Tauberbischofsheim. Aus eigener Erfahrung weiß Tamara Roth, dass nicht nur die Betroffenen selbst Beistand brauchen, sondern auch diejenigen, die mit dieser schleichend fortschreitenden Krankheit eines nahe stehenden Menschen leben müssen. Durch ihren Vater, der im vergangenen Oktober gestorben ist, kam sie mit Morbus Parkinson in Berührung. „Er hatte einen schweren Verlauf und zudem so ziemlich alles ,mitgenommen’, was es an Begleiterscheinungen gibt. Doch bis zuletzt hat er sein positives Wesen nie verloren“, sagt sie rückblickend im FN-Gespräch.
Parkinson-Symptome entwickeln sich langsam
Zu den häufigsten Krankheiten des Nervensystems weltweit gehört Morbus Parkinson. In Deutschland gibt es 250 000 bis 400 000 Parkinson-Patienten.
Bei dieser Erkrankung sterben aus bisher ungeklärten Gründen Nervenzellen fortschreitend ab.
Es gibt Haupt- und Begleitsymptome von Parkinson: Zittern (Tremor), Muskelsteifheit (Rigor), Gang- oder Gleichgewichtsstörungen (posturale Instabilität), Bewegungsarmut (Bradykinese) und vollständige Bewegungsunfähigkeit (Akinese). Diese Hauptsymptome treten selten gleichzeitig auf. Es beginnt meist mit einem eher schwachen Anzeichen. Die Symptome entwickeln sich langsam und schleichend.
Frühe Symptome des Parkinsonsyndroms sind leichte Abstimmungsschwierigkeiten in der Feinmotorik. Aktionen der Hand und der Finger wie etwa Knöpfe schließen, Näharbeiten oder Schnürsenkelbinden sind nur noch unter Anstrengung zu bewerkstelligen. Das Schriftbild verändert sich. Die Sprache wird undeutlich.
Das nächste Treffen der Parkinson Lebensfreu(n)de in Tauberbischofsheim findet am Mittwoch, 27. April, ab 14.30 Uhr im Lebenshilfe-Treffpunkt „Mittendrin“ in der Hauptstraße 43a statt.
Weitere Informationen gibt es auf der Homepage www.parkinson-lebensfreunde.de sowie direkt bei Tamara Roth, Telefon 01520/8581720 (täglich ab 12 Uhr).
Sie macht keinen Hehl daraus, wie schwer diese 25 Jahre seit seiner Parkinson-Diagnose teilweise waren: „Gerade in den letzten zehn bis 15 Jahren kamen wir als Familie immer wieder an unsere Grenzen.“ Ihrer Meinung nach wird Parkinson auch heute noch verharmlost oder unterschätzt: „Viele denken, dass diese Leute ein bisschen zittern, dann Tabletten nehmen und alles ist wieder gut“. Dabei könne diese Krankheit einen Menschen nicht nur in seiner Mobilität zunehmend einschränken, sondern auch sein Wesen und sein Verhalten verändern.
Nach Diagnose alleingelassen
Wie so viele fühlten sich auch Tamara Roth und ihre Familie nach der Diagnose Parkinson allein gelassen. „Irgendwann begann ich, selbst zu recherchieren und schloss mich einer Parkinson-Gruppe in der Region an. Doch was ich dort erlebte, war nicht das, was ich mir unter Selbsthilfe vorstelle.“
Die Tauberbischofsheimerin gründete eine „eigene“ Gruppe, die schon rein optisch ihre Handschrift trägt: Flyer und Homepage der „Parkinson Lebensfreu(n)de“ hat sie in leuchtenden, frohen Farben gestaltet. Angehörige sind hier ausdrücklich willkommen. Und sie stellt klar: „Bei unseren monatlichen Treffen in den Räumen der Lebenshilfe sitzen wir nicht im Kreis und jammern. Bei uns herrscht eine lockere Atmosphäre. Es ist immer wieder schön zu erleben, wie gut sich alle gegenseitig tun. Das bestärkt mich.“
„Bei uns gibt es keine Zwänge“
Mit ihrer Selbsthilfegruppe hat sie genau das geschaffen, was ihr und ihrer Familie damals fehlte: Eine zentrale Anlaufstelle für direkt und indirekt Betroffene, in der man sich gezielt informieren und ungehemmt austauschen kann, aber auch „nur“ schweigen und zuhören darf. „Abgesehen von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit gibt es bei uns keine Zwänge“, versichert Tamara Roth und sagt: „Davon haben die Patienten und ihre Familien sowieso schon genug.“
Sie berichtet von Extremsituationen wie dem „Freezing“, das durch banale Dinge wie etwa einen Türrahmen ausgelöst werden kann und bei dem erkrankte Menschen plötzlich wie eingefroren sind. Zusammen mit einer Inkontinenz – einer möglichen Begleiterscheinung von Parkinson – entstehe daraus schnell eine für den Betroffenen äußerst peinliche Situation. „Wenn so etwas öfter passiert, trauen sich diese Menschen vor lauter Angst und Scham nicht mehr in die Öffentlichkeit“, weiß sie und fügt hinzu: „Die Liste der möglichen Begleiterscheinungen ist ellenlang. Es handelt sich um ein ganzes Netzwerk aus physischen, psychischen und kognitiven Symptomen und Einschränkungen.“
