Laudenbach/Würzburg. Es ist kalt, dunkel, neblig – und es ist sechs Uhr früh. Doch das Dunkel wird durch Kerzen erhellt an jenem Vorweihnachtsmorgen. Stefan Michelberger feiert „Rorate“. Der Laudenbacher Priester ist derzeit am Heuchelhof im Einsatz – und das fulltime.
„Da habe ich mir so einen Job an Land gezogen“, denke ich, als mein Wecker um 4.30 Uhr klingelt. „Ein Tag als katholischer Pfarrer“ im Rahmen der FN-Serie: Ich ahne bereits, dass das Gemeindepriester-Sein ein Knochenjob sein würde, als Stefan Michelberger mir den Tagesplan zumailt. Morgen-Messe, Dienstbesprechungen, Gemeindebesuche, Nikolausfeier, Vorbereitung Kindergottesdienst und abends ein Treffen des Missionsausschusses. Ein Tag, der um 6 Uhr beginnt und gegen 22 Uhr endet. Und ich habe mir das alles auch noch selbst ausgesucht.
Ich bin trotz des Stoßverkehrs pünktlich angekommen. Etwas verfroren suche ich meinen Bank-Sitzplatz in der Kirche „Sankt Sebastian“. Sie steht zwischen einigen Hochhäusern. Erste angenehme Überraschung: Der moderne Bau begeistert von außen mit seinem Sichtbeton wenig – doch im Inneren ist er mit rotbraunen Ziegeln gemauert. Fast wie eine antike Adobe-Hütte mit auf- und abstrebenden, künstlerisch gestalteten Wandelementen. Groß natürlich. Aber das intime Raumgefühl stimmt.
„Rorate“: Die adventliche Form der Morgenmesse wird in Franken liebevoll „Lichtleskerch“ genannt. „Tauet ihr Himmel (...) regnet den Gerechten“, so kann man den lateinischen Bibelabschnitt aus Jesaja übersetzen. Rorate – Advent: Vorankündigung, Erwartung. Eingehüllt in Dunkel und Licht singe ich mit: „Maria durch ein’ Dornwald ging – Kyrieleison.“ Und beim Singen wird mir das Herz weich und ich spüre, wie mir Tränen in die Augen steigen. Maria: Frau und Ur-Mutter. Dornwald. Er erscheint im Lied als aufblühendes Paradies. Doch er nimmt auch die Dornenkrone vorweg. Maria mit dem Kindlein unterm Herzen, dem man sein leidvolles Menschenschicksal nicht wünschen möchte. Maria: Ein Bild für alle Mütter.
Danach Gemeindefrühstück nebenan. Ich mach’s wie Pfarrer Stefan und wechsle mit Kaffee und Honigbrötchen nach je einer Viertelstunde den Tisch. Den Menschen offen mein berufliches Tagesziel erklären, aber vor allem Zuhören, wahrnehmen, was erzählt wird. Nachfragen.
Angezogen habe ich mich in gedeckten Farben und mit Stehkragen-Hemd. „Situationsangepasste Kleidung“ nenne ich das – in Gemeinderatssitzungen gehe ich gerne mit Anzugjacke. Hier im Gemeindehaus also etwas pfarrermäßig, aber nicht zu viel. Schließlich wird man nicht durchs Collarhemd zum Priester, sondern durch Lebensentscheidung und Weihe.
„Andocken“ auf der ganzen Welt Später, zwischen zwei Terminen, rede ich mit Stefan Michelberger auch über seine Lebensgeschichte. Wir sind beide im Vorbachtal, ganz im Süden des Main-Tauber-Kreises aufgewachsen. Ich in Niederstetten, er im Weikersheim-Laudenbach. Persönlich sind wir uns nie begegnet, aber frühere katholische Pfarrer hatten wir gemeinsam erlebt. Anknüpfungspunkte.
Doch während mein Leben zunehmend säkular verlief (trotz einer Religionslehrerin als Mutter), hat sich Michelberger schon früh für Kirche begeistert: „Weil man dort etwas gestalten kann.“ Jugendkirche, Weltkirche, internationale Glaubensfamilie, da habe er „andocken“ können und Menschen auf dem ganzen Globus kennenlernen.
Das katholisch geprägte Laudenbach, die bekannte Wallfahrtskirche auf dem Berg und ein liberales Elternhaus. „Ihr müsst machen, was ihr für richtig haltet“, so die Haltung von Michelbergers Eltern zu ihren Kindern. Und so ist am Ende nach Studium und Seminar ein Priester und Pfarrer aus Stefan geworden. Rektor des Jugendhauses in Miltenberg, Regionaljugendseelsorger, Diözesanjugendpfarrer, Regens des Priesterseminars in Würzburg. Eine Karriere, die immer auch mit jungen Menschen zu tun hatte. Und Posten, auf die er berufen wurde.
