FN-Gespräch

Halbzeit: „Spiel hat sehr viel Spaß gemacht“

Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez zieht Bilanz nach ersten vier Amtsjahren und spricht über Herausforderungen der Zukunft

Von 
Gerd Weimer
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Wertheim. Vor fast vier Jahren, am 1. Mai 2019, trat Markus Herrera Torrez sein Amt an. Da war er gerade mal 30 Jahre alt und damit jüngster Oberbürgermeister in Deutschland. Zum Ablauf der ersten Hälfte seiner Amtszeit unterhielten sich die Fränkischen Nachrichten mit dem Stadtoberhaupt über erreichte Ziele, Projekte, die nicht umgesetzt wurden, und Vorhaben, die in den nächsten Jahren anstehen. Herrera Torrez verrät auch, ob er in vier Jahren für eine weitere Amtszeit kandidieren wird. Das Gespräch fand diese Woche in einem Klassenzimmer der sanierten Otfried-Preußler-Schule auf dem Wartberg statt.

Halbzeit, Herr Oberbürgermeister. Stellen wir uns vor, wir säßen in der Fußballkabine. Als Trainer müssten Sie die erste Hälfte Ihrer Amtszeit bewerten.

Markus Herrera Torrez: Als Spielertrainer oder Kapitän würde ich erstmal in der Halbzeit prüfen, an welchem Punkt ich stehe. Seit vier Jahren darf ich Oberbürgermeister in Wertheim sein, und ich empfinde nach wie vor Demut und Dankbarkeit. Jetzt werde ich bald 35 Jahre alt, und für mich ist es es weiterhin keine Selbstverständlichkeit, dass ich in so jungen Jahren so eine große Verantwortung tragen und ausüben darf. Es bereitet mir sehr viel Freude. Um im Bild zu bleiben: Das Spiel hat bisher sehr viel Spaß gemacht, und ich habe richtig Lust auf die zweite Hälfte.

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Ich habe eine Wahlkampf-Broschüre aus dem Jahr 2019 dabei. Sie haben in dem Papier sieben „konkrete Initiativen“ für ihr erstes Amtsjahr angekündigt. Die Punkte „Gründung Runder Tisch Wirtschaftliche Entwicklung und Naturschutz“, „Vollständiger Neubau der Sporthalle am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium“, „Kostenfreies W-Lan in der Altstadt“, „Bürgergespräche des OB in allen Ortschaften und Statteilen“ sowie „Wertheim als Kommune für biologische Vielfalt“ sind umgesetzt oder in Arbeit. Da können wir also einen Haken machen.

Herrera Torrez: Ja, nehmen wir das Beispiel Runder Tisch. Die Konfliktparteien standen sich damals verfeindet gegenüber. Nach der Mediation zwischen Bauverwaltung und Nabu-Spitze gab es den Runden Tisch mit weiteren Teilnehmern. Der im Anschluss breit gefasste Beschluss im Gemeinderat zur Weiterentwicklung des Gewerbegebiets Reinhardshof trägt heute noch. Wir geben der Wirtschaft Platz für Wachstum, aber gleichzeitig gibt es genügend Flächen für die schützenswerten Biotope und Habitate. Nabu und Bauhof unterstützen sich gegenseitig. Es ist ein gedeihliches Miteinander. Ich bin sehr dankbar, dass alle Beteiligten Kompromisse eingegangen sind.

Anders sieht es bei den Punkten „Bürgerbus für eine bessere Anbindung der Ortschaften an die Kernstadt“ und „Beginn eines offenen Ideenwettbewerbs für den alten Krankenhausstandort“ aus. Warum?

Herrera Torrez: Das Thema Bürgerbus konnten wir bisher nicht angehen, weil sich wegen Corona die Prioritäten verschoben haben. Das muss man generell festhalten: Von den vier Jahren im Amt waren zwei durch Corona geprägt und mehr als ein Jahr von Putins Krieg gegen die Ukraine, der uns zum Beispiel beim Thema Energiesparen beschäftigt. Die Agenda ändert sich, das macht Kommunalpolitik aus. Man hat einen Plan und Vorhaben, muss sich aber auf die Gegebenheiten neu einstellen. Ich werde mit unseren Ortsvorstehern Gespräche führen, ob und welcher Form wir den Bürgerbus etablieren können.

