Bronnbach. Der erste Schnitt kostet Überwindung. Doch nur mit Kraft lassen sich die Zähne der Handsäge durch das trockene Holz bewegen. Ritsch-ratsch, ritsch-ratsch, ritsch-ratsch – knack. Der letzte Rest des Astes ist abgebrochen. Sanft bläst der Wind durch die Blätter des Spitzahorns und treibt mir die feinen Sägespäne ins Gesicht.
Ich blinzle und drehe mich zu Andreas Schätzlein, der mit mir im Korb der Hebebühne steht. „Wie kann ich das verhindern?“, frage ich. „Indem du die Augen zu machst oder ...“, antwortet er und klappt kurzerhand das Schutzschild meines Helms herunter. Dass der auf meinem Kopf sitzt, hatte ich fast vergessen. Genau wie den Klettergurt, den ich um die Hüfte trage und der über eine Öse, einen Karabiner und ein Seil mit dem Metallgestänge der Hebebühne verbunden ist.
Ich lasse den Blick schweifen: Unter uns liegt der Abteigarten des Klosters Bronnbach. Der Brunnen im Zentrum der Anlage plätschert. Eine Schülergruppe pflückt Beerenobst im Naschgarten. Es ist die perfekte Kulisse für meinen Arbeitstag als Baumpflegerin. Andreas Schätzlein steuert den Korb weiter durch die Baumkrone. Geschickt duckt er sich unter den dicken, mit samtgrünen und gelben Flechten bewachsenen Ästen weg.
Vier Bäume vor der Klosteranlage und weitere an der Straße beziehungsweise in der Auffahrt zum Parkplatz werden Andreas und sein Mitarbeiter Alex Herber heute im Auftrag des Landratsamts beschneiden.
„In Deutschland besteht Verkehrssicherungspflicht. Das bedeutet, dass kein Dritter durch mein Eigentum verletzt werden darf. Totholz wird beispielsweise ab drei Zentimetern Durchmesser als gefährlich eingestuft. Fällt es herunter und trifft jemand, haftet der Eigentümer“, erklärt der 29-Jährige.
Neben den Sicherungsmaßnahmen gehören der Naturschutz und der Erhalt von Bäumen zum Beruf des Baumpflegers. Schätzlein vermutet, dass in Zukunft mehr Arbeit auf ihn und seine Kollegen zukommen wird. „Den Klimawandel sieht man akut an den Bäumen – sowohl im Wald als auch in der Stadt. Dadurch nehmen Krankheiten in den Bäumen zu.“
Rosskastanie ist ein Pflegefall
Andreas hebt abgestorbene Äste aus dem Ahorn und lässt sie zu Boden fallen. Andere Äste sitzen zwar noch fest, sind aber ebenfalls tot. Diese schneidet der Baumpfleger mit seiner Säge ab. Dabei achtet er darauf, an welcher Stelle und in welchem Winkel er das Holz kappt. Bei lebendem Holz darf der Durchmesser des Schnitts zudem nicht größer als acht Zentimeter sein, so sehen es die Regelwerke für Baumpfleger vor. „Ein Baumpfleger muss den Baum verstehen und lesen können“, betont Andreas.
Davon, was passiert, wenn ein Baum nicht sachgemäß geschnitten wird, zeugt eine Rosskastanie, die auf der Seite des Abteigartens steht. „Sie ist ein Dauerpflegefall“, bedauert Schätzlein. Vor Jahren war die Krone des Baumes gekappt worden. Der Pflanze gelang es nicht, die große Wunde des brachialen Rückschnitts zu überwachsen. Pilze setzten sich in das Holz, das zu faulen begann. Da der Baum weiter wachsen will, treiben neben der Schnittstelle nun dünne Stämmlinge aus.
„Sie haben keinen Schluss zum Holzkern und gleichzeitig fault dieser. Deshalb sind die Triebe akut ausbruchgefährdet, vor allem wenn der Wind angreift. Damit der Baum kein Sicherheitsrisiko mehr darstellt und auch nicht gefällt werden muss, schneiden wir die Äste zurück“, erklärt Andreas, wie er bei der Pflege des Baums vorgegangen ist. Gut drei Meter hat er den Baum eingekürzt. Der Laie bemerkt das nur, solange die belaubten Äste noch unter dem Baum liegen, denn der Schnitt fügt sich in den natürlichen Wuchs ein.
Kräftiges Zupacken nötig
Schätzlein steuert den Korb der Hebebühne nun vom Ahorn hinüber zur Rotbuche. Er überreicht mir eine lange Stange, an deren Spitze eine Handsäge befestigt ist. Bis auf 4,50 Meter lässt sich der Teleskopstab ausfahren. „Damit sammelst du jetzt das Totholz aus der Krone“, beauftragt er mich.
Also balanciere ich Säge und Stab zwischen den Ästen hindurch und merke schnell: Auch dieser Part der Arbeit fordert Muskelkraft. Ich erreiche einen armdicken, morschen Ast und rucke. Nichts passiert. „Wenn Gewalt nicht hilft, hilft mehr Gewalt“, ermutigt mich Andreas, kräftiger zuzupacken. Nächster Versuch: Der Ast bricht ab und fällt zu Boden. Unter uns trägt Alex die großen Äste auf einen Haufen, denn auch das Aufräumen des Schnittguts gehört zum Service der Baumpfleger. „Das ist ein Kulturdenkmal, entsprechend muss hier alles pieksauber sein, wenn wir weg sind“, sagt Andreas. Später lädt er mit dem Greifer eines Rückewagens die abgeschnittenen Äste auf. Ich darf mich mit dem Laubbläser versuchen.
