Welt-Down-Syndrom-Tag - Unter dem Motto „Inklusion meint ....“ stehen am 21. März Menschen mit Down-Syndrom und ihre Familien im Fokus der Öffentlichkeit

Welt-Down-Syndrom-Tag: „Wir sind eine ganz normale Familie”

Am 21. März ist Welt-Down-Syndrom-Tag. Doch wie lebt es sich mit einem Kind, dessen Genstrang nur eine winzige Abweichung aufzeigt? Familie Stemmler sprach mit den FN darüber.

Von 
Heike Barowski
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Nicole und Christian Stemmler sind Eltern von vier Mädchen. Ihre jüngste ist die fünfjährige Emma, sie hat das Down-Syndrom. © Heike Barowski

Höhefeld. Ein kurzes Klingeln und schon macht Emma die Tür auf. Die Fünfjährige strahlt über das ganze Gesicht. Mit ihrer Freundlichkeit bricht sie sofort jedes Eis. „Hallo“, sagt sie und winkt. Das Mädchen weiß, dass der Besuch an diesem Tag ihretwegen gekommen ist. Emma hat deshalb extra ihre Lieblingssachen angezogen. Die Farbe Pink muss da natürlich mit dabei sein. Stolz zeigt sie ihre neuen Turnschuhe, die natürlich auch einen pinkfarbenen Streifen haben. „Ist hübsch“, sagt sie dabei und dreht ihren Fuß noch einmal bewundernd hin und her. Nicole und Christian müssen ein wenig schmunzeln. Sie kennen das schon. Emma – ihre kleine Modemaus.

Doch den beiden war nicht immer zum Schmunzeln zumute. Der Weg bis zu einem inzwischen fast völlig normalen Alltag war holprig. Denn Emma hat das Down-Syndrom.

Welt-Down-Syndrom-Tag am 21.3.

Am 21. März ist Welt-Down-Syndrom-Tag. Das Datum lag auf der Hand, weil bei Menschen mit Trisomie 21 das 21. Chromosom dreifach vorhanden ist.

Der Aktionstag wurde im Jahr 2006 von Downsyndrome International (DSI) und European Downsyndrome Association (EDSA) ins Leben gerufen.

In diesem Jahr steht der Welt-Down-Syndrom-Tag unter dem Motto: „Inklusion meint ....“ Dazu finden zahlreiche Veranstaltungen an diesem Tag statt.

Inklusion ist vom lateinischen inclusio abgeleitet und heißt: Einschließung. Es steht für die Einbeziehung von Menschen in die Gesellschaft.

In Deutschland liegt der Anteil zu erwartender Kinder mit einem Down-Syndrom bei etwa 1:500. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen.

Hilfe erfahren Familien unter anderem durch das Projekt „Von Mutter zu Mutter“ unter www.vonmutterzumutter.de im Internet. hei

Als wäre es gestern gewesen, erinnert sich Nicole Stemmler an beinahe jede Minute, jeden Satz nach der Entbindung. Zur Welt kam Emma am 3. September 2016 im Wertheimer Krankenhaus. Schon bei der ersten Untersuchung hatte die Ärztin die Vermutung, dass das süße kleine Baby mit einem Gendefekt auf die Welt gekommen ist.

„Die Ärztin hat fantastisch reagiert. Sie hat uns zwei Tage gegeben, ohne etwas zu sagen. Wir konnten dadurch die notwendige Bindung zu unserem Kind aufbauen“, erinnert sich Mama Nicole. Doch nach einer weiteren Untersuchung wurden die Eltern mit dem Ergebnis konfrontiert. „Ich habe mich die ganze Zeit nur gefragt, was bitte soll an diesem wunderschönen Kind verkehrt sein?“, sagt Nicole.

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Vater Christian hatte gedanklich seinen eigenen Kampf auszufechten. „Als der Arzt mir sagte, ich müsse mein Leben lang für meine Tochter da sein, war ich verzweifelt. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, ob ich das kann.“ Das lag nicht an Christians Willen, sondern daran, dass er selbst schwer krank war. Inzwischen ist der IT-Fachmann Rentner.

Einen emotional wichtigen und positiven Schub brachte ein paar Monate später der Aufenthalt in der Kinderklinik. Emma musste am Herzen operiert werden. „Da wartete ein kleiner Junge auf sein Spenderherz. Ich dachte nur, über was beklagen wir uns eigentlich? Emma kann doch mit einem Patch auf ihrem Herzen ein gutes Leben führen.“ Christian Stemmler sollte Recht behalten.

