der kommunalpolitischen Ebene sollte nicht alles, was eine knappe Mehrheit findet, auch durchgesetzt werden. In fast allen Fällen ist es besser, eine breite Unterstützung zu gewinnen. Da benötigt man zwar Zeit für Diskussionen, aber das ist es wert.
In Berlin regiert seit Kurzem eine neue Koalition. Der Sozialdemokrat Olaf Scholz ist Kanzler. Haben Sie am Wahlabend eine Flasche Sekt aufgemacht?
Herrera Torrez: Nein, eine Flasche Bier.
Sie haben also schon darauf angestoßen.
Herrera Torrez: Ja, ich hab mich sehr gefreut. Eine gute Freundin hat in Mannheim das Direktmandat gewonnen. Darauf haben wir angestoßen. Ich bin ich schon einige Jahre bei den Sozialdemokraten und habe noch nicht so viele SPD-Wahlsiege erleben dürfen. Als Sozialdemokrat freue ich mich. In meiner Funktion als Oberbürgermeister schaue ich darauf, was bei den Kommunen ankommt. Daran muss sich die neue Bundesregierung messen lassen.
Was erwarten Sie von Berlin für die Kommunalpolitik?
Herrera Torrez: Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland muss gewährleistet sein. Diesbezüglich macht der Koalitionsvertrag Hoffnung, weil die Finanzausstattung der Kommunen verbessert werden soll. Es sind zunächst Absichten, die auf Papier gebracht wurden. Wie die Taten aussehen, werden die nächsten vier Jahre zeigen.
Konkret: Wird es einfacher sein, beispielsweise mehr Tempo-30-Zonen, wie Sie es dem Vernehmen nach selbst gerne für den Berliner Ring wünschen, einzurichten?
Herrera Torrez: Viele Bürgermeister und Oberbürgermeister haben sich dafür stark gemacht, dass die Gemeinden mehr Entscheidungsspielraum bekommen, weil wir die Situation vor Ort besser einschätzen können. Neulich war ich als Delegierter bei der ordentlichen Hauptversammlung des Deutschen Städtetages. Dort war es auch Thema. Der Koalitionsvertrag macht Hoffnung.
Um die Klimaschutzziele zu erreichen, braucht es mehr regenerative Energien. In Wertheim sind einige weitere Projekte geplant. Doch es gibt Widerstand, was die Windräder bei Höhefeld und den Solarpark in Bronnbach angeht. Was sagen Sie den Leuten, wenn Sie darauf angesprochen werden?
Herrera Torrez: Die Erkenntnis, dass wir in einer Welt leben, die vom Klimawandel stark betroffen ist, und dass wir dringend handeln müssen, wenn wir in 50 oder 100 Jahren noch eine lebenswerte Erde haben wollen, ist bei mir fest verankert. Die vergangenen Wahlen sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene haben deutlich gemacht: Es gibt einen mehrheitlichen Konsens in der Gesellschaft, dass die Energie- und Klimawende dringend notwendig ist. Es muss Veränderungen geben. Die grün-schwarze Landesregierung hat festgelegt, dass zwei Prozent der Flächen für erneuerbare Energien zur Verfügung stehen sollen. Die Bundesregierung schärft nach: Zwei Prozent sollen nur für Windenergie genutzt werden. In der Region Heilbronn-Franken ist es bisher nur ein Prozent. Es braucht also eine Verdoppelung. Unsere Landschaft wird sich verändern, darauf müssen wir uns einstellen. Habe ich die Wahl zwischen einer Landschaft, die nicht mehr so idyllisch aussieht, und einer Landschaft, in der ich nicht mehr leben kann, weil sie durch den Klimawandel zerstört wurde, wie etwa im Ahrtal, ist die Entscheidung klar. Dass etwas optisch nicht zusagt, ist ein schwaches Argument. Beinträchtigen Schallbelastung und Schattenwurf von Windrädern die Lebensqualität, ist das hingegen ein ernstzunehmender Aspekt. Der Weg, den wir beim Windpark Höhefeld gehen, ist richtig: in einem moderierten Dialog darüber sprechen und auch den Kritikern zuhören. Sicherlich erscheint es nicht so gerecht, wenn in Ballungsräumen weniger nachhaltige Energie erzeugt wird. Man kann das Argument aber auch umdrehen: Viele Menschen haben dort Jahrzehnte neben einem Kohlekraftwerk oder – wie ich – in der Nähe eines Atomkraftwerks gelebt. Letztlich ist es ein gesellschaftlicher Ausgleich.
Die Genehmigungsverfahren sollen verkürzt werden. Das ist erklärtes Ziel der Landes- und Bundesregierung. Bedeutet das nicht weniger Mitspracherecht der betroffenen Menschen?
