Igel-Nothilfe Taubertal

Weikersheim: Igel-Rettung rund um die Uhr

Mittlerweile ist sie weit über Schäftersheim als Fachfrau für die kleinen Säuger bekannt: Mit den Jahren dürften es bereits über 500 Igel gewesen sein, die einen Boxenstopp bei der Igel-Nothelferin in Schäftersheim einlegten.

Von 
Inge Braune
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Mit viel Sachkunde und Zuneigung hat Chris Kilimann schon vielen Igeln das Leben gerettet. © Inge Braune

Schäftersheim. Im Wohnzimmer von Chris Kilimann ist’s kuschlig warm. Und eng. Kaum noch ein Durchkommen ist möglich zwischen den vielen Käfigen, aus denen leise Raschel-, Schnauf- und Grunzgeräusche zu hören sind. Und Husten. Der ist erschreckend laut für die höchstens 25 bis knapp 30 Zentimeter großen Tierchen, die die Schäftersheimer Igelretterin in ihre Obhut genommen hat.

Dieser kleine Kerl hat Glück: Bei Chris Kilimann wird das für den Winterschlaf viel zu leichte Igelchen aufgepäppelt. © Inge Braune

Die Tierfreundin, theoretisch Ruheständlerin nach fordernder Berufslaufbahn im Managementbereich, ist fast rund um die Uhr im Einsatz: An die zwei Dutzend Igel, die ohne ihre Hilfe dem Tod geweiht wären, päppelt sie in ihrer fast zum Igel-Hospital mutierten guten Stube auf. Täglich mehrere Fütterungsrunden, Behandlungen, das Putzen der Käfige und wöchentlich mehrere Besuche beim Tierarzt halten sie in Atem. Und natürlich immer die Sorge um ihre Schützlinge: Bringt sie sie durch?

Abgemagert, mit Hungerfalte zwischen Kopf und Rumpf, von Flöhen und das Igelleben massiv gefährdenden Parasiten wie Lungen- und Darmsaugwürmern befallen sind sie bei ihr eingezogen. Eigentlich sollten sie sich jetzt, nach dem ersten Frost, wohl genährt in ihren Winterschlafquartieren dem Frühjahr entgegen träumen. Statt dessen waren sie tagsüber unterwegs, verzweifelt auf der Suche nach Essbarem, als Tierfreunde die nachtaktiven Insektenfresser am helllichten Tag entdeckten.

Es hat sich weit über Schäftersheim hinaus herumgesprochen, dass sich Chris Kilimann mit Igeln bestens auskennt. Notrufe erreichen sie aus dem weiten Umkreis – und sie berät die Finder gern.

Das Überleben ist für Igel ganzjährig mühsam geworden

Ihr Herz für Igel eroberten gleich sieben Igel auf einen Streich, die vor knapp anderthalb Jahrzehnten in ihrem Garten am Schäftersheimer Ortsrand dringend ein neues Domizil suchten. Ein alter Holzhaufen in einem der Nachbargärten, das zuvor gewählte Dach über den Igelköpfen, war dem Brennholzbedarf oder schlicht deutscher Aufräumwut zum Opfer gefallen.

Igel haben’s schwer in unserer modernen Welt: Der Klimawandel mit seinen für Igel zu hohen Wintertemperaturen raubt ihnen den Schlaf. Wachen sie auf, verbrauchen sie die ohnehin schon mageren Speckreserven. Geeigneten Nachschub – Laufkäfer, Raupen, Spinnen, Regenwürmer und Schnecken – gibt’s erst im Frühling wieder.

Auch in der warmen Jahreszeit ist das Überleben mühsam geworden: Hecken und Unterholz, die Verstecke, Nistplätze und Jagdreviere bieten, gingen selbst in unserer Region oft verloren, das Insektensterben entzieht ihnen die Beute. Auch der Umzug in urbanere Gebiete ist schwierig: In den modernen, oft viel zu aufgeräumten Gärten ohne Wildwuchs, Komposthaufen und Reisiglager ist für sie nichts zu holen. Private Swimmingpools werden zu tödlichen Fallen, Rasentrimmer und Mähroboter in Gärten machen ihnen ebenso den Garaus wie Mähdrescher auf Äckern. Die Lebenserwartung der Stacheltiere, die früher schon mal noch ihren achten Geburtstag erlebten, hat sich nahezu halbiert: Die Jungtiersterblichkeit ist immens, und auch erwachsene Igel schaffen es oft nicht mehr, sich vor dm Winterschlaf genügend Speck anzufressen. Mit einem Gewicht von 700 bis 800 Gramm könnten sie gut durch den Winter kommen, vorausgesetzt, dass nicht zu warme Temperaturen oder auch die Silvesterknallerei sie aus dem Schlaf reißen.

