Kitas

Tauberbischofsheimer Dekan Thomas Holler: "Wir dürfen unsere Erzieher nicht verheizen"

„Wir können und dürfen unsere Erzieher nicht verheizen“, sagt Thomas Holler. Der Tauberbischofsheimer Dekan weiß um die Sorgen und Nöte des Kita-Personals. Die Situation in den Kitas ist seiner Meinung nach eine Folge von viel tieferliegenden Problemen.

Von 
Sabine Holroyd
Lesedauer: 

Tauberbischofsheim. Dekan Thomas Holler beschäftigt die Lage in den Kitas nicht nur als Vorsitzender des Stiftungsrates. Auch als Seelsorger treiben ihn die Personalnot und ihre Konsequenzen um: „Ich habe ein Herz für die, die ein Herz für Kinder haben“, sagte er gegenüber den FN. Er begrüßt es auch, dass die frühere langjährige Leiterin der Tauberbischofsheimer Kita St. Martin, Heidi Stumpf, mit ihren Sorgen um die Erzieher, die Eltern und die Kinder durch ein Gespräch mit den FN an die Öffentlichkeit gegangen ist. „Sie ist kompetent und weiß, was Sache ist“, so seine Meinung. Das Thema brenne schließlich sehr vielen Menschen unter den Nägeln.

Gegenüber den FN schilderte Thomas Holler (Bild) nun seine Sicht der Dinge. Der 56-Jährige sprach als Vertreter der katholischen Kirchengemeinde – Trägerin von sieben Kitas in Tauberbischofsheim und seinen Stadtteilen –, sowie aus seiner Erfahrung aus Gesprächen mit den Leiterinnen und Erzieherinnen, mit dem Elternbeirat und der Kita-Geschäftsführung, mit Vertretern der Kommune, des Landkreises und der evangelischen Kirche.

Mehr zum Thema

Kommentar Gegen Personalmangel in Mannheimer Kitas und Horten mehr Tempo nötig

Veröffentlicht
Kommentar von
Bertram Bähr
Mehr erfahren
Erhebung

Mehr Platz in den Kitas

Veröffentlicht
Von
teb
Mehr erfahren

Als Gründe für die Situation in vielen Kitas, die nur die Spitze des Eisbergs darstelle, führt er verschiedene Umstände an: die demografische Entwicklung, die großen Veränderungen in der Berufswelt –„es gibt Tätigkeiten, bei denen man weniger Stress hat und mehr verdient“ –, und den tiefgreifenden Wandel in der Gesellschaft: „Vor 20 Jahren gab es kaum Krippen, weil damals der Bedarf noch nicht so groß war. Wenn ich heute drei Jahre in bestimmten Jobs eine Pause mache, dann bin ich ‘raus.“

Aber auch die knappen Finanzen spielen eine Rolle. Die Bereitstellung von Kitaplätzen gehöre zwar zu den Pflichtaufgaben der Kommunen, doch „kann man nur das Geld ausgeben, das man hat“. Zwar beschließe der Gesetzgeber, dass jedes Kind einen Anspruch auf Betreuung hat, „aber er sagt nicht, mit welchem Geld und welchem Personal“. Thomas Holler weiß, dass sich die Ansprüche an das Personal extrem erhöht haben. Er wird nicht müde zu betonen, dass es sich hierbei um hochqualifizierte Leute handele, die einen anspruchsvollen Erziehungs- und Bildungsauftrag erfüllen und höchsten Respekt verdienen.

Sein Anliegen: „Wir müssen mit der schwierigen Situation transparent umgehen, allen Betroffenen gut zuhören und gemeinsam das Beste aus der Situation machen.“

Konstruktive Gespräche

Mit dem Elternbeirat von St. Martin – jener Kita mit der aktuell größten Personalnot – habe es bereits konstruktive Gespräche gegeben, an denen auch Kita-Geschäftsführer Thomas König, Bürgermeisterin Anette Schmidt und Hauptamtsleiter Michael Karle von Seiten der Kommune teilgenommen haben.

Der Elternbeirat, berichtet Thomas Holler, habe seinen Unmut über die vielen fehlenden Betreuungsstunden geäußert und auch auf die Gefährdung von Jobs hingewiesen, wenn Arbeitnehmer ihre Kinder morgens nicht in die Kita bringen können, obwohl sie einen Anspruch darauf haben. Die Eltern hätten aber auch gleichzeitig ihren Respekt vor der großen Leistung der Erzieherinnen geäußert.

