Bildung - Wie eine FN-Umfrage an Wertheimer Schulen ergeben hat, fehlt an dem „Nachhol-Angebot“ am Ende der Ferien die sozial-emotionale Komponente

Bildung während Corona: Lernbrücken beseitigen nicht alle Probleme

Ende des Monats startet an den Schulen die Lernbrücke. Am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium gibt es allerdings nur eine statt der vorgesehen zwei Wochen. Im Gegensatz zu anderen Wertheimer Schulen fehlt hier das notwendige Personal.

Von 
Gerd Weimer
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In den letzten beiden Ferienwochen sollen Schüler in den Lernbrücken pandemiebedingte Rückstände aufholen können. © dpa

Wertheim. Die Corona-Pandemie hinterlässt bei Schülern neben vielen anderen negativen Begleiterscheinungen vor allem Bildungslücken. Wie im vergangenen Jahr hat das Kultusministerium für sogenannte Lernbrücken gesorgt, die in den letzten beiden Wochen der Sommerferien stattfinden werden.

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Die Fränkischen Nachrichten haben sich bei Wertheimer Schulen umgehört, wie stark dieses Angebot in Anspruch genommen wird und ob genügend Lehrkräfte vorhanden sind.

Dieter Fauth ist an der Comenius-Realschule, der Werkrealschule Ur-phar-Lindelbach („UrLi“) und der Grundschule in Dertingen dafür zuständig. Für die Realschule sind 54 (von etwa 900), in „UrLi“ zehn (49) und an der Grundschule sieben Schüler (110) angemeldet. An der Gemeinschaftsschule sind es 44 (150), wie Schulleiter Lothar Fink mitteilt.

22 Schüler am Gymnasium

Beim Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium werden 22 Schüler (620) das Angebot in Anspruch nehmen – das auch nur in den Fächern Mathematik und Englisch und statt in den vorgesehenen zwei, lediglich in einer Woche vor Schulbeginn – betreut von „freiwilligen, eigenen Lehrkräften“, so Reinhard Lieb. „Es konnten auch über die zentrale Ausschreibung keine weiteren Lehrkräfte wie etwa Studierende gefunden werden“, beklagt der Schulleiter die Situation. Allerdings habe man bereits im Juni an vier Nachmittagen jeweils zwei Stunden auch in den Fächern Deutsch und Französisch organisiert. Über 30 Schüler hätten teilgenommen.

Für Reinhard Lieb kann die Lernbrücke ohnehin nur ein Baustein sein. „Die Folgen der Schulzeit unter Pandemiebedingungen sind vermutlich tiefgreifender und langwieriger, teils auch versteckter, als das uns bisher und vor dieser Zeit Bekannte. Das bedeutet, dass wir uns wiederum auf Neuland und Ungewohntes werden einstellen müssen,“ meint er gegenüber den FN.

Neben dem Lernen und dem auf den schulischen Anschluss gerichtete Arbeiten werde es auch wichtig sein, „die sozialen Kontakte dieser Generation und die im Grunde nur eingeschränkt möglichen oder ganz verpassten Entwicklungsaufgaben wieder zu ermöglichen, nachzuholen oder zu intensivieren. Im ungünstigsten Fall ist selbst dies nicht möglich“, warnt er.

Hilfreich und erforderlich seien hierbei auch Angebote außerhalb der Schule, beispielsweise mit „intensiven Naturerfahrungen, mit Erfahrungen der Selbstwirksamkeit, mit Geschichten am Lagerfeuer, mit Gruppenerlebnissen unter Gleichaltrigen“.

„Nehmen Situation ernst“

Für das Gymnasium könne er sagen, dass man diese Situation ernst nehme und „im Rahmen unserer verfügbaren Ressourcen und Kräften unterstützen möchte“. So habe man für das kommende Jahr in Klasse 7 eine Stunde („Soziale Kompetenz“) eingerichtet, die es schon in den Klassen 5 und 6 eingerichtet, „zudem können wir in wenigen Klassen auch die Lerngruppen kleiner halten, was der individuellen Förderung und dem Lernerfolg letztlich zugutekommt.“

An der Gemeinschaftsschule haben sich laut Schulleiter Lothar Fink „dankenswerterweise genug Kollegen bereiterklärt, an den Lernbrücken zu unterrichten, so dass wir die beiden Wochen stemmen können.“ Die Lernbrücken würden zum Großteil von eigenen Lehrern durchgeführt. Hinzu komme ein Student, angeheuert über eine persönliche Bekanntschaft.

