Kirchliches Leben

Tauberbischofsheim: Dekan Thomas Holler im Interview

Seit knapp einem Jahr ist Thomas Holler Dekan der Seelsorgeeinheit Tauberbischofsheim. Zeit für eine Bilanz – und ein Gespräch über Gott und die Welt.

Von 
Sabine Holroyd
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Tauberbischofsheim. Das katholische Pfarrhaus in der Schmiederstraße gleicht noch einer Baustelle. Das altehrwürdige Gebäude wird grundlegend renoviert. „Demnächst“, sagt Dekan Thomas Holler und lacht, „müssten auch mal die Gardinen fürs Wohnzimmer eintreffen“.

Das Pfarrhaus in seinem momentanen Zustand vergleicht er mit dem Umbruch in der Kirche: „Beide sind sie eine Baustelle und werden auch noch eine ganze Weile eine Baustelle bleiben. Nicht alles ist angenehm bei solch einer Veränderung, aber die Konturen sind schon erkennbar.“

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Herr Dekan Holler, wie empfanden Sie bei der Martini-Messe in Tauberbischofsheim den Umzug der Vereine, an dem Sie nach dem Festgottesdienst teilgenommen haben?

Dekan Thomas Holler: Das war sehr schön. In meiner letzten Pfarrei in Forbach im Schwarzwald gab es in den Ortschaften rund 80 Vereine. Sie sind wichtige Kulturträger mit wunderbaren Leuten, die sich unglaublich engagieren – auch in der Pfarrei. Die Vereine liegen mir sehr am Herzen. Solch ein Umzug ist eine schöne Gelegenheit, Menschen kennenzulernen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Vor einem Jahr haben mich Dekanatsratsmitglied Kurt Baumann und seine Frau am offenen Messe-Sonntag auf einen Bummel durch die Stadt mitgenommen. Wir kamen nur langsam voran, weil die beiden sehr bekannt sind und mich allen Leuten, die sie trafen, vorstellten (lacht).

Sie schrieben damals im „Lioba-Wegweiser“, dass Sie aus einer kinderreichen Familie stammen. Wie viele Geschwister haben Sie denn?

Holler: Ich habe einen älteren Bruder und drei jüngere Schwestern, darunter auch ein Pflegekind. Das Miteinander in unserer Familie war sehr herzlich. Dafür bin ich sehr dankbar, denn das ist ein Geschenk.

War Ihre Kindheit wegen der großen Kinderschar entbehrungsreich?

Holler: Wir haben vergleichsweise bescheiden gelebt, aber mussten keinesfalls hungern. Später als Teenager nahmen wir als Gruppenleiter an Ferienlagern der Pfarrjugend an der Nordsee teil. Das war dann wie Urlaub für uns.

Als Ministrant waren Sie auch einmal bei einem Zeltlager in der Nähe von Tauberbischofsheim dabei.

Holler: Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir die Martinskirche, das Fechtzentrum und Kloster Bronnbach besuchten. Von 1977 bis 1987 war ich Ministrant. Nach dem Abitur ging es dann zum Studium der Theologie und Germanistik nach Freiburg.

Spielte der Glaube in Ihrer Familie eine große Rolle?

Holler: Er gehörte ganz selbstverständlich dazu. Ich bin auch als Kind schon gerne mit in die Kirche gegangen – allerdings fand ich es nicht so schön, wenn ich hinter großen Leuten sitzen musste (lacht).

Umso lieber suchte ich mir einen Platz auf der Empore, wo ich das Orgelspiel beobachten und den freien Blick auf den Altar genießen konnte. Kritik an der Kirche kannte ich nicht und wurde erst mit dem Heranwachsen damit konfrontiert.

Das hat mich verunsichert. Ich fragte mich, wie Menschen der Zeitgeschichte, aber auch Leute aus meinem Umfeld so duldsam, nachsichtig und selbstlos sein können, dass sie sich um andere kümmern.

