Bestenheid. Bahn sechs gehört Rüdiger Uecker. Kraulend gleitet der 80-Jährige durchs Wasser. Seit seiner Pensionierung im Jahr 2006 kommen Uecker und seine Frau Anita (78) während der Saison jeden Morgen ins Freibad in den Christwiesen. Schon kurz vor der Öffnung warten die Frühschwimmer vor den Drehkreuzen darauf, dass Bademeisterin Sabrina Perleth das Bad öffnet. Um 9.30 Uhr ist es soweit.
Zügig geht Rüdiger Uecker in Richtung Schwimmerbecken: Er legt seine Kleidung auf einer der weißen Bänke ab und duscht sich kurz ab. Die Wasserfläche des 50 Meter langen Beckens liegt einsam und ruhig da, bevor Uecker ins Wasser springt. 1500 Meter wird er in einer Dreiviertelstunde schwimmend zurücklegen.
Viele Frühschwimmer nutzen das Freibad
Neun Frühschwimmer sind es an diesem Montag bei bestem Badewetter, die den Sprung ins kühle Nass wagen. Obwohl kühl die Temperatur des Wassers eigentlich nicht korrekt beschreibt – 23,4 Grad hat das Wasser dank Solarheizung und Wärmepumpe. Für die meist älteren Stammgäste des Bades sind diese Temperaturen gar keine Herausforderung.
Im Frühsommer, als die Wärmepumpe des Bades für längere Zeit ausgefallen war, zogen die Schwimmer bei 18 Grad Wassertemperatur ihre Bahnen. „Das ist Gewöhnungssache“, sagt Inge Lamott (69), die ebenfalls täglich als eine der Ersten ins Freibad kommt.
Während die Schwimmer ihren Frühsport absolvieren, bereitet das Personal den Badetag vor. Betriebsleiter Ingo Ortel pustet mit dem Laubbläser Rasenschnitt und kleine Blätter von den Wegen. Ab und zu grüßt der Bademeister einen der Schwimmer. Ortel kennt die zirka 50 Stammgäste, die bereits in der ersten Stunde nach Öffnung im Bad sind mindestens vom Sehen.
Je später es wird, desto mehr Besucher kommen ins Bad. Heute bleibt ihre Zahl überschaubar. An sehr warmen Tagen im Hochsommer können es dagegen bis zum Mittag bereits bis zu 500 Badebegeisterte sein, sagt Ortel. Er erwartet in dieser letzten Ferienwoche, die zugleich die letzte Öffnungswoche des Freibads ist, trotzdem noch einmal einen ordentlichen Besucherzustrom. Immerhin kündigt der Wetterbericht Sonne und Wärme an.
Über 70 000 Badegäste in dieser Saison
„Im Moment steuern wir die 69 000 an. Am Ende der Saison werden wir sicher über 70 000 Badegäste erreicht haben“, schätzt Ortel. Damit fällt das Saisonergebnis besser aus, als noch vor einigen Wochen befürchtet. Sein Chef Thomas Beier ist noch etwas zuversichtlicher: „73 000 oder 74 000 werden es am Ende sein. Damit wäre es dann eine überdurchschnittlich gute Saison. Wir sind etwas schwach gestartet, dann hat der Sommer grandios losgelegt, bevor es wieder Regentage gab“, bilanziert Beier, der nun auf die letzten Sonnentage setzt.
Anders als der durchschnittliche Nutzer lassen sich echte Frühschwimmer nicht von Regen und einem bewölkten Himmel abschrecken. „Da ich kraule, bin ich sowieso fast komplett unter Wasser“, sagt Rüdiger Uecker. Sein Tagesstart im Sommer ist auf das Schwimmen ausgerichtet: Erst frühstücken seine Frau und er, dann fahren sie aus dem Hofgarten ins Freibad. „Arzttermine gibt es bei mir nicht vor 10.30 Uhr“, sagt Uecker. Da er bereits so lange dabei ist, kennt der 80-Jährige alle Tricks und Kniffe, wenn es ums Freibad geht. „Ich dusche immer als Erster. Der Erste bekommt nämlich noch etwas wärmeres Wasser ab“, verrät er.
In dieser Saison neu im Kreis der Frühschwimmer ist Eva Warmuth. Die 64-Jährige fährt extra aus Helmstadt ins Freibad nach Bestenheid. Ihre Schwimmzeit ist ab 10.30 Uhr. „Mein Lebensgefährte hat das Bad beim Radfahren entdeckt. Es ist einfach ein Traum: wenig los und die Leute, die da sind, sind sehr nett“, schwärmt sie. Warmuth ist so begeistert vom Freibad in den Christwiesen, dass sie ihre Schwester überzeugt hat, künftig auch hierher zu kommen. „Ich sollte nicht so viel Werbung machen, sonst kommt bald jeder her“, sagt sie und lacht.
Mehr Stammgäste
780 Saisonkarten für das Freibad in den Christwiesen wurden in diesem Jahr verkauft. 87 mehr als in der vorherigen Saison. Betriebsleiter Ingo Ortel führt dies auf das hervorragende Badewetter des Jahres 2022 zurück. Weiterer Grund könnten ukrainische Flüchtlinge sein, die das Angebot der Saisonkarte gerne 2023 nutzten.
Badesaison endet am 10. September
„Das ist pure Entspannung für mich. Ich genieße die Schwerelosigkeit“, beschreibt Ruth Diehm ihr morgendliches Badeerlebnis. Die 70-Jährige aus dem Hofgarten ist eine ehemalige Arbeitskollegin von Inge Lamott und durch das Frühschwimmen intensivierte sich ihr Kontakt. Die Zeit während des Schwimmens und die am Beckenrand nutzen die Freundinnen gerne für einen Plausch. „Normalerweise mache ich meine Stunde und dann geh’ ich wieder heim“, berichtet Lamott. Heute ist die 69-Jährige spät dran: Ruth Diehm konnte drei Wochen lang erst später zum Schwimmen kommen, so dass die beiden Frauen sich immer verpassten. Entsprechend viel gibt es zu besprechen. Mit etwas Wehmut blicken die Frühschwimmer nun auf das Ende der Woche: Am Sonntag, 10. September, hat das Freibad letztmals geöffnet. „Ich ärgere mich jetzt, dass ich letzte Woche wegen des Wetters ausgesetzt habe. Das Wasser ist so schön warm“, gibt Eva Warmuth ihren „Anfängerfehler“ zu. Rüdiger Uecker wird ab kommender Woche wieder zum Nordic Walking und ins Fitnessstudio gehen. Das Freibad werde er vermissen, sagt er. Denn: „Mit dem Schwimmen startet der Tag richtig schön.“
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