Dietenhan. Tanja Grohme hat es sich auf einer Bank im Schatten großer Laubbäume an ihrem Lieblingsplatz gemütlich gemacht. Das plätschernde Wasser aus dem nahen Brunnen hat eine beruhigende Wirkung. „Es ist immer schön hier. Aber für mich ist der Platz mit vielen Kindheitserinnerungen verbunden. Wenn ich bei meinen Großeltern in Dietenhan zu Besuch war, hat sich hier schon immer alles abgespielt“.
Tanja Grohme erinnert sich an etliche Silvesterabende, an denen die Familie auf diesem Platz die Raketen abgeschossen hat. „Wenn wir nach Dietenhan gekommen sind, hat mein Opa immer auf diesem Bänkle gesessen und uns hier erwartet.“ Tanja Grohme muss lächeln. Dieser Ort strahlt für sie durch den Brunnen und das viele Grün ringsherum eine besondere Ruhe aus.
Auf die Frage, wie oft sie hier sitze, sagt die Mutter zweier erwachsener Söhne: „Leider viel zu wenig.“ Das sei die ersten Jahre anders gewesen. Im Jahr 2014 ist Tanja Grohme nach Dietenhan gezogen, in den Ort ihrer unbeschwerten Kindheit, und hat das Haus der Großeltern ganz in der Nähe ihres Lieblingsplatzes übernommen.
Eine waschechte Dietenhanerin ist die neue Ortsvorsteherin somit nicht. „Wir sagen immer: a Halbe“, lacht sie. Aber sie habe sich schon immer in Dietenhan wohler gefühlt als beispielsweise in ihrer ursprünglichen Heimat Hardheim oder am früheren Wohnort Mannheim. Einen Namen hat der Platz übrigens nicht. „Seit ich denken kann, heißt es, wir treffen uns am Brunnen. Und jeder im Ort weiß, welcher Platz gemeint ist“.
Belebung gewünscht
Dass am Brunnen nur noch selten Feste stattfinden, bedauere sie zwar ein wenig – aber mit dem Bürgerhaus gebe es einen weiteren wichtigen Anlaufpunkt, an dem neuerdings das Dorffest stattfindet. Hoffnung habe sie dennoch, dass das Brunnenfest oder der Adventszauber an ihrem Lieblingsplatz wieder belebt wird. Belebung könnte auch durch das geplante Bürgercafé im früheren Feuerwehrhaus wieder einkehren. Doch das werde voraussichtlich noch ein wenig dauern.
Mit 330 Einwohnern ist das Dorf der kleineste Ort auf Wertheimer Gemarkung. „Für mich ist Dietenhan einfach Familie“, sagt die gelernte Kinderpflegerin und erzählt, dass sie gar nicht lange überlegen musste, als es um die Übernahme des Hauses ihrer Großeltern ging. „Hier gibt es immer noch einen guten Zusammenhalt von Jung und Alt– auch wenn es nach außen manchmal anders dargestellt wird. Hier kennt man sich noch. Und wenn jemand Hilfe braucht, kommt der Nachbar.“ Auch die „Neuzugänge“ werden in das Ortsgeschehen mit einbezogen.
Für Tanja Grohme hat die Hanglage des Dorfs inmitten von Grün etwas Besonderes an sich. „Hier kann man sich wie im Urlaub fühlen. Es ist trotz der paar Autos auf der Hauptstraße wirklich ruhig.“
Am meisten liebt sie jedoch das Zusammentreffen mit den älteren Herrschaften, wenn diese Geschichten aus der Vergangenheit erzählen. „In den kleinen Dörfern ist das trotz allen Fortschritts manchmal wie ein Stillstand der Zeit.“ Auch wenn einige Dietenhaner darüber den Kopf schütteln, so hat der oft zu hörende Spruch: „Das war schon immer so“, durchaus seine Berechtigung. Weil auch ihre Großeltern dies oft sagten, kam von ihr einmal die Frage, ob dies wohl der erste Satz sei, den man als Kind in Dietenhan lernen muss.
Auf die Frage, ob ihr genau dieser Satz ihre Arbeit als Ortsvorsteherin etwas erschweren könnte, sagt sie ganz klar: „Ja, das glaube ich“, und lacht. Denn so schnell lässt sich Tanja Grohme mit Floskeln nicht abspeisen, sondern fragt nach und argumentiert.
Großer Vorteil
Seit 2019 ist Tanja Grohme im Ortschaftsrat aktiv, kennt die Probleme und Herausforderungen des Dorfs. „Eigentlich wollte ich damals gar nicht in den Ortschaftsrat“, erinnert sie sich. Als sie mehrfach gefragt wurde, sagte sie sich: „Warum eigentlich nicht.“ Als großen Vorteil sieht sie, dass sie eben nur „eine halbe Dietenhanerin“ ist, manches mit etwas weniger Emotion betrachtet und mit neutralem Blick bewertet. Diese unparteiische Rolle will sie auch als Ortsvorsteherin beibehalten, im Gremium lediglich eine gleichberechtigte Rolle innehaben und keinesfalls als Chefin auftreten. „Ich bin nicht die große Rednerin. Aber das muss man auch nicht sein. Hauptsache man erledigt die Aufgaben.“
Der häufige Wechsel an der Spitze des Ortschaftsrats in den letzten Jahren macht Tanja Grohme nicht zu schaffen, auch nicht die regen Diskussionen der Bürger im öffentlichen Teil der Ortschaftsratssitzung. „Wir sind hier eine Gemeinschaft, die natürlich bei der Entwicklung des Ortes mitbestimmen will“, sagt Grohme und spricht von enormem Interesse der Bürger. „Wenn irgendwann einmal niemand mehr zu den Sitzungen kommt, dann kann man die Verantwortung auch einfach der Stadt übertragen“, meint sie.
Auf die Frage nach den zukünftigen Aufgaben sagt die neue Ortsvorsteherin: „Für mich ist wichtig, dass erst mal wieder Ruhe einkehrt, denn die Gemeinschaft ist ja da.“
Ein neues Baugebiet Richtung Kirche ist im Gespräch. Diskussionsbedarf sehe sie lediglich bei dessen Größe. Über den Platz dagegen war man sich recht schnell einig, „damit das Dorf wieder zur Kirche kommt“, sagt Tanja Grohme und lacht.
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