Das, so dachte ich mir, muss ja von irgendwoher kommen. Religiöse Fragen stellte ich mir aber auch durch meine vielen Krankenhausaufenthalte – ich war nicht kränklich, sondern einfach nur ein Pechvogel. Einmal wäre ich an einem Fremdkörper im Hals fast erstickt. Ich kenne das Gefühl von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein nur zu gut. Ich fragte mich: Wer hält mich, wenn mich niemand mehr halten kann? Gibt es da etwas? Und wenn ja, was? Worauf darf ich hoffen? Wenn man als Kind hilflos auf dem OP-Tisch liegt, fragt man nicht nach der populären Meinung, sondern es interessiert einen nur, was oder wer einem helfen kann. Und so beschloss ich, so zu leben, als ob es Gott gäbe und schaue, was passiert.

Das Studium haben Sie dann genutzt, um Antworten auf Ihre Fragen zu bekommen?

Holler: Ganz genau. Ich wollte dadurch in meinen Lebens- und Glaubensfragen nach Klarheit suchen. Doch meine Glaubenszweifel waren nie so groß, dass ich dachte, es gibt da nichts und niemanden.

In den Semesterferien habe ich in Pforzheim in einer Firma für Galvanik im Schichtdienst als Anlagenbediener gearbeitet. Das ging an die Substanz, aber es war hochinteressant für mich.

Was stellen Sie sich unter Gott vor?

Holler: Er ist größer als meine Vorstellungskraft. Aber natürlich hat man eine Art Bild. Ein einschneidendes Erlebnis war mein Aufenthalt in der Heidelberger Kinderklinik, fast 100 Kilometer entfernt von meinem Zuhause bei Pforzheim. Man hatte etwas an meinem Herzen festgestellt. Meinen siebten Geburtstag verbrachte ich im Krankenhaus. Mein Vater nahm unbezahlten Urlaub und mietete sich in Heidelberg ein Zimmer, damit der kleine Bub nicht allein ist und in der Schule mitkommt – er gab mir „Privatunterricht“. So spürte ich, es ist jemand da, auch wenn es einem schlecht geht. Deswegen sieht Gott ein bisschen wie mein Vater aus. Gott ist so für mich da wie mein Vater für mich da war – und noch viel mehr.

In Ihren Regalen hier sehe ich viele Bücher, eines aber steht voller Dinosaurier-Figuren. Was hat es damit auf sich?

Holler: Zuhause hatten wir ein Naturkundebuch, darin befanden sich auch Bilder von Dinosauriern. Sie sahen so lebensecht aus, das fand ich faszinierend. Irgendwann entdeckte ich solche Rekonstruktionen in einem Kaufhaus – und dann kam „Jurassic Park“. Da hatte ich zum ersten Mal den Eindruck: So hätte es sein können. Rekonstruktionen interessieren mich ganz allgemein gesehen sehr, auch in Geschichte und Geografie.

War Ihre Priesterweihe der bisher schönste Tag in Ihrem Leben?

Holler: Die eigentliche Lebens-Entscheidung fällt schon bei der Diakonenweihe. Sie fand im Dezember 2003 in St. Peter im Schwarzwald statt. Meine Familie hätte gar nicht besser reagieren können, als ich eines Tages sagte, dass ich mir vorstellen könnte, Pfarrer zu werden. Allesamt waren sie weder euphorisch noch zeigten sie Unverständnis. Sie rieten mir nur, es mir sehr gut zu überlegen, und gaben die Belastungen und auch das ständige in der Öffentlichkeit-Stehen zu bedenken. Und sie sagten auch, dass ich keine eigene Familie haben und abends allein sein werde. Auch den Tag meiner Priesterweihe am 8. Mai 2005 im Freiburger Münster werde ich nie vergessen – den Gottesdienst, das wundervolle Fest, hunderte von Menschen – und am Abend saß ich wieder allein mit Gott in meinem Zimmer

So ist es jetzt in ähnlicher Form ja auch noch.

Holler: Das stimmt. Jedoch war das Zölibat nie ein wirkliches Problem für mich. Ich hätte mir gut vorstellen können, mit einer Frau eine Familie zu gründen. Doch ich bin mit so vielen Menschen verbunden. Außerdem kann man sich auch mitten in einer Menschenmenge allein fühlen. Die Frage ist doch, ob man wirklich allein ist, wenn man allein ist, oder eben nicht. Das ist der Kern eines Lebens und Dienstes: Ich lebe in diesem Haus nicht allein, denn ich habe einen unsichtbaren Freund und Begleiter.