Wie sieht’s beim Thema altes Krankenhausgelände aus? Dazu haben Sie einen Ideenwettbewerb angekündigt.

Herrera Torrez: Was den alten Krankenhausstandort angeht, den wir heute „Oben am Knackenberg“ nennen, angeht: Als Bewerber, der von außen kam, war mir nicht bekannt, dass es bereits Ideen gab und viele Vorarbeiten im Gemeinderat und der Verwaltung geleistet worden waren. Hinzu kam, dass die Corona-Pandemie die Bürgerbeteiligung deutlich erschwert hat. Außerdem war ursprünglich ausschließlich Wohnbebauung vorgesehen. Jetzt sind Dreifeldsporthalle und Grundschule hinzugekommen. Für die Gestaltung des Schulstandorts läuft derzeit eine Beteiligung von Eltern, Lehrern und Schülern.

Bei der Verabschiedung des ersten Haushalts Ihrer Amtszeit haben Sie dann im Dezember 2019 unter dem Titel „Prämissen der Kommunalpolitik“ sieben Arbeitsschwerpunkte genannt. An erster Stelle steht die Bevölkerungsentwicklung. Wie sieht hier die Bilanz aus?

Herrera Torrez: Es gab seinerzeit eine Prognose des Statistischen Landesamts, die eine rückläufige Entwicklung vorhersagte – von 22 800 auf 22 400 Einwohner. Ich habe gesagt, diesen Trend müssen wir aufhalten oder sogar umkehren. Die Erhaltung unsere Infrastruktur bedarf einer Einwohnerzahl von 23 000 plus X. Daran haben wir konsequent gearbeitet, und es ist gelungen, die Zahl auf etwa 23 400 zu erhöhen. Zu berücksichtigen ist dabei auch der Zuzug von Flüchtlingen. Insgesamt ergibt das einen Bedarf an zusätzlichem Wohnraum, den wir beispielsweise in Bettingen und am Oberen Knackenberg schaffen werden, aber auch schon durch Nachverdichtung beispielsweise in der Innenstadtermöglicht haben. Die Ausweisung von Neubaugebieten spielt ebenso eine Rolle.

Das zweite Thema ist die Wirtschaft und deren Wachstumsperspektiven.

Herrera Torrez: Wir haben den bestehenden Unternehmen Raum gegeben zu wachsen und Arbeitsplätze zu schaffen. Warema hat ein neues Werk mit 700 Arbeitsplätzen am Bettinger Almosenberg angesiedelt. In Gesprächen sagen mir Unternehmer immer öfter, dass sie zurzeit nicht unbedingt neue Flächen brauchen, sondern qualifizierte Mitarbeiter. Die Zahl der Arbeitsplätze in Wertheim ist zuletzt gestiegen, wie die Statistiken zeigen. Das Thema ist insgesamt eine Daueraufgabe.

Wie steht es um den Themenkomplex Umweltschutz und Nachhaltigkeit?

Herrera Torrez: Klimaschutz ist das Mega-Thema der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Das Ziel, Wertheim zu einer klimaneutralen Kommune zu machen, steht. Hier spielen der kommunale Wärmeplan und erneuerbare Energien eine große Rolle. Die Wasserstoff-Allianz kann ein echter Game-Changer sein. Wenn es gelingt, den Strom aus erneuerbaren Energien direkt bei uns zu nutzen, um Wasserstoff herzustellen und damit dann die energieintensiven Betriebe in Wertheim zu versorgen und gleichzeitig die bei der Herstellung entstehende Abwärme zu nutzen, dann wäre das ein echter Mehrwert.

Dann haben Sie noch die Betreuungs- und Bildungslandschaft im Programm.

Herrera Torrez: Wir sitzen hier in der rundum erneuerten Otfried-Preußler-Schule quasi mittendrin. Als nächstes haben wir den Neubau der Grundschule in der Nähe des Gymnasiums vor der Brust. Kontinuierlich wurden und werden Kitas ausgebaut. Die Leistungen des Familienpasses zu stärken, war eine sehr kluge Entscheidung des Gemeinderats – sowohl was die prozentuale Förderung als auch was die Stufen betrifft. Sehr viele Kinder und Familien profitieren davon und erhalten Ermäßigungen an den Kitas. Das war aus meiner Sicht einer der wichtigsten Beschlüsse des Gemeinderats in den vergangenen Jahren.

