Wertheim. „Wenn ich sterbe, direkt nach Stuttgart melden“, schildert eine Dame mittleren Alters am Mittwochabend im Arkardensaal die Gedanken, die sie auf einer Fahrt die Neue Vockenroter Steige hinauf beschäftigten. Die Landstraße, die zum Wartberg führt, ist eine der Problemzonen des Wertheimer Radverkehrs: steil, viel Verkehr, kein Schutz vor den dicht vorbeifahrenden Autos.
Hermino Katzenstein nickt, seit dem Nachmittag kennt der Landtagsabgeordnete der Grünen die Strecke aus eigener Erfahrung. Mehr als zwei Stunden radelte der, wie er selbst sagt, Radfahrer aus der Kategorie „stark und furchtlos“ am Mittwoch im Zick-Zack-Kurs durch Wertheim. Mit dabei waren neben zwei Vertretern des ADFC, Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez, der Leiter des städtischen Referats für Stadtplanung und Umweltschutz, Jonas Rastelbauer, auch rund ein duzend Alltagsradler. Im Anschluss folgte ein Vortrag mit Diskussion im Arkadensaal.
„Wir nehmen heute die Rolle verschiedener Radfahrer und Radfahrerinnen ein: Radtouristen, Schülerinnen, Berufstätige und Alltagsradlerinnen auf ihrem Weg zum Einkaufen oder zu Behörden“, schickt Falk Braunschweig, der die Tour für die Wertheimer Grünen erstellt hat, der Fahrt voraus. Dann radeln sie los: über den Bahnsteig, durch die enge Hämmelsgasse. Gleich nach der kurzen Steigung fädelt sich Radler für Radler in den fließenden Verkehr Richtung Innenstadt ein.
Am Beginn der Brückengasse stoppt der Trupp. Hier müssen Radfahrer absteigen, vielen ist das ein Dorn im Auge. Das zeigten jüngst auch die Ergebnisse des ADFC-Radklimatests. Katzenstein schlägt vor, die Innenstadt wenigstens zeitweise für den Radverkehr zu öffnen. „Einfach mal ausprobieren“, schlägt er vor. Der OB ist skeptisch. Trotz Durchfahrverbots gebe es im Sommer immer wieder Beschwerden über rücksichtlose Radfahrer. „Fahren wir weiter“, sagt Katzenstein. Sein Ziel sei, Diskussionen anzustoßen. Sprechen sollte die Wertheimer Stadtgemeinschaft nach Ansicht der Radler über vieles: Katzenstein zeigt Radwege, die plötzlich enden, wie der hinter dem Rosengarten an der Hofhaltung. Er moniert verwirrende und zu kleine Beschilderung. Wohin mit dem Rad, wenn man rund um den Marktplatz etwas zu erledigen hat oder einfach den blauen Maihimmel genießen will?
Orgelklänge und kein Parkplatz
An der Straßenkreuzung vor der Stiftskirche schauen sich die Tourteilnehmer um. Orgelklänge schallen aus der Kirche, ein Lieferwagen biegt in die Fußgängerzone ein. „Keiner möchte sein Rad mit gepackten Taschen irgendwo hinstellen“, verdeutlicht Braunschweig. „Bei Fahrradabstellmöglichkeiten am Marktplatz haben wir das Thema der Veranstaltungen. Da ist fest Installiertes schwierig“, gibt Herrera Torrez zu Bedenken. Katzenstein plädiert einmal mehr fürs Ausprobieren. Im Rahmen des Programms „Lebendige Ortsmitten“ könnten Kommunen mobile Fahrradständer ausleihen. Es gelte verschiedene Interessen unter einen Hut zu bekommen, fasst Rastelbauer die Lage mit Blick auf das Radverkehrskonzept zusammen.
Wie unterschiedlich die Bedürfnisse auf der Straße sind, bekommen die Radler einige Minuten später zu spüren, als sie den Weg stadtauswärts nehmen. Katzenstein will simulieren, dass nicht jeder Radler den Fuß- und Radweg entlang des Mains findet, wenn er in Richtung Schlösschen möchte. Als Reaktion auf die Verzögerung überholen mehrere Autofahrer hupend. „Dass man hier darüber diskutiert, ob genug Platz für Radfahrer ist, da hört bei mir jegliches Verständnis auf“, ärgert sich Herrera Torrez. Erst im vergangenen Jahr habe man sehr viel Geld in die Hand genommen, um die Situation für Fußgänger und Radfahrer erheblich zu verbessern. Radfahrer müssten auch mit Augen und Verstand unterwegs sein. „Ein Bodenpiktogramm an der Kreuzung und fertig“, wirft Iris Boxler, Kreisvorsitzende des ADFC ein. Katzenstein pflichtet ihr bei, zwar seien ihm die roten Markierungen am Boden aufgefallen, aber ein Piktogramm mit Richtungspfeil mache den Weg „idiotensicher“. Das Thema Richtungspfeile beschäftigt die Gruppe wenige Minuten später nochmals, nämlich in der Ortsdurchfahrt Eichel, wo sich Fußgänger und Radfahrer, wie häufig in Wertheim, einen Weg teilen. „Gemeinsam genutzte Fuß- und Radwege sind sehr unfallträchtig“, kritisiert Katzenstein. Piktogramme, die Fußgängern, Radfahrern, aber auch Autofahrern zeigen, dass hier Radverkehr in beide Richtungen stattfindet, könnten die Situation entschärfen.