Zusammenleben nicht einfach
Jetzt, auf dem Heuchelhof: Das ist die erste Stelle für Michelberger, auf die er sich beworben hat. Das Wohngebiet, eine Trabantenstadt mit teils schlechtem Ruf, „verschiedenen Nationalitäten, unterschiedlichen kulturellen und sozialen Prägungen“, die „das Zusammenleben nicht immer einfach“ machen, kann man in der Wikipedia nachlesen.
Bei der Dienstbesprechung im Pfarrbüro: Wer ist in diesem Monat gestorben und wird im Monatsreqiuem erwähnt? Wer macht ein anstehendes Brautgespräch? Ein Diakon kommt dazu wegen des genauen Ablaufs eines Kindergottesdienstes. Dann Fragen zu anstehenden Sanierungen und Finanzierungen. Alles wird zügig abgearbeitet, obwohl Michelberger erst kurz im Amt ist. Dann hat auch noch der Bischof einen Besuch angekündigt. Ist das eine informelle Visite oder gibt es einen Gottesdienst? Wer assistiert dann? Und schließlich muss noch eine Fußwallfahrt vorbereitet werden. Und die Beichttermine festgelegt. Mir brummt schon der Kopf. Michelberger bleibt entspannt.
Es ist Freitag. Es gibt Fisch zum Mittagessen. Wir unterhalten uns ungezwungen auch über Privates. Bei einem solchen Tagespensum erübrige sich ja die Frage nach Zeit für Frauen, so scherze ich – wohl um den Zölibat wissend. Michelberger lacht. Als Pfarrer ist er solche Andeutungen gewohnt. Kein Problem – Nicht-Priester oder Journalisten wie ich finden das natürlich interessant.
Mit dem kleinen E-Auto geht es raus in die Gemeinden Rottenbauer und Reichenberg. Schnell wird dort bei der Frage um die Bewirtschaftung eines Gemeindesaals klar, dass eine Nachwuchs-Lücke klafft. Der aktuell zuständige und erfahrene Mitarbeiter wird bald 80 Jahre alt. Ein Nachfolger muss gefunden werden. Michelberger verspricht, sich des Themas schnell anzunehmen.
Zurück auf dem Heuchelhof. Es ist so neblig, dass man nur ein paar Meter weit sehen kann. Fotografieren geht nicht. Nur gefärbte „Wolken“ auf meinen Bildern vom Aufbau der Stände für den Nikolausbesuch. Zusammen mit Daniel, einem Architekturstudenten und den Schülern Oskar (15) und Amelie (14) und jeder Menge ihrer Freunde stellen wir Zelte für Waffeln und Punsch auf. Das junge Trio hat schon vor Schule und Hochschule bei der Morgenmesse ministriert. Mit dem Nachwuchs in der Gemeinde funktioniert es offenbar. Ministrantenmangel gibt es nicht. Ein Lichtblick.
Trotzdem „raus und ran“
Doch: 2022 haben mehr als 522 000 Menschen der katholischen Kirche den Rücken gekehrt. Wohin diese Reise geht, das weiß auch Stefan Michelberger nicht. Und als Gemeindepfarrer, das wird mir immer klarer, kann man sich zumindest nicht dauernd mit dem Schwund und möglichen Gründen beschäftigen.
Glaubwürdigkeit erfordert von einem Priester auch Unbedingtheit: „Raus und ran“, das war Michelbergers Motto als Jugendpfarrer. In bürokratischerer Sprache würde man von „Präsenz zeigen“ und „Ansprechpartner sein“ reden. Und: Echte Bürokratie und Verwaltung hat er jede Menge zu bewältigen – zusätzlich zum Priesteramt.
Erst nach dem Fest nachhause
Für den Missionsausschuss am Abend erhalte ich wegen eines eigenen dringenden Termins freundlichen Dispens – immerhin bin ich an diesem Tag schon 13 Stunden beruflich auf den Beinen. Stefan Michelberger aber muss zu dieser Sitzung. Bis Weihnachten ist sein Terminkalender proppenvoll, inklusive natürlich der Feiertage an sich. Da muss ein Pfarrer bei seiner Gemeinde sein. Die eigene Familie in Laudenbach bekommt den Sohn und Bruder Stefan erst danach zu sehen. Aufs alljährliche Heimkommen ins Tauber- und Vorbachtal freut sich Michelberger, denn da steht sein Pfarrersein für ein paar Stunden nicht im Vordergrund. Freuen aufs Elternhaus: Auch eine Art Advent.
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