Herrera Torrez: Wir haben in Deutschland ein massives Problem mit dem Umsetzungstempo von Projekten. Verfahren müssen verkürzt und vereinfacht werden, wollen wir die Infrastruktur weiterentwickeln. Die lange Dauer ist aber nicht auf die Beteiligung der Bürger zurückzuführen, sondern eher auf die Trägheit bei den Institutionen, dem Verwaltungsapparat. Ich erinnere an Stuttgart 21. Viele Bürger hatten schon wieder vergessen, dass sie beteiligt worden waren.
In einem FN-Interview hat ihr Parteifreund Thomas Kraft jüngst gesagt, die Bundesregierung würde mit dafür sorgen, dass die Ortschaften im Stundentakt an den ÖPNV angeschlossen werden. Halten Sie das für realistisch?
Herrera Torrez: Ich begrüße, dass die Bundesregierung den ÖPNV im ländlichen Bereich stärken will. Eine wichtige Maßnahme ist beispielsweise die Elektrifizierung von Bahnverbindungen. So wäre eine Verbesserung des Bahnverkehrs zwischen Wertheim und Würzburg möglich. Was den ÖPNV auf Wertheimer Gebiet angeht: Im besten Fall wollen Sie zu einer attraktiven Bahnverbindung kommen und dann weiterfahren. Ein guter Bahnanschluss wird den ÖPNV dahinter stärken. Die Mobilitätszentrale in Wertheim wird wichtig sein. Sie darf nicht nur aus etwas Car-Sharing und zwei E-Bikes bestehen, die ich ausleihen kann. In kleineren und mittelgroßen Kommunen wird man nicht unbedingt zu einem Regeltakt, sondern zu flexibleren Lösungen kommen. Es werden eher Kleinbusse sein, die bedarfsorientiert und individuell verkehren.
Eines Ihrer Wahlversprechen war die bessere Beteiligung der jungen Leute. Der geplante 8-er Rat kommt nicht aus den Puschen. Woran liegt das?
Herrera Torrez: Es liegt an der Pandemie. Es schmerzt, dass das Vorhaben, junge Menschen stärker in die Kommunalpolitik einzubinden, bisher nicht möglich war. Der 8er Rat ist ein tolles System, das aber mit den Schulen verknüpft ist. Diese hatten in den letzten Monaten ganz andere Herausforderungen. Sie arbeiten an ihrer Kapazitätsgrenze. Im nächsten Schuljahr gibt es einen neuen Anlauf. Die Vorbereitungen beginnen im Frühjahr. Wenn einzelne Schulen sagen, sie können es nicht leisten, dann starten wir mit denen, die bereit sind. Ich habe Sorge, dass wir eine ganze Generation verlieren in Sachen Beteiligung und Integration in den kommunalpolitischen Kontext.
Eine wesentliche Finanzierungsquelle der Stadt ist der Verkauf von Gewerbeflächen. Die gehen jetzt langsam aus. Wo wird das nächste Gewerbegebiet entstehen? Oder ist das Wachstum beendet?
Herrera Torrez: Wachstum auf Grundlage von Verkaufserlösen ist endlich. In Wertheim stehen noch vergleichsweise viele Flächen zur Verfügung. Aber es kann nicht in dem Maße wie früher weitergehen. Wir passen den Haushalt an. Es gab Jahre, da hat die Stadt vier Millionen Euro erlöst. Jetzt sind wir bei etwa zwei Millionen Euro. Wir erleben aber auch, dass sich das Ausmaß des Flächenbedarfs geändert hat. Ich glaube, dass wir mit den Flächen in Bettingen und am Reinhardshof in den nächsten Jahren auskommen.
Wie man hört und in den sozialen Medien sieht, haben Sie und Ihre Frau eine Wohnimmobilie erworben. Wollen Sie den FN-Lesern mehr darüber verraten?
Herrera Torrez: Wir haben wie in unserer bisherigen Mietwohnung einen schönen Blick auf die Burg. Es ist ein älteres Haus, das wir auch in Eigenleistung am Wochenende sanieren. Wir haben Wände und Estrichboden entfernt. Tonnenweise Bauschutt und Altholz mussten weggeschafft werden. Die Arbeit hat Spaß gemacht. Aber demnächst rücken dann Profi-Handwerker für den Ausbau an.
Nächstes Jahr werden Sie 34 Jahre alt. Neigt sich Ihre Fußballkarriere dem Ende zu?
Herrera Torrez: Zwei Jahre kann ich mir noch vorstellen.
Dann zu den Alten Herren?
Herrera Torrez: Das reizt mich nicht so richtig. Ich habe mir vorgenommen komplett aufzuhören, wenn es soweit ist. Eventuell geht es dann mit der Nationalelf der Bürgermeister weiter.
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