Ein weiterer Punkt ist das soziale Miteinander und der gesellschaftliche Zusammenhalt.

Herrera Torrez: Wenn ich mir vor Augen führe, durch welche Krisen wir gegangen sind und wie gut wir das als Gesellschaft in Wertheim gemeistert haben, bin ich sehr froh und dankbar. Nach dem rassistischen Anschlag in Hanau gab es aus der Zivilgesellschaft heraus wenige Tage später eine große Solidaritätskundgebung auf dem Marktplatz über alle politischen Parteien hinweg. Auch nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine gab es eine Kundgebung. Durchaus vorhandene Spannungen sind nicht eskaliert. Nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien rief die Spendenaktion des Fußballvereins Türkgücü große Resonanz hervor. Der gesellschaftliche Zusammenhalt innerhalb unserer Großen Kreisstadt ist sehr stark.

Bürgernähe und Bürgerbeteiligung sind eine weitere Prämisse Ihrer Kommunalpolitik. Das war auch ein zentrales Element Ihres Wahlkampfes.

Herrera Torrez: Das sind Grundpfeiler in der Entwicklung unserer Projekte. Gutes Beispiel: Die Entwicklung des Geländes der ehemaligen Schweizer Stuben in Bettingen. Hier gab einen intensiven Beteiligungsprozess, der auch viel Arbeit gemacht hat. Ich biete regelmäßig Bürgersprechstunden an, die sehr gefragt sind, und wir haben zu Beginn jeder Gemeinderatssitzung die Bürgerfragestunde sowie die Reihe „Rathaus vor Ort“. Seit letztem Jahr steht der Online-Melder zur Verfügung, wo die Bürger Probleme digital melden können. Jetzt sind wir mittendrin beim Thema Jugendbeteiligung. Der Achterrat der Schüler hat seine Arbeit begonnen. Wir werden das ausbauen, so dass die Achtklässler weiterhin mitmachen können. Ein weiteres Beispiel: Auch der Stadtteilbeirat Innenstadt ist ein wichtiges Instrument der Beteiligung.

Sie hatten auch die Entwicklung eines Familienzentrums in Bestenheid in Aussicht gestellt. Was ist daraus geworden?

Herrera Torrez: Auch dieses Vorhaben musste wegen der Corona-Pandemie zunächst zurückstehen. Aber inzwischen haben wir erste, gute Gespräche geführt. Wir bereiten jetzt eine Auftaktveranstaltung mit allen relevanten Akteuren in Bestenheid vor und steigen so in die Entwicklung eines Konzepts für das Familienzentrum ein.

Schließlich geht es bei Ihren Vorhaben noch um die moderne und digitale Stadtverwaltung. Was hat sich diesbezüglich getan?

Herrera Torrez: Wir haben mittlerweile einen digitalen Sitzungsdienst. Das aufgelegte Nachwuchs-Führungskräfte-Programm hat stattgefunden. Dies hat dafür gesorgt, dass wir Positionen mit eigenen Leuten besetzen konnten. Das neue Bürger- und Servicezentrum wird im Herbst an den Start gehen. Die Digitalisierung der Verwaltungsleistungen schreitet voran. Die Software MS 365 wird eingeführt. Kurzum: Wir arbeiten konsequent an den Themen.

Ein Projekt, das für die meisten am sichtbarsten wäre, ist „Begegnen und Leben am Wasser“. Jüngst sprachen Sie davon, dass die Flussufer in Wertheim „neben der Burg einer der tollsten Orte, an denen man sich aufhalten kann“, seien. Wann werden wir hier konkrete Änderungen sehen?

Herrera Torrez: Dass wir diese Flächen für Parkraum verwenden, ist sehr schade. Wir haben kürzlich dem Gemeinderat bei einer Klausurtagung Pläne vorgestellt, um ein neues Sanierungsgebiet zu schaffen, das die Bereiche entlang der beiden Flussufer umfasst und das Areal jenseits der Bahngleise und den Bahnhof einbezieht. Mit der Ausweisung können Städtebau-Fördergelder des Landes und des Bundes für den öffentlichen Raum generiert werden. Im weiteren Verlauf des Projekts können wir die Ergebnisse der aktuellen Befragung zur Innenstadt einfließen lassen. Das Vorhaben ist über einen längeren Zeitraum angelegt, schon weil es Millionensummen erfordert. Das Tolle ist, dass wir Mittel aus dem Bundesprogramm „Lebendige Zentren“ bekommen haben. 100 000 Euro stehen für einen ersten Planungsaufschlag zur Verfügung.