Die Tauberbischofsheimerin, die selbst wegen einer chronischen neurologischen Erkrankung zur Frührentnerin wurde, ist von einigen Symptomen betroffen, die auch bei Morbus Parkinson häufig sind: Muskel- und Nervenschmerzen, Fatigue und chronische Erschöpfung. Sie erwähnt die Impulskontrollstörungen, die durch einzelne Medikamente ausgelöst werden können und zwanghaftes Verhalten bis hin zur Kauf-, Spiel- und Sexsucht bedeuten. „Doch erst seit 2016 werden diese ,Nebenwirkungen’ in allen Beipackzetteln dieser Medikamentengruppe aufgeführt.“
Auch das so genannte Punding zählt zu den medikamentös bedingten Impulskontrollstörungen. „Dabei räumen die Leute den ganzen Tag über zwanghaft Dinge hin und her. Sie sind dann wie ferngesteuert. Eigentlich wissen sie, dass das nicht richtig ist, was sie tun – aber sie können es nicht abstellen. Das ist ja das Brutale an Parkinson allgemein: Der Betroffene bekommt mit, dass seine Mobilität, seine Selbstständigkeit immer weniger werden. Im Falle von Punding ist man als Familie ständig damit beschäftigt, Gegenstände oder wichtige Unterlagen wegzuschließen oder zu verstecken – und man läuft Gefahr zu denken, der Betroffene macht das alles mit Absicht. Dabei braucht er dringend medizinische Hilfe. Das muss man als Betroffener, aber auch als Angehöriger erstmal wissen.“
Parkinson, sagt sie, habe viele Gesichter, die sich besonders in fortgeschrittenen Stadien von einer Sekunde auf die nächste ändern können.
Da die Menschen älter werden als früher, leiden sie auch länger an Parkinson, bekommen etwa noch Schluckbeschwerden dazu. Tamara Roth: „Doch was tut man, wenn der Patient seine Medikamente auf die Minute genau einnehmen muss, sie aber nicht ‚runterbekommt? Bereits wenige Minuten zu spät können den Rest des Tages ruinieren.“
Immer wieder spricht sie mit viel Liebe über ihren Vater. „Er war früher die personifizierte Gelassenheit. Parkinson und die Medikamente haben ihn total verändert, rastlos und ungeduldig gemacht. Ihm war es dennoch bis zuletzt eine Herzensangelegenheit, andere von seinen und unseren langjährigen Erfahrungen profitieren zu lassen. Ich möchte die Menschen bestmöglich auf potenzielle Begleiterscheinungen und Stadien der Erkrankung vorbereiten, ihnen Wege und Unterstützungsmöglichkeiten aufzeigen. Wenn man gut informiert ist, kann man sich wappnen. Das gibt einem ein Stück Sicherheit, und die Angst bekommt weniger Raum. Ich will die Menschen dazu ermutigen, sich trotz dieser tückischen Erkrankung immer wieder neu auszuprobieren, sich neu zu entdecken, ihnen dabei helfen, die Krankheit nicht zu verdrängen, sondern sie anzunehmen“, erläutert sie.
Allerdings weiß Tamara Roth wiederum aus eigener Erfahrung, dass das leichter gesagt ist als getan: „Das Fiese an Parkinson ist, dass dieses Annehmen mit jedem Fortschreiten der Erkrankung und mit jeder weiteren Begleiterscheinung neu eingefordert wird. Ständig muss das Leben auch von den Angehörigen neu definiert werden. Gerade deshalb sind die Selbsthilfegruppe und das Wissen, nicht allein zu sein, so immens wichtig für jeden Einzelnen.“
„Herrn Parkinson überlisten“
Sie sagt: „Mein größter Wunsch ist, dass diese Krankheit geheilt oder zumindest frühzeitig aufgehalten werden kann. Ich möchte, dass die Menschen ein gutes Leben mit Parkinson führen können, keine Scham mehr empfinden müssen und sie sie in der Öffentlichkeit mehr Verständnis erfahren dürfen. Parkinson zeigt auch der ,gesunden’ Welt ihre Grenzen. Mit Logik und konventionellen Methoden kommt man oft nicht weit. Mit einer guten Therapie, mit Kreativität und Intuition kann man ,Herrn Parkinson’ auch immer wieder mal überlisten.“
Am Ende unseres Gesprächs erinnert sie sich wieder an ihren Vater und einen Tag im Rahmen einer Parkinson-Studie. „Obwohl er von allen Beteiligten am schlechtesten dran war, sagte er am Ende: ,Ohne Parkinson hätten wir diesen wunderschönen Tag nicht erlebt.’“
Weitere Informationen zur Selbsthilfegruppe gibt es bei Tamara Roth unter Telefon 0152/08581720 (täglich ab 12 Uhr) und unter www.parkinson-lebensfreunde.de
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