Erwerb der Fahrlizenz

Tauberbischofsheim: Wenn der Führerschein ewig dauert

Jochen Klima, Vorsitzender des Landes-Fahrlehrerverbandes, kritisiert bei vielen Jugendlichen die fehlende Motivation

Von 
Klaus T. Mende
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Jochen Klima, Vorsitzender des baden-württembergischen Fahrlehrerverbandes, beklagt bei vielen Jugendlichen eine fehlende Motivation, den Führerschein in Angriff zu nehmen. © DPA

Odenwald-Tauber. Für viele Jugendliche war der Führerschein vor zwei oder drei Jahrzehnten noch eine Art Statussymbol, das für Freiheit und Eigenständigkeit stand. Mittlerweile hat sich dieser Zustand aber gewaltig geändert. Denn immer mehr junge Menschen scheinen kein echtes Interesse mehr daran zu haben, die Fahrlizenz zu erwerben – nicht selten aufgrund fehlender Motivation. Aber ist es dies einzig und allein? Die Fränkischen Nachrichten haben bei Jochen Klima, Vorsitzender des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg, nachgefragt, warum der Erwerb der Fahrlizenz in vielen Fällen fast schon zur unendlichen Geschichte mutiert.

Viel späterer Beginn

Manche benötigen sicher viel länger als früher, viel auffälliger sei jedoch, dass Jugendliche allgemein sich viel später dazu aufrafften, mit dem Führerschein zu beginnen. „Das Ganze ist in erster Linie aber eine Frage der Motivation“, bestätigt der Verbandschef. Früher sei nichts wichtiger gewesen, als mit 18 den Führerschein zu haben. Die allermeisten hätten dem entgegengefiebert, bereits lange zuvor ein Interesse an den Tag gelegt, wie geschaltet wird oder was es heißt, Vorfahrt zu haben.

Das Ganze habe sich aber gewandelt. Zwar dürfe man nicht verallgemeinern, doch „für viele Jugendliche ist es nicht mehr attraktiv, der Führerscheinerwerb steht nicht mehr im Vordergrund“, erklärt Jochen Klima. „Denn man hat heute ja die Möglichkeit hat, überall hinzukommen. Und zwar nicht nur mit dem ÖPNV, was vor allem für den urbanen Bereich gilt“, sondern auch deshalb, weil die Jugendlichen überall hingefahren würden. „Ich sage es jetzt mal ein bisschen flapsig: Es ist angenehmer, gefahren zu werden, als selbst zu fahren.“ Und nochmals verneint der Experte in aller Deutlichkeit, dass dieser Trend etwas mit Angst zu tun habe. „Es ist einfach fehlendes Interesse am Autofahren als Vorgang, der Spaß macht.“

Da stellt sich doch die Frage, ob unter diesen Umständen der Führerschein mit 17 – bekannt als „begleitetes Fahren“ – überhaupt noch eine Zukunft hat? Für Jochen Klima macht diese Möglichkeit auch künftig Sinn, bevor Jugendliche mit 18 auf den Verkehr losgelassen würden. Die Forschung sehe eine ganze Menge Ansätze für eine positive Entwicklung bei den Unfallzahlen junger Fahrer, wenn sie zunächst im Beisein von erfahrenen Erwachsenen auf den Straßen unterwegs sind. In der „normalen“ Fahrausbildung sei der Jugendliche, wenn er die Prüfung auf Anhieb bestehe, rund 800 Kilometer in den Bereichen Autobahn, Überland, Nacht und Stadt am Steuer unterwegs. Die Idee hinter dem Führerschein mit 17 sei, dem fahrenden Nachwuchs noch einige tausend Kilometer in Begleitung anzubieten, damit er in allen Jahreszeiten seine Erfahrungen machen könne. Und die Unfallstatistiken zeigten einen klaren Trend auf: Jugendliche, die „begleitet“ unterwegs sind, „bauten“ weitaus weniger Karambolagen als jene, die sofort auf sich allein gestellt seien.

Fehlende Konsequenz

Jochen Klima bestätigt den Eindruck, dass viele angehende Autofahrer ein Jahr und manchmal auch länger benötigten, bis sie den „Lappen“ endlich in den Händen halten. „Das liegt aber nicht unbedingt am Ausbildungsumfang, der im Vergleich zu früher größer geworden ist – etwa durch mehr Inhalte in der Prüfung und ein Plus an Fahrstunden.“ Doch die Dauer sei einerseits mit der fehlenden Konsequenz der Jugendlichen zu begründen. Andererseits sei bei vielen der Alltag durchgetaktet – da bleibe bei dem einen oder anderen nicht auch noch Zeit, um den Führerschein „mal so nebenbei“ zu erwerben.