Viele Realschullehrer machen mit

Dieter Fauth spricht dem Kollegium der Comenius-Realschule „ein ganz großes Lob aus“. Hier hätten sich so viele Lehrkräfte gemeldet, dass sie die Lernbrücke an allen drei Schulen, die er betreut, stemmen. Hinzu komme eine Kollegin aus der „UrLi“. Insgesamt seien neun Kollegen im Einsatz, fünf an der Realschule, je zwei an der „UrLi“ und der Grundschule Dertingen.

Die Kollegen aus der Realschule, die nicht an ihrer eigenen Schule unterrichten, würden mit Lernmaterialien der Kollegen versorgt, welche die Schüler im Schuljahr auch unterrichteten, also von den Hauptschullehrern der „UrLi“ oder den Grundschullehrern aus Dertingen.

Nur ein Mosaikstein

„Nur so können sie auf diese Schüler, in deren Schulart die Realschulkollegen ja keine Erfahrung haben, auch passgenau eingehen“, ist er überzeugt. Dieter Fauth räumt ein, dass bei dem Angebot kaum sozial-emotionale Schwierigkeiten einbezogen werden, wie es sich das Kulturministerium ursprünglich auf die Fahne geschrieben hat. Das werde erst ein Schwerpunkt zu Beginn des neuen Schuljahres sein und richte sich dann an alle Schüler.

Man werde verstärkt Ausflüge machen oder beispielsweise psychosoziale Trainings, die die Kollegen im Rahmen eines speziellen Programms erlernt haben. Aber eine emotional starkmachende Wirkung werde die Lernbrücke allein durch das Zusammentreffen in den Ferien haben und „durch den Eindruck, den die Schüler mitnehmen werden, nicht mit den Lücken aus dem alten Schuljahr ins neue Schuljahr starten zu müssen“.

Wie Reinhard Lieb meint im übrigen auch Lothar Fink, dass die Lernbrücken „nur ein Mosaikstein bei der Bewältigung der Folgen der Coronakrise sein“ können, zumal sie nur einzelnen Schülern hülfen. Persönlich habe er die Befürchtung, dass die Auswirkungen in sozialer, in psychischer, emotionaler Hinsicht wesentlicher eklatanter sind oder sein werden als die fachlichen Defizite. Diese könnten mit Lernbrücken ohnehin nicht behoben werden.

Das Angebot werde in diesem Jahr ähnlich stark angenommen wie im vergangenen – im Grundschulbereich etwas stärker. Man habe nach den Sommerferien 2020 den Eindruck, dass es den teilnehmenden Schülern gutgetan hat. Dabei sehe er nicht nur die fachlichen Seiten, sondern auch Aspekte wie ein „positives, optimistisches Gefühl für die Schule“.

Es sei bei den Schülern die Entwicklung eines Selbstkonzepts wahrzunehmen. Das sei sicherlich auch ein Vorteil von kleineren Gruppen. Er hoffe, dass es in diesem Jahr trotz angedachter Maskenpflicht ähnlich läuft.

Reinhard Lieb widerspricht schließlich dem Eindruck mancher Außenstehender, dass wegen des mitunter ausgefallenen Unterrichts man nun die Schulferien eigentlich gut nutzen könnte, Versäumtes nachzuholen. „Dabei wird übersehen, welche Kraft und Energie bei allen Beteiligten, den Schülern, den Eltern, den Lehrkräften und den Schulleitungen aufgewendet wurde, um die unterschiedlichen Szenarien und Mischformen des Unterrichts so zu schaffen, wie es im Land, in Wertheim und am Bonhoeffer-Gymnasium möglich war. Bitter bleibt, dass trotz der enormen Anstrengungen Probleme eintreten und einzelne unter der Situation zu leiden beginnen.“

Akkus aufladen

Jetzt müssten die Akkus wieder geladen werden, damit das nächste Schuljahr gelingen kann. Die Lernbrücken könnten sich dabei auch kontraproduktiv auswirken. Sinnvoller wären kleinere Lerngruppen oder intelligente Unterstützungsmöglichkeiten im Unterrichtsalltag, „anstelle von zusätzlichen Angeboten, die Zeit benötigen, die ja dann an anderer Stelle fehlt, und die zudem weniger zielgerichtet sind“, bemängelt er.

Redaktion Reporter Wertheim

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