Dass an dieser Stelle Maschinen zum Einsatz kommen, hat einen einfachen Grund: Sie schonen die Körper der Baumpfleger. „Wenn man den ganzen Tag körperlich arbeitet, ist man froh um alles, das man mit der Maschine machen kann.“
Verletzungsgefahr ist hoch
Einen Eindruck davon, wie anstrengend die Arbeit eines Baumpflegers ist, bekomme ich an diesem Tag: Schweres Heben, Sägen über Kopf und nicht zuletzt das Baumklettern beanspruchen den Körper. Der Sommerhitze entgehen die beiden Männer, in dem sie früh am Morgen mit der Arbeit beginnen.
Vor den Minusgraden im Herbst und Winter gibt es kein Entkommen. Wind und Wetter machen die Arbeit jedoch nicht nur ungemütlich, sondern auch gefährlich. „Die Verletzungsgefahr ist nicht unerheblich. Ich hatte die letzten fünf Jahre immer wieder Kollegen aus dem näheren Kreis, die sich schwer oder schwerst verletzt haben. Man kann vom Baum fallen, von einem Ast getroffen werden oder sich an den Maschinen verletzen“, fasst Andreas die Gefahren zusammen. Umso wichtiger seien Arbeitssicherheit und Erfahrung.
Hintergrund: Wege in den Beruf des Baumpflegers
Eine klassische Ausbildung zum Baumpfleger gibt es nicht. Da die Berufsbezeichnung nicht geschützt ist, darf sich prinzipiell jeder Baumpfleger nennen.
Die Qualifikation erfolgt laut dem Fachverband für Baumpflege über verschiedene Lehrgänge zum Beispiel zur Arbeitssicherheit am Baum, zwei Kursen zur Seilklettertechnik ohne und mit Kettensäge. Wer ein Jahr Erfahrung in der Baumpflege/-kontrolle vorweisen kann, kann sich in einem Aufbaulehrgang zum Baumkontrolleur weiterbilden lassen. Außerdem gibt es die internationalen Qualifikationen European-Treeworker und European-Tree-Technician. Beide entsprechen keiner regulären Ausbildung, können aber nur mit einer bestimmten Arbeitserfahrung absolviert werden.
Andreas Schätzlein arbeitet seit gut zehn Jahren als Baumpfleger, die ersten Erfahrungen sammelte er noch während seines Forstwirtschaftsstudiums. Seither bildete er sich stetig fort. Bevor er sich mit seinem Unternehmen in Helmstadt hauptberuflich selbstständig machte, arbeitete Schätzlein unter anderem für das Umweltministerium und als Ranger im Spessart.
Dass die Berufsbezeichnung „Baumpfleger“ kein geschützter Begriff und kein klassischer Ausbildungsberuf ist, bedauert Schätzlein. Der Kletterschein für den Bau sei auch für Quereinsteiger schnell gemacht, oft fehle aber die nötige Sachkunde für die Arbeit am Baum. In der Folge würden Bäume eingekürzt, die überhaupt nicht geschnitten werden müssten. kabu
Am frühen Nachmittag geht es auf den Feierabend zu: Doch zuvor steht noch eine der vier Linden neben dem Parkplatz auf unserem Plan. Hier kommen wir mit der Hebebühne nicht an die Baumkrone heran. Wir werden klettern.
Die beiden Baumpfleger bereiten alles vor: Andreas wirft ein mit Bleikugeln gefülltes Säckchen, an dem eine Schnur befestigt ist, über eine Astgabel. An der Schnur hat er wiederum das Kletterseil befestigt, das er nun in den Baum zieht und schließlich am Stamm festknotet. Er prüft seinen Klettergurt, hängt die Karabiner ein und legt die Fußschlaufen an, mit deren Hilfe er sich dann leichtfüßig nach oben bewegt. Bei ihm sieht es aus wie Treppensteigen.
Ich dagegen quäle mich wenige Minuten später den Stamm empor. Alle Muskeln brennen. Ich keuche und mein Herz klopft schnell. „Komm, kurz ausruhen und dann geht’s weiter“, feuert mich Andreas an, der in der Krone hin- und herspringt und Äste schneidet. Ich klammere wenige Meter unterhalb der Krone am Stamm und atme den holzigen Geruch der Rinde. Schließlich raffe ich mich auf, ziehe mich die letzten Zentimeter empor und lehne mich in eine Astgabel. Geschafft.
Der Ausblick entlohnt mich für die Anstrengung. Wieder bewegt der Wind die sattgrünen Blätter. Die Sonnenstrahlen glitzern zwischen den Ästen. Die nahe Tauber rauscht. Andreas sitzt in seinem Klettergurt zwischen den Zweigen. Einfach im Baum sitzen, das tue er an einem normalen Arbeitstag nicht, sagt er. Ich frage, was ihn an seiner Arbeit fasziniert: „Es ist für mich einfach der schönste Beruf der Erde. Ich arbeite in und mit der Natur“, sagt er. Und: „Das Klettern ist zwar spektakulär, aber am Ende nur Mittel zum Zweck. Es geht darum, dem Baum etwas Gutes zu tun.“
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