Walldürn. „... circiter annum Dni 1330 ...“ - „Um das Jahr 1330 geschah in Franken durch Gottes Eingreifen ... ein besonders bemerkenswertes Wunder des heiligen Blutes.“ So beginnt der (ins Deutsche übersetzte) erste, 1589 auch erstmals gedruckte zusammenhängende Bericht „De sacrae Waltdurensis peregrinationis ortu et progressu“ des damaligen Pfarrers, Magister Jodocus Hoffius. Das Jahr 1330 wird deshalb bis heute – also seit nunmehr über 690 Jahren – als gewissermaßen offizielles Datum des Wunderereignisses und als Ursprung der Walldürner Wallfahrt genannt. Doch lassen sich Hinweise für eine Zuverlässigkeit dieses Datums erspüren? Der Anlass für die Walldürner Wallfahrt ist ein sogenanntes „Blutwunder“. Als solches gelten nach dem „Lexikon für Theologie und Kirche“ „mirakulöse Erscheinungen auf Hostien und Corporalien (Altartüchern), an Kruzifixen, Heiligenbildern , die wie Blutungen aussehen“. Besonders viele „Blutwunder“ sind aus dem 13. und 14. Jahrhundert überliefert.
Der Hoffius-Bericht von 1589 nennt den in Walldürn wirkenden Pfarrer Heinrich Otto, der versehentlich den bereits konsekrierten Kelch umstößt. Der zu Blut gewordene Wein zeichnet nach einer Legendenversion auf dem Korporale das Bild des Gekreuzigten sowie elf Häupter Christi mit Dornenkrone ab (Veronicae). Erschrocken und aus Angst vor den Folgen versteckt Heinrich Otto das Tuch hinter einem Stein des Altars. Erst als er 50 Jahre später im Sterben liegt, will er sein Gewissen erleichtern, erzählt seinem Beichtvater von dem Ereignis und nennt das Versteck des Korporales.
Kunde verbreitet sich rasch
Nach dem Auffinden des Tuches mit dem wundersamen Bild verbreitet sich seine Kunde rasch in der engeren Umgebung; immer mehr Menschen wollen das Tuch sehen, und somit nimmt die Wallfahrt – wenn auch zunächst begrenzt – ihren Anfang. Im Jahr 1408 genehmigt der damals für Walldürn zuständige Bischof von Würzburg, Johann I. v. Egloffstein, nach Überprüfung durch seine Behörde die Wallfahrt. Mit der langen Lebenszeit des Pfarrers Heinrich Otto, seinem Geständnis erst auf dem Sterbebett und der 1408 erfolgenden Genehmigung durch den zuständigen Würzburger Ordinarius werden die etwa 80 Jahre seit dem Blutwunder-Ereignis „geschickt und plausibel“ überbrückt. 1445 betreten die Historiker zum ersten Mal gesicherten Boden. Das Walldürner Korporale wird nach Rom gebracht und Papst Eugen IV. gezeigt. Er bestätigt das Wunder und erkennt auch die Wallfahrt an. Zu dieser Zeit ist das heute verblichene Bild des Gekreuzigten und die als „Veronicae“ bezeichneten Häupter des Dornengekrönten noch zu sehen. Das erwähnt die auf den 31. März 1445 datierten Bulle ausdrücklich, mit der Papst Eugen IV. einen Ablass auf die Oktav von Fronleichnam verleiht, „damit die Christgläubigen desto lieber in Andacht in dieser Kirche zusammenkommen“. Dieser Tag ist als der „Große Blutfeiertag“ bis heute der wichtigste Feiertag der Walldürner Wallfahrt.
Diese päpstliche Urkunde ist das älteste schriftliche Dokument für die Walldürner Wallfahrt. Allerdings existiert sie schon seit langem nur noch in Form von Abschriften; das Original ist vermutlich in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges verloren gegangen. Die älteste erhaltene Abschrift stammt von 1571 von dem Amorbacher Notar Wunibald Dechelmann. Dort spricht man nicht von 1330 als Datum für das Blutwunder, sondern nennt lediglich das Jahr 1408, also das Datum der Untersuchung in Würzburg.
Gegenüber dem Bericht von Magister Jodocus Hoffius von 1589 – rund 250 Jahre nach dem Wunderereignis – könnte man deshalb mehr als skeptisch sein, was seine historische Zuverlässigkeit angeht. Doch zum einen hat im Mittelalter und in der frühen Neuzeit die mündliche Überlieferung einen viel höheren Stellenwert als heute und zum anderen gibt es noch weitere Indizien, die dafür sprechen, dass das Datum 1330 keineswegs frei erfunden ist.
