Odenwald-Tauber. Auf der Suche nach neuen Lehrkräften hat das baden-württembergische Kultusministerium eine Kampagne gestartet, die sich vor allem auch an Quereinsteiger richtet: Auf einem Großplakat am Stuttgarter Flughafen steht neben „Hurraaa!“: „Gelandet und gar keinen Bock auf Arbeit morgen? Mach was dir Spaß macht und werde Lehrer*in.“
Damit hat das Ministerium allerdings offensichtlich in ein Wespennest gestochen: „Man wusste vor dieser Kampagne nicht, wie viel Blödheit auf ein einziges Plakat passt“, hatte sich zum Beispiel die Vorsitzende des Realschullehrerverbands, Karin Broszat, echauffiert.
Der Tauberbischofsheimer Oberstudienrat a.D. Klaus Schenck sagte im FN-Interview unter anderem: „Die hirnrissige Plakat-Aktion des Kultusministeriums gleicht einem Brandbeschleuniger unseres miesen Images. Ich fühle mich durch das Ministerium in die ,pädagogische Jauchegrube’ getunkt – mit Blick auf unser Ansehen und unsere Leistung.“
„Ein Aufkleber wird angebracht“
Nun versucht Kultusministerin Theresa Schopper zu beschwichtigen: „Bei uns ist niemand überhaupt nur auf die Idee gekommen, Lehrkräfte mit dem Attribut faul in Verbindung zu bringen.“ In einer Pressemitteilung des Ministeriums heißt es: „Anlässlich der Reaktionen zu einem der acht Plakatslogans der aktuellen Werbekampagne wird dieser eine Slogan erweitert. Er heißt dann: ,Gelandet und gar keinen Bock auf deine jetzige Arbeit? Hurrraaa! Mach was dir Spaß macht und werde Lehrer*in.’“ Sobald wie möglich, heißt es, werde ein Aufkleber auf dem Plakat am Flughafen angebracht.
Nach dem Interview mit Klaus Schenck meldeten sich in der Redaktion weitere Lehrer, die die Kampagne des Kultusministeriums weder als lustig noch als zielführend empfinden. Zwei Pädagogen waren dazu bereit, ihre Meinung öffentlich zu äußern, wollten aber anonym bleiben. Beide stammen aus der Region Odenwald-Tauber.
„Mit dieser Initiative will die grüne Kultusministerin Theresa Schopper ganz offiziell mehr Interesse für den Lehrerberuf wecken – und die Grünen stehen dazu. Welche politische Unverschämtheit in unserem Land gegenüber allen Lehrern ist denn das?“, echauffiert sich einer der beiden und lässt seiner Wut weiter freien Lauf: „Nicht nur, dass Frau Schopper meint, den Lehrern mitteilen zu müssen, sie sollten doch bitte nicht nur auswendig Gelerntes abfragen, nein, sie sollten auch prüfen, ob die Schüler das Gelernte auch wirklich verstanden haben. Ist das etwas Neues?
Auch bei den Prüfungen sollte mehr auf mündliche Leistungen gesetzt werden mit der Begründung, dass der Schüler bei den schriftlichen Prüfungen ja möglicherweise auf die künstliche Intelligenz zurückgreifen könnte. Leider erschließt sich mir nicht, wie Schüler bei einer schriftlichen Prüfung, bei der Tablet, Handy und sonstige digitale Medien verboten sind, KI-Texte aufschreiben können . . .“
„Grüne Dekadenz“
Der Lehrer meint gegenüber den FN weiter: „Hier ein weiterer intelligenter Slogan der Grünen für den Lehrerberuf: ,Warum die big bang theory durchdringen, wenn du es praktisch jeden Tag knallen lassen kannst?’ Das heißt also, wir Lehrer lassen es jeden Tag knallen. Super! Das ist für mich das geistige Niveau grüner Dekadenz auf politischer Ebene, ganz offiziell in unserem schönen Ländle – nicht ,the Länd’“!
