Medizinische Versorgung:

Erste Menschenleben im Bürgerspital Wertheim gerettet

Der Betrieb läuft nach und nach an, auch wenn im Krankenhaus 3.0 die Belegung noch schwankt. Chef Alexander Gläser erklärt das Geschäftsmodell seines Unternehmens und wie es sich neue Märkte erschließen will.

Von 
Gerd Weimer
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Alxander Gläser, Geschäftsführer des Bürgerspitals. © Gerd Weimer

Das Wichtigste in Kürze

- Das Bürgerspital Wertheim rettet erste Menschenleben und sichert medizinische Versorgung. - Geschäftsführer Alexander Gläser erklärt das Geschäftsmodell mit Fokus auf Adipositas-Chirurgie. - Das Krankenhaus erhält städtischen Zuschuss, um Defizite zu decken und neue Märkte zu erschließen.

Wertheim. Der Handwerker ist gekommen, um die elektrische Schiebetür am Eingang zu überprüfen. Den Auftrag dafür bekam er aber nicht vom jetzigen Eigentümer des Krankenhausgebäudes, also der Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg), sondern den Rotkreuzschwestern, unter deren Regie die Klinik in die Insolvenz rutschte. Nach einer kurzen Diskussion mit dem Steg-Techniker rückt der Mann unverrichteter Dinge ab. Es muss erst geklärt werden, ob die Wartungsverträge überhaupt noch gültig sind.

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Solche Randerscheinungen dürften derzeit im Wertheimer Krankenhaus 3.0 - so könnte man es nennen, weil es nach der Stadt und den Münchner Schwestern nun den dritten Betreiber gibt - öfter zutage treten. Zu einem Neubeginn gehören immer auch Dinge, die nicht ad hoc zu klären sind. Klar ist hingegen, dass die Zentrale Notaufnahme wieder geöffnet ist. Obwohl vorerst nur montags bis freitags geöffnet, ist sie doch ein wichtiger Bestandteil der medizinischen Versorgung für die Menschen in Wertheim und Umgebung.

“Der medizinische Bedarf ist vorhanden“

Alexander Gläser berichtet im FN-Gespräch vor Ort, dass sich „die Sprechstunden in der Allgemein- und Viszeralchirurgie als auch in der Orthopädie und der Adipositas-Chirurgie sehr gut füllen“. Das seien „super Nachrichten, denn es zeigt, dass die Pipeline sich füllt und der medizinische Bedarf vorhanden ist.“ Das operative Tagesgeschäft laufe an, das Aufkommen schwanke allerdings noch. Es habe schon Tage gegeben, an denen alle sechs der bereitgestellten Betten auf der Intensivstation belegt waren. An anderen Tagen bleibe die Station leer.

Mittlerweile liegen zwei Dutzend Patienten regelmäßig im Bürgerspital, die stationär aufgenommen und versorgt werden müssen. „Wir haben schon sehr vielen Menschen helfen können, auch in kritischen Situationen. Die ersten Menschenleben konnten schon gerettet werden“, sagt Gläser.

Alexander Gläser ist der Geschäftsführer des Bürgerspitals und damit einer der Retter des Krankenhauses, für das die Wertheimer seit der Pleite der Rotkreuzklinik kämpfen. Sein Konzept überzeugte Stadtverwaltung und Gemeinderat, die dafür die vertraglichen Grundlagen schufen. Der Plan, neben dem Kerngeschäft mit übergewichtigen Patienten, ein privatwirtschaftliches Haus der Grund- und Regelversorgung samt Notfallaufnahme mit Hilfe öffentlicher Gelder zu betreiben, ist nicht unumstritten. Es gab bekanntermaßen kritische Fragen aus dem Landratsamt. Steuergelder könnten für wirtschaftliche Risiken privater Unternehmen nur sehr eingeschränkt eingesetzt werden, ließ Landrat Christoph Schauder erklären.

Unternehmen unterliegt strikten Vorgaben

Die Bedenken kommen nicht von ungefähr: „Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert“, wenden Kritiker gegen solche Konstellationen ein. Private Investoren sichern sich die Profite, während finanzielle Risiken und Verluste auf die Allgemeinheit, also die Steuerzahler, abgewälzt werden. Das führt oft zu ungleicher Verteilung von Chancen und Lasten, bei der der Gemeinwohlauftrag des Staates vernachlässigt wird.