Die päpstliche Bulle von 1445 geht nämlich von der Voraussetzung aus, dass die Verehrung des Walldürner Blutkorporales spätestens um das Jahr 1400 schon traditionell und verbreitet ist. Aus dem Jahr 1423 stammt zudem der älteste schriftliche Nachweis für den Ortsnamen „Waltdürn“, den man als „Wallfahrtsort Walldürn“ deutet und der damit ebenfalls eine damals bereits bestehende Wallfahrt belegt. Die ältesten erhaltenen Überreste eines Mirakelbuchs, in dem die Wunder festgehalten wurden, die sich in Walldürn ereignet haben, stammen aus dem Jahr 1450, sind also auch viel älter als der Bericht von Magister Hoffius. Und schließlich besaß die Vorgängerkirche der heutigen Basilika schon um die Mitte des 14. Jahrhunderts einen als „Corporis-Christi-Altar“ bezeichneten Wallfahrtsaltar, der genau an der Stelle gestanden haben muss, an der noch heute der „Blutaltar“ steht.
Mit UV-Licht sichtbar gemacht
Trotzdem: Einen stichhaltigen Beweis dafür, dass das Blutwunder sich tatsächlich 1330 ereignet hat, gibt es nicht. Und dass das Wunderbild auf dem noch heute in der Wallfahrtsbasilika ausgestellten Leinentuch längst nicht mehr zu sehen ist, verbessert die Beweislage nicht. Eine naturwissenschaftlich fundierte Gewebeuntersuchung könnte Klarheit über das Alter des Tuches bringen; eine solche ist noch nicht erfolgt.
Um das Jahr 1920 wurde ein Schutztuch aus Leinen hinter dem Korporale angebracht. Bei einer wissenschaftlichen Untersuchung 1950 ließ sich auf dem Originaltuch nichts mehr feststellen. Aber über die Bestrahlung des Schutztuches, das man nicht abnehmen wollte, vermerkt das Untersuchungsprotokoll: „Zum allgemeinen Erstaunen zeigt sich in der Mitte des Schutztuches bei kräftiger Anstrahlung (mit ultraviolettem Licht) das Bild des Gekreuzigten“. Der Fachmann hebt hervor, „dass das Korporale kein Gemälde gewesen ist, welches durch die Zeit verblichen wäre“. Es lasse sich damit erklären, dass die im Laufe der Jahrhunderte durch den Wein erfolgten chemischen Veränderungen der Leinenfaser eine unterschiedliche Lichtdurchlässigkeit bewirkten, die dann zu der mit UV-Licht sichtbar gemachten Abbildung auf dem Schutztuch führte. Sie zeigt den Gekreuzigten, nicht jedoch die elf „Veronicae“ (vgl. Abbildung).
Damit scheint für das Walldürner Blutkorporale auch eine neuere naturwissenschaftliche Erklärung auszuscheiden, die besonders für sogenannte Bluthostien gilt. Für deren blutrote Verfärbung wird mit großer Wahrscheinlichkeit das Bakterium „Serratia marcescens“ verantwortlich gemacht, das auf Brot und somit auch auf Hostien einen guten Nährboden finden kann. Ob allerdings auch auf Leinentüchern eine „blutrote“ Verfärbung, hervorgerufen durch „Serratia marcescens“, stattfinden kann, ließ sich der dem Verfasser vorliegenden wissenschaftlichen Literatur nicht entnehmen.
Solche Überlegungen sind für die religiöse Deutung von Wunderereignis und Wallfahrt jedoch unerheblich; denn letztlich geht es auch in Walldürn, wie eigentlich immer in der Religion, um im Glauben begründete Sichtweisen. Das Blutwunder von Walldürn und die daraus hervorgehende Wallfahrt sind kein Selbstzweck; sie wollen den gläubigen Christen auf eine tiefere Wirklichkeit hinweisen: auf den in der Eucharistie, in den Gestalten des konsekrierten Brotes und Weines wahrhaft gegenwärtigen Christus. Und deshalb geht es für die unzähligen Menschen, die seit vielen Jahrhunderten die Wallfahrt nach Walldürn unternommen haben und auch in Zukunft noch unternehmen werden, um eine in langer Tradition begründete Glaubenswahrheit.
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