Die Bevölkerung scheine das jedoch seines Erachtens nach hinzunehmen, zumindest habe er „keinen Aufschrei vernommen“. Das Resümee des Pädagogen fällt sarkastisch aus: „Vielleicht ist es ja auch nur ganz einfach ein neues Niveau von Witzen über uns Lehrer.“
Der andere Pädagoge geht noch mehr ins Detail Er sagt gegenüber den FN: „Man fühlt sich von der Politik völlig allein gelassen. Da gibt es keinerlei Unterstützung, im Gegenteil: Es gibt immer noch mehr Arbeit und Vorgaben. Man hat den Eindruck, dass die ,Entscheider’ keinerlei Ahnung von der Arbeit und den wirklichen Problemen an der Basis haben.“ Manche Beschlüsse seien so „fernab der Realität, dass man sie manchmal fast gar nicht mehr ernst nehmen“ könne. Seine Erfahrung: „Es geht schon lange nicht mehr um die Kinder, sondern lediglich um Zahlen und bestenfalls das Einsparen von Geld.“
Wie bereits Klaus Schenck im FN-Interview anmerkte, würden viele Lehrer weit über das Normalmaß hinaus Zeit investieren und Aufwand betreiben – „zum Wohle möglichst jedes einzelnen Kindes, das da vor einem sitzt.“ Der Pädagoge sagt: „Genau diesen Menschen, die noch mehr tun als sowieso schon von ihnen verlangt wird, tut diese Kampagne gerade richtig weh – und das zu Beginn der einzigen Ferien, in denen man wirklich eine gewisse Zeit frei hat. Viele“, so seine Erfahrung, „arbeiten selbst noch gesundheitlich angeschlagen, damit die Kollegen nicht zwei Klassen gleichzeitig unterrichten müssen.“
Der Pädagoge führt neben dem immer mehr geforderten Ganztagsunterricht weitere Punkte an, mit denen Lehrer konfrontiert sind: „Es sind viele Elterngespräche nötig, zudem müssen wir immer wieder auch mal das Jugendamt oder die Beratungsstelle für Kinderschutz einschalten. Manche Eltern sind schlichtweg überfordert. Gerade im erzieherischen Bereich stehen wir riesigen Anforderungen gegenüber – es fehlen Grenzen und grundlegende Verhaltensweisen. Zudem müssen Kinder unterstützt werden, die psychische oder motorische Probleme haben, die mit Lese-Rechtschreibschwäche, Legasthenie oder Dyskalkulie zu uns kommen.“
Das Internet als „riesiges“ Problem
„Ganz nebenbei“ müssten Geflüchtete, die kein Deutsch sprechen, integriert werden, ohne dass die anderen Schüler dadurch eine Benachteiligung erfahren. Jede Aufnahme eines Schülers in eine Klasse erfordere normalerweise Vorbereitung und Behutsamkeit, doch: „Momentan stellen wir fest, dass immer mal wieder jemand dasteht, der plötzlich in die Klasse integriert werden muss.“
Computerspiele, die sozialen Netzwerke und das Internet ganz allgemein bezeichnet der Pädagoge als „riesiges“ Problem, das die Politik „komplett“ unterschätze. Die Auswirkungen seien seiner Meinung nach unter anderem eine viel geringere Aufmerksamkeitsspanne, fehlende Rechtschreibkenntnisse sowie ein eklatanter Empathie- und Realitätsverlust sowie Aggressivität.
Der Lehrer sagt: „Schlaue Sprüche aus der Politik oder dem Kultusministerium helfen uns gerade nicht mehr. Die Lage ist fatal.“ Sein Fazit fällt ebenso sarkastisch aus wie die seines Kollegen: „Vielleicht hat man ja im nächsten Schuljahr auch mal ,keinen Bock’, wenn das Arbeitspensum wieder einmal nicht mehr zu stemmen ist.“
Unterdessen versucht die Kultusministerin die Scherben zusammenzukehren: „Es war nie unser Ansinnen, auch nur eine Lehrkraft mit diesem Plakat zu diskreditieren. Wir am Kultusministerium wissen ganz genau, wie viel Engagement unsere Lehrkräfte täglich für unsere Kinder und Jugendlichen aufbringen und wie aufreibend gerade auch die vergangenen Jahre waren.“
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/orte/tauberbischofsheim_artikel,-tauberbischofsheim-paedagogen-aeussern-sich-zu-kontroverser-werbekampagne-_arid,2113540.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://km-bw.de/,Lde/startseite