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Fitter werden, aber wie? Sportmediziner Dr. Michel gibt Tipps

Mehr Sport machen – ein Vorsatz, den die meisten Menschen kennen. Wie der Einstieg gelingt, was es zu beachten gilt und wie man die perfekte Sportart für sich selbst findet, erklärt Sportmediziner Dr. Joachim Michel.

Von 
Simon Retzbach
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Dr. Joachim Michel aus Weikersheim ist von Sport als einer Art medizinischer Wunderwaffe überzeugt – er selbst ist passionierter Radsportler. © Simon Retzbach

Tauber-Odenwald. Als Allgemein- und Sportmediziner mit über 30 Jahren Erfahrung ist der in Weikersheim tätige Dr. Joachim Michel (62) überzeugter Fan von Bewegung, die für ihn nicht unbedingt gleichzusetzen ist mit Sport.

Herr Dr. Michel, bei einem Interview zu diesem Thema liegt die Frage natürlich auf der Hand: Heute schon Sport gemacht oder kommt das noch?

Dr. Joachim Michel: Nein, aber nachher. Ich habe zuhause einen Video-Hometrainer. Den habe ich mir dieses Jahr zugelegt, weil die Winter zunehmend nasser sind, und darauf gehen auch schon mal drei Stunden, wenn es draußen regnet. Mein Hauptsport ist Fahrradfahren, da habe ich jetzt fünf Erdumrundungen hinter mir und bin gerade auf der sechsten.

Dass Sport sehr gesund ist, wissen wohl die allermeisten. Was ist ihr Plädoyer für Sport? Womit überraschen und überzeugen Sie Leute vom Sport?

Michel: Die überragende Bedeutung ist bei den Herz-Kreislauf-Krankheiten. An ihnen sterben fast dreimal so viele Leute wie an Krebs. Sie sind eigentlich der Killer schlechthin. Und da ist Bewegung – ich sage bewusst nicht Sport – von wirklich überragender Bedeutung. Es gibt anerkannte, gut belegte Kennzahlen, wie zum Beispiel, dass jedes Kilogramm Gewichtsverlust den Blutdruck um 1,2 Millimeter senkt. Dadurch wird die Herzinfarkts- und Schlaganfallhäufigkeit signifikant gesenkt. Mindestens genauso wirksam wie durch Medikamente – ohne Nebenwirkungen! Es gibt den klugen Satz: „Sitzen ist das neue Rauchen.“ Das zeigt, welche Bedeutung man der Inaktivität mittlerweile beimisst. Die Inaktivität aufzubrechen, ist sehr wichtig.

Sie haben gerade schon zwischen Sport und Bewegung differenziert...

Michel: Sport ist ja nur intensive Bewegung. Aber wenn ich mit Patienten darüber spreche, formuliere ich es am Anfang immer als Bewegung. Wenn ich „Sport“ sage, schreckt das die meisten ab. Der Übergang ist aber fließend. Eigentlich sollte man von Bewegung sprechen, weil man die Leute da leichter zu bringt, als wenn man gleich Sport sagt.

Wenn man jetzt mit Bewegung oder Sport anfängt – gerade zu Jahresbeginn oder Aschermittwoch ist hierfür ja ein beliebter Einstiegszeitpunkt – lauern da auch Gefahren? Man geht übermotiviert ran oder macht zu viel, macht falsche Sachen...

Michel: Die Gefahr ist da, das ist richtig. Aus meiner Erfahrung ist die Gefahr eher, dass man nicht dran bleibt, sondern nach dem ersten Erlebnis wieder sagt: „Oh je, das ist nichts für mich.“ Weil es doch ein Übergang ist vom ’Couching’ hin zum Bewegen und gerade zu Jahresbeginn spielt dann oft das Wetter nicht so mit. Deswegen ist es vielleicht gar nicht schlecht, sich in einem Fitnessstudio anzumelden. Dort haben sie zwei positive Aspekte: Es ist wetterunabhängig und wenn man einen Vertrag abschließt, hat man eine gewisse Motivation, etwas zu machen. Aber es reicht auch schon einfaches Spazierengehen.

Eine eher unspektakuläre Sache mit großer Wirkung?

Michel: Studien zeigen eindeutig: Schon ein täglicher Spaziergang über 3,2 Kilometer kann das kardiovaskuläre Risiko [das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen; Anm. d. Red.] und die Gesamtsterblichkeit senken. Bei der Gesamtsterblichkeit über alle Krankheiten hinweg macht das einen erheblichen Unterschied, von 43 auf 21 Prozent. Bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen lässt sich das Risiko sogar um zwei Drittel senken. 3,2 Kilometer sind nicht viel, die Zeit hat wirklich jeder! Es zeigt sich auch: Mehr zu machen hat einen größeren Effekt, aber dieser ist nicht linear, sondern nimmt ab. Die ersten Schritte sind also die wichtigsten.

Wenn sich Leute zu mehr Aktivität entschließen, ist es oft nicht nur ein bisschen Bewegung, sondern da wird mit großer Motivation direkt ein Sport mit möglicherweise zu großer Intensität betrieben, Gibt es Warnzeichen des Körpers, die man in der Anfangsphase beachten muss?

