Weikersheim. Von der historischen Orgel der Stadtkirche am Weikersheimer Marktplatz herunter tönen geflügelte Wesen mit ihren Instrumenten in den Gemeinderaum hin-unter: Engel mit Pauken und – gleich dreifach – Posaunen. Neben den Schutzengeln sind sie die bekanntesten Darstellungen der Götterboten. Der Name „Engel“ sagt übrigens bereits, was die Geistwesen ihrer Funktion nach sind: Das lateinische Wort „angelus“ bedeutet schlicht „Bote“.
Warum „Posaunenengel“? In der Bibel-Übersetzung Martin Luthers wird die Stimme Gottes als ein großer Posaunenton hörbar – zum Beispiel im Buch Offenbarung 1,10. Das stimmenähnlich klingende Instrument, das hier als Posaune beschrieben ist, geht auf den lateinischen Begriff „Tubus“ (Röhre) zurück. Kunsthistorisch spricht man deshalb von Tubenengeln. Doch die dickleibige, moderne Tuba will als Engelsinstrument doch nicht so recht passen. Das Bild einer fanfarenhaften Posaune, eigentlich eine lange und tiefe Naturtrompete, hat sich in der christlichen Ikonographie durchgesetzt. Und so zieren Posaunenengel auch den Rokoko-Orgelprospekt der Stadtkirche.
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Mehrfache Bezüge
Man kann die geschnitzten und farbig gefassten Figuren durchaus in einer mehrfachen Anspielung und Funktion sehen: Als musikalische „Weihnachtsengel“, bezogen auf die Lukas-Bibelstelle: „Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ Und natürlich, wie vorher beschrieben, als direkten Ausdruck der gewaltigen göttlichen Stimme. Schließlich ist der Posaunenengel auch Hinweis auf den Weckruf der Offenbarung am Ende aller Tage: Welches Instrument, wenn nicht die laute Posaune, sollte wohl sonst die Toten aus ihren Gräbern rufen?
Doch in der Weikersheimer Kirche sind neben solchen, mehr volkstümlichen, Engeln auch eine Reihe ungewöhnlicher, seltener Darstellungen zu sehen. Einige Engel im Decken- und Chorbereich sind nämlich gar nicht so unmittelbar biblisch, sondern entstammen einem erzieherisch-bildnerischem Impuls der nachmittelalterlichen Neuzeit.
Kirchenführerin Monika Birkhold muss bei diesen Darstellungen gezielt auf die „Bildunterschriften“ der Figuren-Sockel verweisen. Ohne Fernglas oder Teleobjektiv kann man nämlich kaum entziffern, was das für Darstellungen sind: Es handelt sich um „Tugendengel“ – eigentlich also um Metaphern, Allegorien eines rechtschaffenen Lebens. Im Chor der Kirche werden Bilder in Engelsgestalt für die sittliche Vollkommenheit im christlichen Sinn (als Gegensatz zu Laster und Sünde) gezeigt.
Adelspaar wacht über Tugenden
Die Engel stehen auf einem hohen Kranzgesims und thronen damit über dem Altar, dem Allerheiligsten. Darüber schwebt im Deckengewölbe, gehalten von kleinen, geflügelten Engelsköpfen, in strahlender Sternform das Ehewappen des Grafen Georg Friedrich von Hohenlohe und seiner Gemahlin Eva, versehen mit der Jahreszahl 1617. Das Adelspaar versteht sich damit als Patron und Garant für die Einhaltung der erwünschten Eigenschaften.
Zu sehen sind die sieben Tugenden Fortitudo (Kraft und Stärke), Sapientia (Weisheit), Caritas (Nächstenliebe/Wohltätigkeit), Fides (Glaube), Spes (Hoffnung), Patientia (Geduld) und Justitia (Gerechtigkeit). Dazu kommen noch die Darstellungen von Pax (Frieden) und Ressurectio (Auferstehung). Diese „Engel“ sieht man nur dann halbwegs gut, wenn man sich in den Chor begibt. Einzelne sind von den Sitz-Emporen aus genauer zu sehen.
Näher am Kirchenvolk sind zwei weitere allegorische Engel an der Kopfseite des Mittelschiffs: Sie stehen mit großen Flügeln versehen auf einem hohen, oberen Säulensockel. Der Betrachter findet sich unterhalb und zwischen den Engelsfiguren, die auf Tod und Leben/Auferstehung hinweisen. Man kann sie durchaus als „Schwellenwächter“ oder Übergangshelfer interpretieren.
Blick nach oben richten
Es gibt in der Kirche also eine gewisse Raum-Didaktik, eine Art Erfahrungs- und Lernstationen in West-Ost-Richtung. Über dem Eingangsbereich, vom Marktplatz und Hauptportal her: Dort sind die bekannteren Engelsfiguren an der Orgel zu sehen. Die Bilder für Leben und Tod scheiden (oder verbinden) den Volks-Kirchenraum von/mit der Chor-Apside. Schon etwas entrückt, quasi vom Himmel herabblickend, warten die Tugendengel auf ihre Entdeckung.
Man sieht die Tugenden nur, wenn man den Blick von den wunderbar plastischen Tischbeinen des Altars (ein kniender Träger ist der „Matthäusengel“) aufwärts gleiten lässt. In den Händen hält dieser Engel übrigens ein Buch, das die richtige innere Haltung und Richtung weist: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Johannes 14,6). Wiederum von mehreren Engeln flankiert: Eine Abendmahlsszene mit einem strahlenbekränzten Jesus – darüber eine Auferstehungsszene, in der der Christus auf einem Sarkophag stehend nach oben wegstrebt.
Fast eiförmig erhebt sich das Gesamtensemble ins filigrane Sterngewölbe des Chors hinein – ganz oben dann über einem flammenden Herzen optisch abgesetzt als Himmelseffekt der strahlende Gottesname auf Hebräisch. Die Tugendengel umgeben fast wächterartig den Aufwärtsweg, die Apotheose, das Aufgehen im Göttlichen.
Die Weikersheimer Stadtkirche am Marktplatz ist außerhalb der Gottesdienstzeiten aktuell nicht geöffnet. Kirchenführungen mit Monika Birkhold werden Interessierten über das Dekanatamt vermittelt, Telefon 07934/990036.
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