Umfrage: Was sich Wertheims Radfahrer wünschen
Beim Radklimatest des ADFC hat Wertheim erneut mit der Schulnote 3,8 abgeschnitten (wir berichteten). Im Landesvergleich mit ähnlich großen Städten lag die Main-Tauber-Stadt mit Rang 38 von 72 im Mittelfeld, was die Radfreundlichkeit angeht. Neben den einheitlichen Fragen bietet die Umfrage auch die Möglichkeit, Einzelheiten anzumerken. Einige häufig Genannte sind hier zu lesen:
Durchfahrtsverbot Innenstadt: „Als Pendler zur Schule ist die Durchfahrt der Altstadt vor 8 Uhr gesperrt. Dies erschwert den Schulweg vieler Schüler und Lehrer auf dem sicheren Weg zur Schule. Hier sollte Abhilfe geschaffen werden, indem die Durchfahrt zeitabhängig gesteuert wird.“
Abstand: Autos halten beim Überholen oft die nötigen Abstände nicht ein, oder überholen, obwohl Gegenverkehr in Sicht ist. Das, und manchmal auch hohes Gras am Rand der Straße machen das Radfahren auf den Landstraßen gefährlich.“ „Am Kaufland wird man als Fahrradfahrer beidseitig gefährlich bedrängt.“ „Der Gemeindeverbindungsweg Bestenheid/Wartberg wurde komplett erneuert. Ein Fahrradweg wurde nicht gebaut. Täglich sind dort viele Fahrräder unterwegs, auch Schüler. Das Fahren ist sehr gefährlich, da man ständig von Pkw oder von Lkw überholt wird.“
Odenwaldbrücke: „Die Odenwaldbrücke sollte, zumindest einseitig für den Fahrradfahrer freigegeben werden.“ „Radfahren über die Odenwaldbrücke auf gesicherter Spur ist nicht möglich.“ Es fehlt eine Radbrücke über die Tauber. Somit wäre der Maintalradweg zwischen Wertheim und Bestenheid nicht unterbrochen. Alternativ wäre ein Fahrradstreifen auf der Odenwaldbrücke denkbar.“
Abstellmöglichkeiten: „Besonders in der Innenstadt und am Bahnhof fehlen gesicherte Abstellmöglichkeiten für Fahrräder. Gerade in den wärmeren Monaten, wenn die Radwege an Main und Tauber sehr frequentiert sind und viele Radtouristen die Altstadt besuchen.“ „Obwohl Wertheim Kreuzungspunkt von zwei viel genutzten und hochgelobten Fern-Radwegen ist (Main- und Taubertalradweg), besteht in der Stadt so gut wie keine vernünftige und sichere Fahrrad-Abstellmöglichkeit.“ „Überdachte Fahrradstellplätze (mit Abschließmöglichkeit, siehe Aldi-Fahrradständer!) sowie sichere Radwege vom Reinhardshof in die Innenstadt und zurück wären wünschenswert. “ kabu
Nach dem Abstecher nach Eichel radelt die Gruppe zurück nach Wertheim, nun soll es Richtung Bestenheid gehen. Das zügige Radeln endet vor der Odenwaldbrücke jäh. Anstatt die Tauber über die Brücke zu queren, müssen Radpendler nun absteigen, den kleinen Hang zum Mainparkplatz hinunterschieben und dann entweder über den Parkplatz oder am Main entlang um den Parkplatz herum fahren. Über eine große Kurve über die Tauberbrücke gelangen die Pendler dann zurück auf den Radweg in Richtung Bestenheid. „Hier können Sie uns helfen, Herr Katzenstein. Wir würden den Radweg gerne weiterführen über die Brücke, aber das ist eben eine Landesstraße“, sagt der OB. Die Stadtverwaltung habe im Rahmen des Radverkehrskonzepts dem Regierungspräsidium bereits erläutert, dass für die Odenwaldbrücke eine pragmatische Lösung gefunden werden sollte, ergänzt Rastelbauer. „Ich habe die Botschaft gehört. Ich frage gerne nach, wie der Sachstand ist“, verspricht Katzenstein vor dem Weiterfahren.
An diesem Tag nimmt die Tour dann über den Umweg Tauberbrücke, den Tauberparkplatz und schließlich am Main entlang Kurs auf Bestenheid. Mittlerweile ist es kurz vor 17 Uhr, dem festgesetzen Endpunkt der Radtour. Einige Jugendliche sitzen auf einer Parkbank neben dem Skaterplatz, Angler werfen ihre Köder aus. Ein Paar stößt auf dem Grünstreifen vor seinem Wohnheim mit einem Glas Rotwein an. Durch eine Unterführung gelangen die Radler zurück auf die Bismarkstraße, ihr offizielles Ende findet die Tour am Bahnhof.
Doch während sich die meisten Richtung Main-Tauber-Halle verabschieden, sind sich Hermino Katzenstein und Falk Braunschweig einig: „Da fahren wir jetzt noch hoch.“ Gemeint ist die Neue Vockenroter Steige.
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