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Den Online-Unterricht aufgrund der Corona-Pandemie sieht der Verbandsvorsitzende nicht als Ursache für die langen Ausbildungszeiten. Hierbei erwartet er künftig übrigens ein „Mischgebilde“, denn „da läuft derzeit in der Politik ein großer ,Glaubenskrieg’“. Möglich sei, dass in Zukunft der Online-Unterricht mit in die Ausbildungsverordnung aufgenommen wird.

Es gebe zwei Sorten von Inhalten. Zum Einen gehe es um die rein kognitiven Lerninhalte (etwa Verkehrszeichen auswendig lernen), was nach Überzeugung der Wissenschaft digital erfolgen könne. Die affektiven Inhalte („Warum rase ich?“, „Warum lasse ich mich von Mitfahrern dazu verleiten?“) hingegen, bei denen es zum Beispiel um Unfallgründe geht, erforderten, so Fachleute, weiterhin einen diskursiven Präsenzunterricht. „Wir wissen noch nicht genau, wo es hingeht. Es wird aber wohl eine Reform kommen.“

Gestiegene Quote

Jochen Klima bestätigt im Gespräch mit unserer Zeitung jenen Trend, wonach die Nichtbestehensquoten – vor allem in der Theorie – in der letzten Dekade langsam, aber stetig gestiegen sind. „Das liegt auch daran, dass die Prüfung umfassender und schwieriger geworden ist.“ Habe der Pool früher etwa 800 Fragen umfasst, seien es gegenwärtig um die 1200 – mit steigender Tendenz. Im Online-Zeitalter gehöre der klassische Fragebogen, den Prüflinge bis zu einem gewissen Grad auswendig gelernt hätten, der Vergangenheit an. Inzwischen könnten die Rahmenbedingungen der gestellten Fragen stetig verändert und angepasst werden. Und im Zusammenspiel mit einer Vielzahl an Videosequenzen sei das Ganze viel anspruchsvoller geworden. Es sei höchste Konzentration erforderlich, um voranzukommen. Zudem: Bei der Lernmethodik, die sich auch in den Schulen immer mehr durchsetzt und scherzhaft als Bulimie-Lernen bezeichnet wird, schaufelten viele das Wissen explizit zur Prüfung in sich hinein, um es im Anschluss sofort wieder beiseite zu schieben.

Je mehr der Erwerb der Fahrlizenz auf die lange Bank geschoben wird, desto höher summierten sich auch die Kosten. Seien es vor drei Jahrzehnten etwa 1400 Mark gewesen, müssten gegenwärtig für den Führerschein 2800 bis 3500 Euro – als Untergrenze – auf den Tisch gelegt werden. Schon aus diesem Grund sei es ratsam, „in die Puschen“ zu kommen.

Zwar gelte der Erste-Hilfe-Kurs unbefristet. Jedoch habe die Theorieprüfung lediglich eine Gültigkeit von einem Jahr, die Sonderfahrten von zwei Jahren. Ob die zuständige Behörde den Prüfauftrag verlängert, liege in deren Ermessen, teilt Klima weiter mit. Sollte die Verlängerung allerdings abgelehnt werden, müsse der Bewerber einen neuen Antrag für den Führerschein stellen: „Neues Spiel, neues Glück“, denn dann „geht wieder alles von vorn los“.

Im Übrigen werde sich der Erwerb der Fahrlizenz in Zukunft gravierend verändern, ist sich Verbandsvorsitzender Jochen Klima sicher. „Der Verkehr hat sich nämlich stark verändert, Fahrstunden sind oftmals – vor allem in den Städten – keine Fahrstunden, sondern Stehstunden. Der Verkehr wird immer dichter.“

Spannendes Thema

Spannend werde aus seiner Sicht das Thema hoch automatisiertes Fahren („ich rede jetzt bewusst nicht vom autonomen Fahren“). Dies werde das Schalten immer mehr verdrängen – „da sind wir jetzt schon im Trend, denn es gibt immer weniger Schaltfahrzeuge“. Es werde zunehmend das Thema Fahrerassistenzsysteme in die Ausbildung eingebunden. Mittlerweile müssten in der praktischen Prüfung Bereiche wie der Abstandsregeltempomat (Distronic, adaptive Geschwindigkeitsregelanlage) bedient werden können. „Die reinen Kuppel- und Schaltfahrlehrer gibt es bald nicht mehr. Der Fahrlehrer wird nämlich immer mehr zum Mobilitätsberater“, meint Klima abschließend im FN-Gespräch.

Redaktion Mitglied der Main-Tauber-Kreis-Redaktion mit Schwerpunkt Igersheim und Assamstadt

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