Die Tiere, die Chris Kilimann in ihre Obhut nahm, wogen oft nicht einmal 200 Gramm. Draußen wären sie unweigerlich umgekommen. Über die Jahre dürften es über 500 Igel gewesen sein, die einen Boxenstopp bei der Igel-Nothelferin einlegten. Etliche fanden in ihrem Garten ihr Traumdomizil.

Liliput etwa lebt seit 2019 auf dem Grundstück und sorgte seither kräftig für Nachwuchs. Schon er genoss die Aufnahme im ehrenamtlichen Igel-Hospital, durfte sich auf einer handwarmen, mit einem Frotteetuch abgedeckten Wärmflasche aufwärmen und erst mal ein paar Schlückchen lauwarmen Fencheltee aus einem Schälchen schlabbern, ehe die Igelretterin daran ging, ihn unter der Lupenlampe mit der Pinzette von Flöhen befreite, ehe sie daran gehen konnte, ihn mit Pasteten-Katzenfutter mit hohem Fleischanteil aufzupäppeln. „Auf keinen Fall Milch geben“, warnt Chris Kilimann: „Igel vertragen sie nicht.“ Und auch Obst ist nicht hilfreich: Auch wenn sie ihre Nasen schon mal in Fallobst stecken, suchen sie dort nach Maden.

Schon seit der ersten Igelrettung protokolliert die Igelretterin jede Behandlung genau, angefangen mit Funddatum und -uhrzeit, Gewicht und Erstdiagnose. Sorgfältig notiert werden Medikamentengaben, Gewichtsentwicklung, tierärztliche und selbst durchgeführte Behandlungen. Da die Weltnaturschutzunion IUCN den vor gut einem Jahr zum „Wildtier des Jahres 2024“ gewählten Igel Ende Oktober erstmals auf die Rote Liste der bedrohten Tierarten aufnahm, ist die penible Protokollführung noch wichtiger geworden.

Die kostet wie ganz generell die Igel-Intensivpflege jede Menge Zeit und Nerven. Die Kosten für Futter, Tierarztbesuche, Medikamente sind kaum noch durch den Minijob zu decken, den die Ruheständlerin der Igel wegen ausübt. Helfen können Spenden (Spendenkonto: Igel-Nothilfe-Taubertal, VR-Bank Mittelfranken, IBAN DE30 7656 0060 0004 0991 84) oder die Übernahme einer Igel-Patenschaft.

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Quartiere zum Überwintern dringend gesucht

Und: Mehr Igel als die derzeit in Haus und Garten überwinternden Tiere kann Chris Kilimann, die ja schließlich keine Auffangstation betreibt, beim besten Willen nicht mehr aufnehmen: Dringend sucht sie daher Menschen, die Igeln in Scheunen oder anderen Kalträumen sichere Überwinterungsquartiere und im Frühjahr geeignete Auswilderungsplätze anbieten können.

Infos gibt’s im Blog der Igel-Nothilfe-Taubertal (Igeline+Co) sowie auf der Homepage und in den Merkblättern des Vereins für integrierten Naturschutz Deutschland e.V. „Pro Igel“ (www.pro-igel.de).

Damit auch die Igel gut ins neue Jahr kommen, bittet Chris Kilimann, keine Silvesterraketen in der Nähe von Gärten und Gebüschen zu zünden, um die noch aus der Urzeit vor 65 Millionen Jahren stammenden Insektenfresser nicht aus ihrem Winterschlaf zu wecken.

Freie Autorin Berichte, Features, Interviews und Reportagen u.a. aus den Bereichen Politik, Kultur, Bildung, Soziales, Portrait. Im Mittelpunkt: der Mensch.

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