Odenwald-Tauber. „Gar keinen Bock auf Arbeit morgen? Mach was dir Spaß macht und werde Lehrer*in“: Die Kampagne des baden-württembergischen Kultusministeriums vermieste so manch einem Pädagogen die Sommerferien. Nach Oberstudienrat a.D. Klaus Schenck und zwei Lehrkräften hat sich bei uns eine weitere Lehrkraft aus der Region gemeldet, die wie ihre Kollegen zuvor ihre Meinung anonym äußern wollte.
Eines möchte dieser Lehrer vorab betonen – sein Beruf sei „toll, vielfach erfüllend und sinnvoll: Ich möchte nichts Anderes machen. Jedoch“, meint er, „sollte man mit den Quereinsteigern, die für diesen Beruf angeworben werden sollen, auch ehrlich umgehen. Sonst macht man sie ja ebenfalls nur krank und kaputt.“
Seine Prognose: Ein Großteil der „Neuen“ werde nach kurzer Zeit entnervt aufgeben.
Gegenüber den FN schildert der Pädagoge Begebenheiten, die für ihn und seine Kollegen in ihrem Alltag keine Seltenheit darstellen: „Es kann durchaus sein, dass sich in einer Klasse mindestens drei Jugendliche zu Stundenbeginn erst einmal der Körperpflege hingeben. Das bedeutet: Haare frisieren und schneiden oder Nägel feilen. Eine weitere Gruppe Jugendlicher wird sich sicherlich noch auf der Toilette befinden, in der der Hausmeister kurz darauf die Überreste von Vapes findet. Sollte die Lehrperson bereits mit dem Unterricht begonnen haben, darf sie bei Eintreffen der WC-Schülergruppe nicht nur alles wiederholen – was die Betreffenden überhaupt nicht interessiert – sondern auch vergeblich auf eine Entschuldigung für die Verspätung warten.“ Kinder und Jugendliche empfänden es oft als „Zumutung“, die Arbeitsmaterialien für das betreffende Fach herauszunehmen. Nicht selten sei eine hartnäckige Weigerung oder ein wiederholtes Ausdrücken des Nichtverstehens der Aufforderung die Folge. Der Lehrer erläutert: „Da erntet man dann ein ,Hä?’ oder ein „Wieso? Ich hab’ da aber keinen Bock drauf’“.
Unterdessen würden sich weitere Schülergruppen über die letzte nächtliche Zock-Runde, die nicht selten bis in die frühen Morgenstunden gedauert hat, und ihr erreichtes Level unterhalten.
Spätestens nach einer Viertelstunde müssten dann weitere Schüler angeblich die Toilette aufsuchen. Der Pädagoge: „Versucht man dies zu unterbinden – es gibt dafür ja extra Fünf-Minuten-Pausen nach einer 45-minütigen Unterrichtsstunde – darf erst recht keine Mitarbeit mehr erwartet werden: ,Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn ich pissen muss’, bekommt man dann etwa zu hören.“
Themen wie der Klimawandel oder das Müllproblem interessierten nicht – den Abfall könne man doch in einen Vulkan oben „reinkippen“.
Zudem sei den Jugendlichen alles sehr schnell zuviel: zu viele Fakten, zu viele Zusammenhänge, zu viel zu schreiben – die Aufforderung, eine Überschrift zu notieren, führe bereits zu Gestöhne. Der Lehrer gibt zu: „Es gibt ,faule Säcke’ in unserem Beruf. Die gibt es aber überall. Jedoch scheint jeder über die Schule an sich bestens Bescheid zu wissen – man war ja selbst mal Schüler.“
Und hier sieht er das nächste Problem: „Die meisten Kinder machen es den Erwachsenen nach – es wird geschimpft und nur wenig auf das Positive geschaut.“ Der Lernunwille sowie der Mangel an Anstand und Werten seien klar dem Elternhaus anzulasten, sagt er und meint: „Ich erlebe in der Mehrheit ein Kollegium, das versucht, mit allen Schwierigkeiten fertig zu werden. Lehrer, die sich in Vorbereitung, Unterricht, Erziehung, Nachbereitung, Fortbildung und den diversen ,von oben’ aufgedrückten Aufgaben verausgaben.“ Darüber hinaus mache man sich täglich Gedanken, wie man die Klassen zum Lernen bekomme, wie man ihnen vermitteln könnte, dass sie für sich und ihre Zukunft lernen.“
Er schildert ein weiteres Problem: „Angenommen, die von mir beschriebene Klasse geht im nächsten Jahr in die Berufsorientierungsphase. Das heißt, die Schüler sollen Praktika absolvieren. Wie kann ich sie denn mit dieser Arbeitshaltung in die Betriebe gehen lassen? Die Leute dort schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, und ihr Betrieb steht uns dann im nächsten Jahr nicht mehr zur Verfügung.“
Den Lehrermangel mit der Werbung um Quereinsteiger anhand einer solch kostspieligen Kampagne bekämpfen zu wollen, während es in manchen Schulen durch das Dach regnet, sei „schlichtweg lächerlich“.
Der Pädagoge betont nochmals, wie viel Freude seinen Kollegen und ihm der Beruf eigentlich bereite: „Wir haben glücklicherweise viele engagierte Lehrer mit viel pädagogischem Geschick, und natürlich laufen nicht alle Unterrichtsstunden so ab wie beschrieben – wobei das nur ein Bruchteil dessen ist, was wir in den Schulen erleben. Es gibt selbstverständlich auch Kinder, die lernen wollen und sich entsprechend verhalten. Sie gehen aber unter bei den Kämpfen, die mit den anderen ausgefochten werden müssen, damit überhaupt ein Unterricht möglich wird. Angesichts so vieler Kinder, die vernachlässigt werden und deren Wohlergehen offensichtlich gefährdet ist – hier sind deutliche Zunahmen zu verzeichnen – kümmern wir Lehrer uns. Doch zum Dank für all unsere Arbeit wird unser Ruf von ganz oben geschädigt – von unserem Arbeitgeber höchstpersönlich.“
„Jetzt“, sagt der Pädagoge zum Schluss, „ist die Zeit für Ehrlichkeit gekommen.“
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