Wertheim. Aus dem Schuljungen, der klein und schmächtig genug war, um samstags in die Kamine des Glaswerks zu steigen, ist später ein Unternehmenschef geworden. Jörg Dümmig-Zitzmann hatte in die Familie eingeheiratet, die den etablierten Isoliergefäßhersteller Alfi aufbaute. Der junge Rechtsanwalt stieg als Vize-Chef ins Geschäft ein und führte bis 2005 das Unternehmen, das sich am Rande des alten Industriegebiets in Wertheim ansiedelte, äußerst erfolgreich als WMF sämtliche Anteile übernommen hatte. In den Hoch-Zeiten standen 350 Menschen auf der Alfi-Lohnliste.
Fassade bröckelt
Das alte Industriegebiet liegt Dümmig-Zitzmann am Herzen. Er kennt die Details aus der Geschichte, streut im Gespräch immer wieder Anekdoten ein, wenn es um die Entstehung und Entwicklung der Wertheimer Glasindustrie sowie deren Bedeutung für die Main-Tauber-Stadt geht. Kein Wunder, ist er doch quasi Teil der Erfolgsgeschichte.
Von dieser ist auf dem rund 25000 Quadratmeter großen Areal zwischen Hüttenweg und Werner-Schuller-Straße sowie von der Hochwassergrenze am Main und der Ernst-Abbe-Straße allerdings fast nichts mehr zu sehen, wie bei einem Rundgang der Fränkischen Nachrichten mit Dümmig-Zitzmann deutlich wird. Beispiel: Der Komplex der hier früher ansässigen Firma Brand. Die Fassade des Hauptgebäudes bröckelt ab. An einigen Stellen kommt großflächig das Mauerwerk zum Vorschein. Auf dem Dach wächst ein Bäumchen.
Auch die anderen Brand-Gebäude befinden sich in einem bedenklichen Zustand. Die funktionale Ästhetik, die der Bauhaus-Architekt Alfred Arndt hier stiftete, versinkt in der gegenwärtigen, maroden Realität beinahe zur Unkenntlichkeit. Man sollte sich wohl keine Illusionen über den Zustand im Innern machen.
Verlustbringer
Das riesige Gemengelager des früheren Glaswerks, eines der höchsten Bauten in Bestenheid und ebenfalls in der Ferdinand-Friedrich-Straße gelegen, steht weitgehend leer. Genauso wie das Hüttengebäude des Glaswerks. Das Nachfolgeunternehmen Duran Glastechnik, Teil von DWK Life Sciences, nutzt es noch als Lager – allerdings ohne ausgefeilte Technologie wie heutzutage üblich.
Einen echten Vermögenswert stellt es in der Bilanz des Unternehmens kaum noch dar. Thomas Sack, technischer Manager, macht bei einer Besichtigung des Baus klar, dass es wohl eher ein Verlustbringer ist. In manchen Jahren müsse man mehrere zehntausend Euro investieren, um die Sicherheit zu gewährleisten. Irgendwann, da ist er sich sicher, muss über einen Abriss nachgedacht werden.
In einem Nebengebäude hat sich Glasbläser Frank Krause eine Werkstatt eingerichtet. Zusammen mit Witeg Labortechnik ist er einer der wenigen Nutzer des alten Industriegebiets, die noch für Wertschöpfung sorgen.
Jörg Dümmig-Zitzmann mag sich mit dem Zustand des Gesamtgeländes nicht abfinden. Er hat sozusagen eine Vision entwickelt, was aus der Fläche werden könnte.
Top-Lage
Ihm schwebt eine Art Mischgebiet vor. Kleinere Gewerbeeinheiten, aber auch durchaus Wohnbebauung. Die günstige Anbindung an den Nahverkehr – immerhin befindet sich der Bestenheider Bahnhof in unmittelbarer Nähe – machen das Gelände für eine solche Nutzung attraktiv.
Ganz zu schweigen von der Lage am Fluss – ohne Hochwassergefahr. Bisher sei die Flut nie über die Baugrenze gestiegen.
Wohnen direkt neben dem Schuller-Werk? Für Dümmig-Zitzmann durchaus denkbar, wenn man die Fläche optisch abgrenzt. Er verweist auf Freudenberg. Dort überplant ein Projektierer das Gelände des früheren Rauch-Werks 1 nahe der Innenstadt. Es entsteht ein neues Wohnviertel in bester Lage. Was mögliche Altlasten angeht, setzt Dümmig-Zitzmann auf technische Lösungen. Man könnte den Untergrund quasi „einsargen“, so dass Schadstoffe dort verbleiben, wo sie sind.
Rechnung geht nicht auf
Wertheims Stadtbaumeister Armin Dattler ist skeptisch. Planungsrechtlich sei das Gelände ein Industriegebiet. Die benachbarten Betriebe hätten kein Interesse an einem Wohngebiet in direkter Nachbarschaft und könnten sich widersetzen, „weil sie eine Einschränkung des Betriebs fürchten müssten“.
Wirtschaftlich würde es für einen Investor keinen Sinn machen. Die Kosten für Erwerb des Geländes und den Abriss der Gebäude würden Erlöse durch Verkauf oder Vermietung von Wohnraum höchstwahrscheinlich übersteigen. Die Rechnung gehe nicht auf. Jörg Dümmig-Zitzmann ist sicher, dass das „unangenehme Thema“ irgendwann auf den Tisch kommt, auch wenn sich derzeit niemand darum kümmern möchte. Dass es in Zukunft Handlungsbedarf geben könnte, räumt auch Dattler ein. „Aber es ist ein ganz dickes Brett“, sagt er. Die Frage ist nun, wer dieses Brett wann bohrt.
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