Was denken Sie über die Missbrauchsfälle in der Kirche?

Holler: Natürlich kann ich die Einzelfälle nicht beurteilen, weil ich sie nicht kenne. Allerdings ist es für mich absolut unverständlich, wie jemand Kindern oder Jugendlichen so etwas antun kann. Ich will über niemanden den Stab brechen, aber ich urteile über die Sache, die nie hätte passieren dürfen. Und wenn sie passiert ist, dann hätte man sie nie dulden oder vertuschen dürfen. Wir sind als Kirche und als Menschheit eine Schicksalsgemeinschaft. Dabei profitieren andere von dem, was einer gut macht. Aber was einer in den Dreck zieht, das fällt auch auf die anderen zurück.

In der Kirche ist einiges nicht in Ordnung. Doch ich erlebe hier vor Ort – wie auch an meiner früheren Stationen – eine schöne Gemeinschaft, Pfarrer, die es gut meinen und alles geben in ihrem Dienst und liebe, herzliche Mitarbeiter im Pfarrbüro. Hier wie auch anderswo habe ich Menschen angetroffen, über die man sich einfach nur freuen kann. So soll Kirche sein. Mit diesen Leuten an meiner Seite wird mir auch nichts zu viel – auch wenn es manchmal fast schon grenzwertig ist. Wir können nicht jederzeit alles anbieten und müssen bescheidener werden.

Ich bin ein Herzens- und Harmoniemensch. Die Arbeit geht in Harmonie viel leichter von der Hand. Wenn es menschlich gut funktioniert, bekommt man auch sachliche Lösungen hin.

Wie groß ist die Belastung als Pfarrer denn?

Holler: Ich empfinde es nicht als Belastung. Immer in Bereitschaft zu sein, heißt ja nicht gleichzeitig, auch immer im Dienst zu sein. Allerdings kann ich nur das tun, was in meiner Macht steht. Ich kann die Welt nicht retten, aber vielleicht ein bisschen besser machen. Deshalb bin ich für die Leute da und freue mich, wenn sich jemand nach einem Gespräch mit mir oder nach einer Predigt etwas besser fühlt. Seit meiner Priesterweihe war ich nie mehr nur eine Privatperson. Ich bin Thomas Holler, der Pfarrer, aber der Pfarrer ist auch Thomas Holler. Das ist mein Leben und nicht eine gesellschaftliche Position. Für dieses Leben bin ich sehr dankbar.

Es gibt Leute, die haben Standesdünkel oder wollen gern „Hochwürden“ sein – doch Hochwürden ist nur 1,70 Meter „hoch“ (lacht).

Haben Sie einen Lieblingsbibelvers?

Holler: Als meinen Primizspruch habe ich „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ aus dem Evangelium nach Johannes gewählt. Ich habe gelernt, dass man im Glauben keine Bedingungen stellen kann. Aber ich habe auch gelernt, dass man im Glauben Gewissheit braucht. Ungewissheit hilft mit herzlich wenig, wenn es einmal darauf ankommt. Gewissheit ist jedoch nicht mit fanatischer oder verbohrter Überzeugung gleichzusetzen. Ich bin einfach überzeugt davon, dass es etwas gibt, auch wenn ich es nicht sehe – so wie ich die Luft nicht sehe, aber sehr wohl ihre Wirkung, wenn sich beispielsweise die Blätter eines Baumes bewegen.

Ein kleines Stück Himmel ist auch in dieser Welt möglich. So lange immer wieder ein kleines Stück Himmel „passiert“, so lange kann ich auch glauben, dass es den Himmel gibt. Dazu braucht es Lichtblicke wie in der Osternacht. Alle Dunkelheit der Welt ist schon nicht mehr dunkel, wenn nur ein Licht brennt. Solange dieses Licht brennt, geht die Hoffnung nicht verloren. Von der Hoffnung lebt alles.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Tauberbischofsheim

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