Wann werden erste Ergebnisse zu sehen sein?

Herrera Torrez: Wir stehen ganz am Anfang eines Riesenprojekts. Wenn ich Bürgerbeteiligung ernst nehme, kann ich noch keinen Zeitpunkt nennen, weil ich dann das Ergebnis vorwegnehmen würde. Es ist auch völlig klar: Ein solches Projekt können wir nur mit Fördermitteln realisieren. Ob wir die bekommen, wird sich voraussichtlich im nächsten Jahr entscheiden, wenn wir mit den zuständigen Ministerien in Stuttgart in Kontakt treten.

Der städtische Haushalt ist strukturell immer noch etwas in Schieflage. Das Regierungspräsidium fordert, den Ergebnishaushalt zu stärken, um Mittel für Investitionen erwirtschaften zu können. Was werden Sie tun, um weiter über Geld für Investitionen verfügen zu können?

Herrera Torrez: Wir haben derzeit ausreichend Mittel für Investitionen. Der vorläufige Abschluss des Haushaltsjahres 2022 ist erneut deutlich besser, als die Planungen vorgesehen hatten. In der mittelfristigen Finanzplanung bilden wir die großen Vorhaben ab und schauen, wie viel Geld wir in den nächsten fünf Jahren zur Verfügung haben. So klären wir, welche Projekte wir angehen. Zu Beginn des Verfahrens waren wir bei einem Betrag von 130 Millionen Euro. In der Realität können wir aber mit den vorhandenen Mitteln nur die Hälfte schaffen, ein maßvoller Anstieg der Schulden eingerechnet. Wir haben uns jetzt auf eine Investitionssumme von rund 70 Millionen Euro bis 2027 geeinigt, also etwa 17 Millionen Euro pro Jahr. Wir sind leistungsfähig und wollen als Kommune nicht ständig das Sparschwein füttern. Es ist unsere Aufgabe, das vorhandene Geld im Sinne der Bürgerinnen und Bürger auszugeben.

Blicken wir konkreter in die Zukunft. Welche Projekte werden bis zum Ende Ihrer Amtszeit erledigt sein?

Herrera Torrez: Die Einschätzung ist nicht ganz leicht, denn wir haben ja krisenhafte Zeiten mit vielen Unsicherheiten erlebt. Aber ich bin zuversichtlich: Der Bau der neuen Grundschule „Oben am Knackenberg“ wird sich sicher in Planung befinden. Die neue Dreifeldturnhalle am Gymnasium wird in Benutzung sein. Wir werden wissen, in welchen Bereichen neue Windkraftanlagen entstehen können. Und die Jugendbeteiligung wird sich etabliert haben.

Aus heutiger Sicht: Werden Sie 2027 wieder zur Wahl antreten? Bleibt es bei der Wertheimer Kommunalpolitik oder streben Sie möglicherweise ein Amt auf Landes- oder Bundesebene an?

Herrera Torrez: In diesem Gespräch habe ich Ihnen viele Projekte, Aufgaben und Themenfelder dargelegt. Ich glaube, ich habe deutlich gemacht, wie viel Freude mir die Arbeit in Wertheim macht. Deswegen ist klar, dass ich an den Themen sehr gerne weiterarbeiten möchte. Ob ich das darf, entscheiden die Bürgerinnen und Bürger. Dem schaue ich mit Demut entgegen. Ja, ich möchte es auch über die bestehende Amtszeit hinaus tun.

Geht Ihre Fußballerkarriere langsam zu Ende?

Herrera Torrez: Ich merke, dass meine Geschwindigkeit auf dem Platz nachlässt und habe entschieden, nach dieser Saison noch eine weitere zu spielen. Mit dann 36 Jahren darf man mit dem aktiven Fußballspielen aufhören.

Redaktion Reporter Wertheim

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