Röttingen. Standing Ovation. Frenetischer, nahezu nicht enden wollender Applaus. Die Erstaufführung der Musikalischen Komödie „Ich denke oft an Piroschka“ begeisterte das Publikum im ausverkauften Hof der Burg Brattenstein. Diese feurig-witzige Inszenierung macht Lust auf eine Reise in die Puszta der Zwanziger Jahre, die es so nur bei den Frankenfestspielen gibt.
1923: Wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich steht es schlecht um Deutschland, das können auch die Klänge von Dixie und Charleston nicht überspielen. Die idyllische Welt von Andreas gerät wie die seiner Mitmenschen aus den Fugen. Doch er hat Glück, kann als Austauschstudent nach Ungarn reisen, um dort die fremde Kultur kennenzulernen. Er genießt die Gastfreundschaft im Haus des Pusztadoktors von Csiky (Jo Quirin), dessen Frau Ilonka (Gabriele Witter) und die der anderen Bewohner des kleinen Ortes Hódmezővásárhelykutasipuszta.
Berührende Jugendromanze
Auf äußerst unterhaltsame Weise spiegelt die Musikalische Komödie die turbulenten Zeiten, die Anfang der Zwanziger Jahre die Welt veränderten. Im Mittelpunkt die berührende Jugendromanze zwischen dem jungen Deutschen (Patric Dull) und der kecken Tochter des Stationsvorstehers – Piroschka (Lasarah Sattler).
Die größte Produktion der diesjährigen Spielzeit entführt mit mitreißenden Czardas-Klängen in das ländliche Herz Ungarns und an den Plattensee. Intendant Lars Wernecke (Musiktexte) und Musikalischer Leiter Rudolf Hild (Musik) schufen über die Wintermonate eine neue musikalische Fassung des gleichnamigen Schauspiels von Hugo Hartung „Ich denke oft an Piroschka“. Einmal mehr feierte so eine bundesweite Erstaufführung Premiere im Freilichttheater auf Burg Brattenstein mit herrlichen Melodien und einem leidenschaftlich singenden, spielenden und tanzenden Ensemble. Das herausragende Orchester brachte dabei erstmals zusätzlich ein Tárogató ins Spiel. Das Holzblasinstrument – Ende des 19. Jahrhunderts in Ungarn entwickelt – ergänzt perfekt die mitreißenden Czardas-Klänge und den Zauber der Puszta.
Auch die schwierigen Zeiten dürfen durchschimmern
Bei aller Fröhlichkeit und Leichtigkeit dürfen auf der Bühne – anders als im Kinofilm, der 1955 Liselotte Pulver weltberühmt machte – die schwierigen Zeiten durchschimmern. Doch die Lebensfreude überwiegt und hilft, allem Übel zu trotzen. Die wahren „Konflikte“ entstehen in der liebreizenden Dreiecksgeschichte mit Happy End zwischen Andreas, Greta (Michaela Scheider-Khom) und Piroschka. Regisseur Urs Schleiff bleibt in der Zeit, erzählt eine flotte Geschichte, getragen von wunderbarer Musik und der beschwingten Atmosphäre ungarischen Flairs.
„Schon in der Vorbereitung auf die Inszenierung habe ich die Figuren liebgewonnen“, erzählt der gebürtige Erfurter. Und es gelingt ihm bestens diese wunderbaren, für sich einzigartigen Charaktere auf die Bühne zu bringen. Ab der ersten Sekunde springt der Funke auf das Publikum über. Szenenapplaus und herzliches Lachen begleiten nicht nur Sándor, das Bahnhofsfaktotum (Wolfram B. Meyer), Stationsvorsteher Rácz (Daniel Ebert), Margit, seine äußerst resolute Gemahlin (Angela H. Fischer, die in einer Doppelrolle auch als Pensionswirtin Frau Márton zu sehen ist) oder das schüchterne Dienstmädchen (Tonja Arina Gold).
Engagement und Vielseitigkeit
Urs Schleiff ließ sich von den Sängern und Schauspielern inspirieren, entwickelte mit ihnen gemeinsam ihre Rollen. „Das galt auch für die Zusammenarbeit mit dem Extra-Ensemble, dessen Engagement und Vielseitigkeit auf der Bühne ich sehr schätze“, lobt er diese Besonderheit der Frankenfestspiele. So entstand ein herrliches Stück mit toller Musik und Wortwitz für einen temperamentvollen Sommerabend in feurig-ungarischer Atmosphäre.
Dargeboten in einem wandelbaren Bühnenbild von Stefan Mock, das Ensemble ausgestattet von Kostümbildnerin Angela Schuett. Einmal mehr begeisterten zudem die Choreografie von Patrick Stauf ebenso wie die Lichtregie von Christoph Pöschko und der perfekte Ton von Anna Harandt.
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