Michel: Bei jüngeren Leuten gibt es eigentlich keine Einschränkung der Belastbarkeit, Anpassungsvorgänge finden relativ schnell statt. Das Hauptproblem sind anfangs meist orthopädische Probleme, wenn hinterher also alles weh tut. Dem kann man durch einen sinnvollen Einstieg vorbeugen, denn gerade beim Joggen beispielsweise ist es ein häufiger Fehler, die Strecke zu Beginn zu lang zu wählen. In der Sportmedizin gibt es den Spruch: „Gebt den Sehnen eine Chance.“

Wie ist das zu verstehen?

Michel: Damit ist gemeint, dass im Gegensatz zum relativ schnellen Muskelwachstum die Sehnen längere Anpassungsprozesse benötigen. Wenn Sie anfangen zu trainieren und die Belastung zu hoch wählen, kriegen Sie leicht Probleme mit den Sehnen. Wenn die richtig gereizt sind und schmerzen, kann der Arzt nicht viel tun. Es ist dann ein Herunterfahren der Belastung notwendig, das hemmt aber wieder die Motivation. Das ist ein Hauptproblem: Zu schnell zu viel zu wollen. Denn Regeneration ist elementar wichtig, denn nur dann finden die gesundheitswirksamen Anpassungsvorgänge statt.

Gibt es auch Sportarten, die für bestimmte Menschen aus medizinischer Sicht nicht geeignet sind?

Michel: Ja. Für jemanden mit starkem Übergewicht ist Joggen nicht gut, weil der Aufprallschock für die Gelenke beim Laufen zu hoch ist. Da gibt es aber Alternativen, in Fitnessstudios ergeben die Stepper eine runde, fließende Bewegung und nehmen so den Aufprallschock. Das kann man dann auch mit starkem Übergewicht machen.

Was ist ihr Favorit in Sachen Bewegung?

Michel: Das Trainingsgerät schlechthin ist natürlich das Fahrrad, das war nach dem Elektromotor die wichtigste Erfindung der Menschheit (schmunzelt). Ich bin mit 15 in einen Radsportverein eingetreten und mache das jetzt fast 50 Jahre, immer noch mit großer Begeisterung. Wer weiß, wie es mir ohne Radfahren gehen würde.

Worin besteht der große Vorteil des Radfahrens?

Michel: Radfahren ist orthopädisch gesehen eine sehr schonende Sportart, man kann es stundenlang machen ohne die üblichen Zipperlein zu bekommen. Dementsprechend ist dann auch der gesundheitliche Benefit und der Kalorienverbrauch viel höher als bei anderen Sportarten.

Für wen empfiehlt sich ein Arztbesuch vor dem Sport? Die Kapazitäten der Ärzte sind ja begrenzt.

Michel: Wenn wir jeden untersuchen müssten, der Sport machen möchte, schaffen wir das nicht. Es ist aber für jeden sinnvoll, der einen Bluthochdruck, eine Herz- oder eine Lungenerkrankung hat. Dann kann man im Vorfeld über die Intensität sprechen, anhand des Pulses Limits festlegen. Mit Fitnessstrackern oder Pulsuhren ist die Belastungssteuerung heute recht einfach möglich. Denn gerade bei Bluthochdruck wären Übungen z.B. im Fitnessstudio, die oft mit hohem Druck im Körper verbunden sind, fatal. Da sind Ausdauersportarten besser geeignet.

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Wo könnten wir stehen, wenn Sport in der Gesellschaft eine größere Rolle spielen würden?

Michel: Es wäre unglaublich, was wir damit erreichen könnten. Wir debattieren über die Kosten im Gesundheitswesen und über Zehntel-Cent von Arzneimittelkosten, Kassen suchen stets das billigste Mittel. Sport kostet nichts! Eine kostenneutrale Möglichkeit, die Gesundheit der Bevölkerung drastisch zu verbessern. Dazu braucht es aber Vorbilder in der Politik oder der Ärzteschaft, das ist wichtig für die Motivation.

Wie geht ein motivierter Mensch ohne Vorerfahrung sein Vorhaben, aktiver zu werden, am besten an?

Michel: Es sollte Spaß machen – das ist der entscheidende Faktor, sonst wird es auf Dauer sehr mühsam. Dazu sollte man sich vorab über ein paar Punkte klar werden: Den Sport drinnen oder draußen machen? Wer gerne draußen ist, tut sich in einem Studio schwer; genauso gibt es aber Menschen, die bei einer Indoor-Sportart besser aufgehoben sind. Ganz wichtig: Sport alleine oder in der Gruppe? Das ist individuell verschieden. Und man sollte Zeiten festlegen, wann man sich bewegt. Das erleichtert das Dranbleiben und den berühmten „inneren Schweinehund“ zu überwinden, wenn es mal nicht so läuft. Aber es lohnt sich immer, einen Versuch – egal welchen – zu wagen: Man tut sich im Leben allgemein sehr viel leichter, wenn man fit ist. Mein Appell ist daher: Fangen Sie einfach an!

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