Mit „Springern“ aus anderen Kitas versuche man in Einrichtungen wie St. Martin momentan der extremen Personalnot zu begegnen. „Auch wenn das eine Herausforderung ist, haben sie sich großherzig dazu bereiterklärt“, freut er sich über deren Engagement. Auch mit so genannten „geeigneten Personen“ versuche man, Löcher zu stopfen. Für deren Einsatz ist er ebenfalls sehr dankbar. Holler betont, dass die Leitung von St. Martin gemeinsam mit ihrem Team unter Aufbietung aller Kräfte versucht hätte, die Situation in den Griff zu bekommen und den „Laden“ irgendwie am Laufen zu halten. Doch irgendwann war die Belastung zu groß: „Sie funkten SOS.“

Grundlegende Pflichtaufgaben zurückzufahren, um Zeit einzusparen, indem man etwa auf die Vor- und Nachbereitung, Dokumentation oder Teambesprechungen verzichte, hält der Dekan für den falschen Weg. „Damit sägt man den Ast ab, auf dem man sitzt.“ Doch wenn man den Kita-Beschäftigten immer noch mehr aufbürde, „sind sie irgendwann kaputt, und dann geht gar nichts mehr“. Thomas Holler sagt: „Diese Erzieherinnen und Erzieher sind großartige Menschen mit einem Herz für Kinder. Sie haben es nicht verdient, kaputtgemacht zu werden.“ Dankbar ist er für das vertrauensvolle Miteinander mit der Stadt: „Hier ist der gute Wille da, das zu leisten, was möglich ist, und gemeinsam an Verbesserungen zu arbeiten.“ Als Leiter der katholischen Kirchengemeinde und auch als Seelsorger sieht er sich „in der Verantwortung“. Thomas Holler ist überzeugt: „Kitas können nur gut laufen, wenn es dem Personal gut geht. Es ist mir wichtig, dass die Erzieher und Erzieherinnen wissen, dass wir hinter ihnen stehen und sie so gut wie möglich unterstützen. Mitgefühl allein hilft ihnen herzlich wenig, wenn sich nichts ändert. Deshalb versuchen wir alle Spielräume für Verbesserungen zu nutzen.“

Er spricht immer wieder von Stellschrauben, an denen es nun vorrangig und gemeinsam zu drehen gilt, um die Situation in den betroffenen Einrichtungen zu stabilisieren. Dann müssten aber auch die tieferen Ursachen der Misere angegangen werden. Dazu brauche es grundlegende Weichenstellungen in Sachen Ausbildung und Bezahlung, Stellenschlüssel und Berücksichtigung von Kindern mit besonderem Betreuungsbedarf.

„Wenn wir als Kirche der Gesellschaft insgesamt und damit auch der Kommune helfen können, sind wir gerne dazu bereit. Die Herausforderungen sind ja so groß und komplex, dass man sie nur gemeinsam bewältigen kann. Selbst wenn man weiß, dass sich die Probleme nicht so schnell beseitigen lassen: Wenn man eine positive Perspektive und ein lohnenswertes Ziel vor Augen hat, kann man eine schwierige Phase überstehen.“

Der Stiftungsrat habe eine Anfrage der Stadt in Bezug auf eine weitere Gruppe mit entsprechenden Umbaumaßnahmen in St. Martin deshalb auch positiv beschieden: „Wenn es personell möglich ist, machen wir das.“ Schließlich gehe es um die Zukunft der Kinder und damit der Gesellschaft. „Geld, das man bei der Kinderbetreuung spart, muss man irgendwann mit Zinsen für die Bewältigung sozialer Probleme ausgeben“, so seine Meinung. Den neuen Erprobungsparagrafen sieht Thomas Holler kritisch: „Es ist zu befürchten, dass er genutzt wird, um mit noch weniger Personal noch mehr Kinder betreuen zu können. Da muss man höllisch aufpassen“, so Holler. Man könne nur an die Verantwortlichen appellieren, nicht den Weg des geringsten Widerstands zu wählen, denn das käme als Bumerang zurück. Allerdings sieht er in diesem Paragrafen – zumindest theoretisch – auch die Möglichkeit, neue Formate auszuprobieren.

„Es ist kein Zuckerschlecken“

Der Dekan meint: „Der Erzieher-Beruf könnte auch heute immer noch attraktiv sein, wenn die Rahmenbedingungen einigermaßen stimmen würden. Aber ein Zuckerschlecken ist es auch dann nicht. Darüber muss man sich im Klaren sein. Allein schon deshalb, weil viele Kinder Probleme mitbringen, für die sie selbst oft nichts können. Aber gibt es eigentlich etwas Sinnvolleres und Wertvolleres, als Kinder gut ins Leben hinein zu begleiten?“

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Tauberbischofsheim

Copyright © 2025 Fränkische Nachrichten

VG WORT Zählmarke