Er kann die Bedenken durchaus nachvollziehen, sagt Alexander Gläser. Allerdings habe man das Konstrukt Bürgerspital rechtlich und wirtschaftlich so aufgestellt, dass eine Übervorteilung der öffentlichen Hand nicht zu Tage treten werde. Weil das Bürgerspital in der rechtlichen Form einer gemeinnützigen GmbH agiert, unterliege das Unternehmen strikten Vorgaben, deren Einhaltung von den Finanzbehörden streng kontrolliert würden. Es sei zum Beispiel „ausgeschlossen“, dass ein Geschäftsführer oder andere Angestellte mit übertrieben hohen Gehältern ausgestattet werden, um Mittel auf diese Art und Weise indirekt auszuschütten. Gehälter müssten in Relation zu den erbrachten Leistungen stehen. Die gemeinnützige GmbH darf keinen Gewinn erzielen oder muss einen solchen dem satzungsmäßigen Zweck zuführen.

Geschäftsmodell mit mehreren Säulen

Das Geschäftsmodell des Bürgerspitals basiert auf mehreren Säulen. Neben der Grund- und Regelversorgung und der Notfallaufnahme sollen in dem Krankenhaus künftig auch alle gesetzlich versicherten Adipositas-Patienten (Übergewichtige) in den Rechnungskreis des Bürgerspitals integriert werden, so Gläser. Die Einnahmen der Betreibergesellschaft stammen aus diesen beiden Geschäftsbereichen. Damit soll laut Alexander Gläser auch das Defizit der Notaufnahme gemindert werden.

Allerdings reiche diese „Quersubventionierung“ bei weitem nicht aus. „Ein durchschnittlicher Notfallpatient bringt uns 40 Euro, kostet aber etwa 400 Euro“, rechnet Gläser vor. Deswegen sei der vereinbarte städtische Zuschuss von bis zu 2,75 Millionen Euro unverzichtbar, um wenigstens auf eine schwarze Null zu kommen. Fällt das Defizit höher aus, trage dies das Bürgerspital. „Das ist unser unternehmerisches Risiko“, erklärt Gläser, der daran erinnert, dass unter der Ägide der Rotkreuzschwestern unterm Strich bis zu sechs Millionen Euro Verlust pro Jahr standen.

„Des Profits wegen machen wir das nicht“, erklärt der Geschäftsführer und ergänzt: „Das würde wahrscheinlich kein Unternehmer so tun“. Sein Unternehmen hätte auch drei Privatkliniken übernehmen können, die momentan auf dem Markt angeboten werden. Das betriebswirtschaftliche Ergebnis würde doppelt so hoch ausfallen. Der Reiz an dem Wertheimer Projekt: „Wir können uns selbst beweisen, dass wir den Marktzugang in das Kassengeschäft mit unserer Spezialisierung auf minimalinvasive Adipositas-Chirurgie schaffen.“

Lukrativer Markt mit hohem Wachstumspotenzial

Dahinter steckt das Kalkül, dass die Kassen die Kosten für solche Behandlungen verstärkt übernehmen werden, weil für dies für sie wegen der hohen Folgekosten bei Fettleibigkeit die günstigere Variante ist. Mit dem Bürgerspital erschließt sich die Unternehmensgruppe also einen lukrativen Markt mit hohem Wachstumspotenzial, denn 85 Prozent der Leute sind gesetzlich versichert. „Wir haben uns als Anbieter für Privatpatienten das komplette Rüstzeug auf diesem Gebiet erarbeitet. Dann ist es doch selbstverständlich, dass wir das einem größeren Kreis anbieten wollen“, erklärt Gläser. Dies schaffe Anerkennung auf dem Markt – eine Voraussetzung für den weiteren Erfolg. „Wir wollen ein respektiertes Unternehmen sein und mit dem Bürgerspital-Projekt beweisen, dass wir in der Lage sind, neue Märkte zu erschließen.“

Hintergrund: Alexander Gläser und die Westfalenklinik-Gruppe

Der gebürtige Wertheimer Alexander Gläser (Jahrgang 1985) studierte nach dem Abitur in Mannheim und Sydney (Australien) Wirtschaftswissenschaften.

Anschließend arbeitete er unter anderem bei der Lufthansa im Marketing-Bereich. Den Weg in die Medizin-branche fand er über die Medical One AG, die auf dem Gebiet der Schönheitschirurgie und plastische Chirurgie tätig ist. Später war er bei einer Unternehmensberatung tätig.

Zusammen mit seinem Geschäftspartner Peter Henscheid gründete er mehrere Unternehmen, die in der kosmetischen Gesundheitsbranche tätig sind, darunter die Westfalenklinik-Gruppe mit Hauptsitz in Dortmund.

Die Gruppe verfügt über sechs Standorte in Deutschland und den Niederlanden. Bis Jahresende will sie nach eigenen Prognosen bis zu 400 Leute beschäftigen. wei

Redaktion Reporter Wertheim

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