Schulalltag in der Pandemie - Kurz vor den Sommerferien sind die Diskussionen über den Unterricht im Herbst in vollem Gange

Diskussion um Luftfilteranlagen: Regelmäßiges Lüften ist das A und O

Das Land will sie mit 60 Millionen Euro fördern, der Städtetag bezweifelt ihre Sinnhaftigkeit, die Entscheidung soll letztendlich bei den Kommunen liegen: Über mobile Luftfilteranlagen für Klassenzimmer wird aktuell heiß diskutiert.

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Elisa Katt
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Die Viertklässler der Grundschule Nassig sitzen in Halbkreisen um die Tafel herum. Im Hintergrund der Luftfilter. © Elisa Katt

Main-Tauber-Kreis. In einem Zimmer im Neubau der Grundschule Wertheim-Nassig sitzen 25 Kinder in Halbkreisen um die Tafel herum. Es ist kurz nach 10 Uhr am Montag, die Viertklässler sind gerade aus der Pause zurückgekommen und haben nun Englisch. Während sie darüber diskutieren, wie die Hunde von Queen Elizabeth heißen, brummt an der Wand neben der Tafel ein großer schwarzer Kasten vor sich hin. Es ist eine mobile Luftfilteranlage, die seit dem Frühjahr im Klassenraum steht, weil man es nur schwer lüften kann.

„Im Altbau sind die Zimmer recht groß, im Neubau deutlich kleiner“, berichtet Schulleiterin Constanze Schwab. Kleine Fenster erschweren den Luftaustausch. 5000 Euro standen der Schule für Corona-Maßnahmen zur Verfügung, 3000 davon flossen in die Luftfilteranlage. „Für ein zweites Gerät hat es nicht mehr gereicht“, fügt Schwab hinzu. Stattdessen investierte die Schule in CO2-Messgeräte. „Um die nötige Qualität zu bekommen, muss man viel Geld in die Hand nehmen“, stellt die Schulleiterin in Bezug auf die Luftfilter fest. Auch zu laut dürften sie nicht sein: „Sie können keinen Helikopter ins Klassenzimmer stellen.“ Ob die Filteranlage sie beim Lernen stört? Eigentlich nicht, finden die Viertklässler. Außer vielleicht bei der Stillarbeit, wenn es im Zimmer besonders leise ist.

So wie in Nassig sollen zu Beginn des neuen Schuljahrs im Herbst in vielen Klassenzimmern in Baden-Württemberg mobile Luftfilteranlagen zu einem sicheren Unterrichtsbetrieb beitragen. Nachdem Ministerpräsident Winfried Kretschmann selbst lange an ihrem Effekt gezweifelt hatte, kündigte das Land Anfang vergangener Woche eine Förderung in Höhe von insgesamt 60 Millionen Euro zur Anschaffung solcher Anlagen an. Die andere Hälfte der Kosten sollen die Kommunen tragen. Die Geräte sind zunächst für Räume, die nicht belüftet werden können, sowie für die Klassenstufen ein bis sechs vorgesehen, da diese bisher kein Impfangebot haben.

Hintergrund: Debatte um mobile Luftfilteranlagen

Die Sommerferien rücken näher – und damit auch das neue Schuljahr im Herbst. Seit Monaten wird über Luftfilteranlagen an Schulen diskutiert, mit der Förderankündigung des Landes kochte der Streit erneut hoch. Wichtig ist es, zwischen mobilen Luftfilteranlagen – die das Land fördern will – und fest installierten Raumluftanlagen – für die es ein Förderprogramm des Bundes gibt – zu unterscheiden. Der Nutzen Letzterer ist nicht umstritten. Bei den mobilen Anlagen sieht das anders aus.

Das Umweltbundesamt hat die mobilen Geräte in einer Handreichung für Schulen nicht als Ersatz, „aber als Ergänzung zum aktiven Lüften“ eingeordnet. Kritikpunkt: Die Luftfilter sorgen – anders als stationäre Anlagen – nicht für einen Luftaustausch. „Natürlich helfen mobile Luftfilter gegen Viren – wenn es sich um geprüfte Geräte handelt und sie richtig im Klassenraum aufgestellt sind“, sagte Heinz-Jörn Moriske, Geschäftsführer der Innenraumlufthygiene-Kommission des Umweltbundesamts dem „Handelsblatt“.

Eine Studie der Universität Stuttgart im Auftrag der Stadt Stuttgart beschäftigte sich ebenfalls mit der Wirksamkeit mobiler Anlagen. Die Experten sprachen sich gegen den flächendeckenden Einsatz in Klassenzimmern aus. In einzelnen Klassenräumen, die zu kleine oder zu wenige Fenster haben, sollte aber der Einsatz mobiler Geräte oder der Einbau stationärer Filter geplant werden. Für die Studie wurden ein halbes Jahr lang an zehn Stuttgarter Schulen die Wirkung der Filter gemessen.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg begrüßte die Förderankündigung des Landes. „Wir sind sehr erleichtert, dass die Landesregierung endlich damit beginnt, die richtigen Weichen für einen sicheren und verlässlichen Präsenzunterricht im nächsten Schuljahr zu stellen“, sagte GEW-Landesvorsitzende Monika Stein. Bis zum Unterrichtsbeginn müssten an allen Schulen genügend Geräte zur Verfügung stehen. Klar sei auch, dass 60 Millionen Euro zwar ein Schritt in die richtige Richtung seien, aber bei weitem nicht ausreichen würden, um die Schulen auszustatten.