Denn die Eltern tun wirklich alles dafür, dass Emma völlig normal aufwächst. Natürlich bekommt Emma immer mal wieder Physiotherapien, muss zur Logopädiebehandlung und nimmt Intensivtherapien in Anspruch – aber ihr Alltag unterscheidet sich kaum von denen ihrer älteren Geschwister. Während die drei anderen Mädchen in die Schule gehen, besucht Emma den Kindergarten in Höhefeld, ist dort vollkommen integriert. Die Schwestern sind nach Aussage der Stemmlers die besten Therapeuten. Durch sie werde Emma täglich unbewusst dazu angespornt, neue Dinge auszuprobieren – so lange, bis es klappt. „Natürlich ist Emma nicht auf dem Stand Gleichaltriger. Aber sie lernt genauso schwimmen, fährt mit dem Laufrad, tanzt und singt wie alle anderen Kinder auch“, sagt Nicole. „Es kann sogar passieren, dass Emma von ganz allein in unser Schlafzimmer läuft, sich den Fernseher anmacht und auf den Kinderkanal schaltet“, sagt Papa Christian und der Stolz ist ihm anzumerken, als er davon berichtet.

Genau wie die 16-jährige Marie, die 13-jährige Anna und die elfjährige Elisa bereichert auch Emma das Leben der Familie Stemmler. „Ja, unser Leben ist anstrengend – aber nicht wegen Emma, sondern weil wir vier Kinder und ein Haus haben und ich arbeiten gehe“, fasst Industriekauffrau Nicole die Herausforderungen des Alltags zusammen.

Gelebte Inklusion

Dass ihre Tochter im Kreise der Gesellschaft soweit wie möglich ein ganz normales Leben führen kann, das verstehen Stemmlers unter funktionierender Inklusion. „Wir sind Familienmenschen und wir lieben unser Dorfleben. Aber wir haben uns auch nie versteckt“, sagt Christian Stemmler. Der völlig normale Umgang mit Emmas Behinderung in der Öffentlichkeit habe auch auf die Umwelt abgefärbt. „Es sollte doch selbstverständlich sein, dass jeder Mensch am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann, egal wie er ist. Dann wird Verschiedenheit das Normale sein“, sagt Nicole Stemmler.

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pdw
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Den Kindern in Emmas Gruppe im Kindergarten fällt der Unterschied schon gar nicht mehr auf. Als eine „inklusive Puppe“ durch Fördergelder angeschafft werden konnte, wurden die Kinder gefragt, was an der Puppe irgendwie anders sei. „Die Kinder haben alles genannt, die Haarfarbe, die Augenfarbe, alles Mögliche – aber keiner hat gesehen, dass es mandelförmige Augen und ein pausbackigeres Gesicht hat. Es war für die Kinder einfach eine normale Puppe.“ Worauf Nicole Stemmler mit dem Beispiel hinaus will, wird schnell klar: „Je selbstverständlicher alle Menschen miteinander aufwachsen, umso unwichtiger werden Unterschiede. Sie lernen voneinander und Vorurteile entstehen erst gar nicht.“

Allerdings wissen Stemmlers auch, dass immer noch nicht jede Bildungseinrichtung Inklusion umsetzt. Ihrer Meinung nach fehle es neben Barrierefreiheit vor allem an vorbereiteten und erfahrenen Pädagogen, die genau wissen, wo die Herausforderungen liegen. Die Stemmlers wünschen sich mehr Offenheit und den Mut für Veränderung. Auch monieren sie das starre deutsche Schulsystem, das immer noch auf reine Leistung ausgerichtet ist und in dem Andersartigkeit wenig Entwicklungsmöglichkeiten habe.

Nie mit Schicksal gehadert

Diversen Blutuntersuchungen vor der Geburt stehen Stemmlers ebenfalls kritisch gegenüber. „Solche Tests setzen doch werdende Eltern massiv unter Druck, weil sie sich bei entsprechendem Ergebnis für oder gegen ein Kind entscheiden müssen. Jede Frau sollte sich deshalb vorher fragen: Möchte ich wirklich entscheiden, was lebenswert ist?“ Dabei betont Nicole das Pronomen. „Wir sind froh, dass wir nie vor diese Entscheidung gestellt wurden.“ Stemmlers hoffen darauf, dass die politischen Entscheidungsträger wesentlich stärker über Konsequenzen nachdenken, wenn die Tests zukünftig von den Kassen übernommen werden.

„Wir haben wirklich nie mit unserem Schicksal gehadert“, sagt Nicole Stemmler abschließend. „Emma geht ihren Weg. Da bin ich zuversichtlich“, fügt ihr Mann an.

Emma selbst hat inzwischen ein Bild gemalt. Darauf ist die Hand ihres Papas zu sehen. Freudestrahlend hält sie die Zeichnung hoch und nickt völlig zufrieden mit sich, ihrem Bild und der Welt.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Wertheim

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