Wartberg/Reinhardshof. Mittwoch ist Ahmad Edrakis Lieblingstag. Und auch Bettina Hensch, Annerose Menig und Jutta Merkert freuen sich jede Woche auf diesen Tag. Mittwochs ist der Spielenachmittag im „Haus der Begegnung“.
Pünktlich um 14 Uhr geht es los, viele kommen ohnehin bereits einige Minuten vor dem offiziellen Beginn des Treffs. „Die ersten meist schon kurz nach halb“, weiß Gabriele Gauger, die den Spielnachmittag als Ehrenamtliche gemeinsam mit Stadtteilkoordinatorin Tatjana Gering betreut.
Angebote für Senioren
Neue Mitspieler sind beim Spielnachmittag im „Haus der Begegnung“ jederzeit willkommen. Gespielt wird immer mittwochs von 14 bis 16 Uhr. Weitere Informationen bei Tatjana Gering unter Telefon 09342/9185086.
In naher Zukunft wird der Spielenachmittag ins neue Gemeinschaftszentrum auf dem Wartberg umziehen.
Dort möchte Tatjana Gering das Angebot für Senioren ausbauen. An mehreren Tagen soll es Treffs mit Kaffee geben, vorstellbar sei etwas Kreatives und etwas rund um das Wohlbefinden. Auch Ausflüge sollen ins Programm. kabu
Spielenachmittag bietet Gesellschaft
An diesem Tag ist Gisela Beyer die erste Teilnehmerin, die den Veranstaltungsraum durch die offen stehende Tür betritt. Die 92-Jährige kommt immer zu Fuß von einem Seniorenheim im Reinhardshof hinunter auf den Wartberg, wo sie früher mit ihrem Mann und später allein ein „Häusel“ hatte. Beide Tatsachen hat sie mit den meisten Teilnehmenden gemein: Sie sind verwitwet und leben allein in ihrem Haus oder ihrer Wohnung. Beim Spielenachmittag finden die Senioren Gesellschaft. „Ich komme wegen der Langeweile“, gibt Gisela Beyer zu. „Damit wir zuhause weg sind, weil da ja keiner ist“, sagt Hannelore Gistel. Die 83-Jährige sitzt mit dem Ehepaar Klein und Irmgard Rückert an einem Tisch. Hier wird immer Kanaster gespielt. Über Hannelore Gistels Lippen huscht ein Lächeln während sie die Karte betrachtet, die sie eben vom Stapel gezogen hat. Gistel und Rudi Klein, die immer im Team spielen, stehen kurz vor dem Gewinn. Jetzt legt Gistel sechs Buben und einen Joker aus: Kanaster. „Ein Gemischter, das sind 300 Punkte. Das ist der Gewinn“, kommentiert Edith Klein, die als Nächste an der Reihe ist. Während die Gruppe weiter Karten zieht und legt, wird geplaudert. „Wir haben früher ja immer Schafkopf gespielt“, erzählt Gistel. Über Stunden, bis tief in die Nacht hinein saß man da zusammen.
Immerhin zwei Stunden dauert der Spielnachmittag. Zeit genug für den einen oder anderen Sieg: Jutta Merkert hat heute einen Lauf. Zum dritten Mal konnte sie die „Rummy Cub“-Tafel als Erste umdrehen. „Ich freue mich immer, wenn die anderen lange überlegen, dann denke ich mir schon die nächsten Schritte aus“, sagt sie und lächelt schelmisch. „Du kannst es halt einfach am besten von uns. Wir sind noch deine Lehrlinge“, kommentiert Hedwig Schlör. „Guck mal, Jutta“, Helga Thurow tuschelt ihrer Sitznachbarin etwas ins Ohr. Die nickt: „So wird’s was.“ Gesagt, getan. Die 78-Jährige Helga schiebt einige der Plättchen hin und her. Nimmt sich hier eine grüne Zwei, dort eine schwarze, ergänzt ihre rote und dreht die Tafel um. Im nächsten Zug kann auch Hedwig Schlör beenden. „Und ich bin der vierte Sieger“, sagt Ahmad Edrakis gelassen. Ums Gewinnen geht es beim Spielnachmittag nicht. „Die Unterhaltung“, sind sich die Vier einig, ist es, die sie immer wieder hierher kommen lässt.
Kontakte sind wichtig
Wie wichtig Kontakte sind, hat Edeltraud Embke leidlich erfahren. Nachdem sie aus dem Rheinland hierher gezogen war, hatte sie eine schwierige Zeit: „Die Leute in Wertheim sind einfach anders als dort, wo ich herkomme. Da spricht man jemanden an, wenn er allein sitzt. Das fehlt mir hier“, beschreibt die 80-Jährige. Über den Spieltreff fand sie schließlich Anschluss. „Ich sitze bei den Russen“, sagt sie. Valentina König, die heute als einzige von drei Frauen mit Migrationshintergrund da ist, schmunzelt. „Wir haben hier die beste Zeit. Wir lachen viel und laut“, fasst Embke zusammen.
Damit geht die Intension auf, die Tatjana Gering bei der Gründung des Treffs vor vier Jahren verfolgte. „Den Kampf gegen die Einsamkeit“, nennt sie es. Damals hatte sich die Stadtteilkoordinatorin umgehört und festgestellt, dass es an Angeboten für Senioren mangelt. Gaby Gauger, die sich als Malteserin ehrenamtlich für Ältere engagieren wollte, kam zur passenden Zeit. „Zunächst war es als bloßes Treffen geplant, aber es entwickelte sich schnell zum Spielnachmittag“, erinnerte sich Gauger. Rund 20 Frauen und Männer kommen zurzeit regelmäßig, wenn jemand nicht zum Treffen erscheint, ruft Gaby Gauger an und fragt, was los ist. „Die Fürsorge gehört auch dazu“, sagt sie.
Mitspieler fanden und finden sich heute vor allem durchs Weitererzählen. So sprach Annerose Menig vor einiger Zeit auf der Straße kurzerhand Helga Thurow an und „warb“ sie für den Spielenachmittag. Gut, dass an einem der „Rummy Cup“-Tische noch ein Platz frei war. Die einzelnen Spielergruppen haben sich über die Jahre ergeben und auch, wenn sich Tatjana Gering eigentlich etwas mehr Vermischung unter den Spielern wünschen würde: „Es funktioniert gut so.“
Besonders nah gekommen sind Bettina Hensch und Bruno Benz. „Uns verbindet eine tiefe Freundschaft, gell Schatz“, sagt Hensch. Die trägt auch, wenn es ums Spiel geht. Da Benz fast vollständig erblindet ist, spielen die beiden meistens mit Gaby Gauger „Elfer raus“. Bettina Hensch guckt in Bruno Benz Karten und erörtert ihm, welche Karte er als nächste legen könnte. „Dabei mogle ich nicht“, betont sie.
Benz ist wieder an der Reihe, Hensch will helfen. „Moment mal“, sagt Benz, grinst und tastet nach einer Karte, die er auf dem Tisch abgelegt hat. Er dreht sie um, es ist eine Elf.
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