Deutlich skeptischer hat der Städtetag die Ankündigung der Landesregierung aufgenommen. Mobiles Lüften sei nur in Ausnahmefällen sinnvoll, wo aus baulichen Gründen kein wirksames Stoßlüften möglich ist. „Ansonsten überwiegen die Nachteile wie Lärmbelastung, fehlende Frischluftzufuhr und hoher Energieverbrauch“, hieß es mit Verweis auf die Studie der Uni Stuttgart. Der Städtetag sprach sich zudem für Maskenpflicht und Tests aus.

Die mobilen Geräte kosten zwischen 3000 und 4000 Euro, stationäre Anlagen sind deutlich teurer und aufwendiger einzubauen. dpa/eli

Freude und Skepsis

Während die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die Entscheidung der Landesregierung begrüßt, überwiegt beim Städtetag die Skepsis. Die Fränkischen Nachrichten haben bei Kommunen in der Region nachgefragt.

Alle Schulträger stünden aktuell vor der Frage, wie der Präsenzunterricht im neuen Schuljahr aufrecht erhalten werden kann, stellt Angela Steffan, Pressesprecherin der Stadt Wertheim, fest. „Nach bisherigen Erfahrungen wird das nur im Dreiklang von Testen, Maske tragen und Lüften möglich sein“, betont sie. Bisher kommen neben der Grundschule Nassig auch in der Mandelberggrundschule Dertingen, der Comenius Realschule und der Werkrealschule Urphar-Lindelbach mobile Luftfilteranlagen zum Einsatz.

Insgesamt stehen 13 Geräte zur Verfügung. „Zwölf davon haben die Schulen aus dem vom Land bereitgestellten ,Schulbudget Corona’ beschafft, ein Gerät wurde gesponsort“, berichtet Steffan. An der Realschule gibt es seit der Sanierung eine stationäre Raumluftanlage. „Die Stadtverwaltung prüft derzeit, ob und in welchem Umfang sie die Förderprogramme von Land und Bund in Anspruch nimmt“, kündigt Angela Steffan an. Vom Bund wurde ein Programm für stationäre raumlufttechnische Anlagen aufgelegt.

Die Stadt Bad Mergentheim hat bereits Ende 2020 das Interesse der Schulen abgefragt und vom Gemeinderat grünes Licht, bei Bedarf Luftfiltergeräte anschaffen zu dürfen. Wie Pressesprecher Carsten Müller weiter mitteilt, stehen aktuell zwei Geräte zur Verfügung, „die flexibel eingesetzt werden können“.

Ein großer schwarzer Kasten neben der Tafel: Für rund 3000 Euro hat die Grundschule Nassig eine mobile Luftfilteranlage angeschafft. © Elisa Katt

Kein Ersatz, sondern Ergänzung

Bisher stünden die Schulen einer weiteren Anschaffung eher skeptisch gegenüber. „In den meisten der über 160 Schulräume funktioniert das klassische Lüften sehr gut“,begründet Müller und fügt hinzu: „Aus Praxistests melden uns Schulleitungen immer wieder, dass der Geräuschpegel der Anlagen als störend empfunden wird.“ Die Schulen bevorzugen daher CO2-Ampeln. Fest stehe, dass die Filteranlagen das klassische Lüften nicht ersetzen können. Die Ankündigung der Landesregierung hat die Stadt zum Anlass genommen, noch einmal bei den Schulen nachzufragen.

Inzwischen gibt es Überlegungen, zumindest für einzelne Räume Anlagen anzuschaffen. „Wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten Wochen weitere Geräte beschaffen werden“, kündigt Müller an. Die Ausstattung sämtlicher Schulräume würde ohne Förderung einer Kalkulation zufolge rund eine halbe Million Euro kosten. Den Bedarf werde es aber voraussichtlich nicht geben.

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In Tauberbischofsheim sind bislang keine Luftfilteranlagen im Einsatz – und das wird vorerst auch so bleiben. „In allen Schulen besteht die Möglichkeit, durch ausreichende Fensteröffnung zu lüften“, erklärt Pressesprecherin Helga Hepp. „Ein Einsatz ist aus unserere Sicht nur dort sinnvoll, wo ein Lüften nicht oder nur unzureichend möglich ist.“ Mobile Luftfilteranlagen seien ein „absoluter Notbehelf“, da sie zu „einer hohen akustischen Belastung und zu Zugluft“ führten. Aus Sicht der Stadt stehe außerdem der Nutzen solcher Anlagen infrage, verweist Hepp beispielsweise auf eine aktuelle Studie der Universität Stuttgart (siehe Infobox). „Eine Nachrüstung stationärer raumlufttechnischer Anlagen ist derzeit ebenfalls nicht geplant“, fügt sie hinzu. Da die Erkenntnisse dynamisch seien, werde die Stadt den aktuellen Stand im Auge behalten und ihren „Standpunkt gegebenenfalls anpassen.“

Die Entscheidung über eine Anschaffung soll am Ende bei den Kommunen liegen. Constanze Schwab jedenfalls würden noch ein paar Räume einfallen, die infrage kommen. Zwar kann man die Zimmer in der Regel gut lüften, „aber es gibt immer wieder Tage, an denen die Luft steht und kein Austausch stattfindet“, berichtet die Schulleiterin. „In kleinen oder eng besetzten Räumen wäre es schön, man hätte sowas.“ Gerade, wenn die Kinder nach der 14-tägigen Masken-Phase nach den Ferien wieder ohne Mundschutz im Unterricht sitzen. „Alleine reicht es als Maßnahme sicher nicht, aber es ist ein weiterer Mosaikstein.“

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