Kritik an Apothekenreform (plus Video)

„Ein Gesundheitsminister sollte ein Praktiker und kein Lobbyist sein“

Gegen Lauterbachs Apothekenreform regt sich Kritik - auch vom Walldürner Apotheker und Beiratsmitglied im Landes-Apothekerverband Baden-Württemberg, Jan Reuter. Warum die Refom alles nur verschlimmern könnte.

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Klaus T. Mende
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„Alle Berufsgruppen im Gesundheitswesen brauchen mehr Wertschätzung“, fordert der Walldürner Apotheker Jan Reuter, seit Januar als Beirat Mitglied im Landes-Apothekerverband Baden-Württemberg. © Klaus T. Mende

Tauber-Odenwald. Gesundheitsminister Karl Lauterbach will am 21. August im Bundeskabinett die Apothekenreform auf den Weg bringen. Die Pläne stoßen auf enormen Widerstand. Der Walldürner Apotheker Jan Reuter, seit Januar als Beirat Mitglied im Landes-Apothekerverband Baden-Württemberg, wirft dem Minister im FN-Interview vor, die Situation total zu verkennen und nicht zuzuhören.

Er redet nicht mit uns, vermittelt vielmehr den Eindruck, die Apotheker gingen stets auf Konfrontation.
Jan Reuter Beiratsmitglied im Landes-Apothekerverband Baden-Württemberg

Herr Reuter, das Apothekensterben setzt sich rasant fort. Was sind die Gründe dafür?

Jan Reuter: Die Ursachen sind vielschichtig. Bereits vor Corona gab es viele Apotheken, die nicht mehr rentabel waren. Apotheker sind einerseits Heilberufler, andererseits in der IHK organisiert. Dies unter einen Hut zu kriegen, ist nicht leicht. Hauptgründe für den Ist-Zustand sind die wirtschaftliche Situation und mangelnde Perspektiven. In 20 Jahren gab es nur eine Honoraranpassung – wir arbeiten auf dem finanziellen Niveau von 2004. Weiterhin gibt es massive Steigerungen bei Betriebs- und Personalkosten, nicht zu vergessen die Inflation. Das alles ist nicht mehr aufzufangen – und deshalb fordern wir, dass endlich unsere Vergütungen angepasst werden. Das wäre auch wichtig für die nächste Apotheker-Generation und deren Planungssicherheit. Hinzu kommen Lieferengpässe, zu viel unproduktive Bürokratie – mit der entsprechenden Frustration. Irgendwann rechnet sich das nicht mehr.

Wie beurteilen Sie die Reformpläne von Karl Lauterbach?

Reuter: Aus meiner Sicht sind sie ungenügend. Lauterbach ist promovierter und habilitierter Arzt. Und was zeichnet einen guten Arzt, einen guten Journalisten oder einen guten Apotheker aus? Er hört zu. Dann wartet er zunächst, bleibt vorurteilsfrei, analysiert und schaut, wie und wo gemeinsam geholfen werden kann. All das vermisse ich beim Gesundheitsminister. Er redet nicht mit uns, vermittelt vielmehr den Eindruck, die Apotheker gingen stets auf Konfrontation. Das ist dadurch bedingt, dass er sich das dritte Jahr hintereinander nicht auf dem Deutschen Apothekertag blicken, sich stattdessen nur live zuschalten lässt. Sein Verhalten ist wenig wertschätzend – für alle Branchen im Gesundheitswesen.

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In Ihrer Eigenschaft als Beiratsmitglied im Landes-Apothekerverband haben Sie via Video in den sozialen Medien heftige Kritik an der Gesundheitspolitik der Ampel geübt. Was geht Ihnen und Ihren Berufskollegen gegen den Strich?

Reuter: Vor allem, dass uns nicht zugehört wird. Es heißt immer, es sei kein Geld da. Wir Apotheken sparen bereits 7,5 Milliarden Euro pro Jahr für die gesetzliche Kranken-Versicherung ein, doch wir benötigen 2,7 Milliarden Euro, um zu überleben und den Standard von vor elf Jahren wieder aufzufangen, was Inflation und Kosten angeht. Wenn unsere Forderungen umgesetzt würden, würde das dem Gesundheitssystem mehr Geld bringen und somit die Kosten deutlich übersteigen.

Wären Sie Gesundheitsminister – wo würden Sie zunächst den Hebel ansetzen, um das Apothekenwesen in eine bessere Zukunft zu führen?

Reuter: Ich würde zunächst einmal zuhören – das ist das Wichtigste.

Apotheke ohne Apotheker, wie von Lauterbach geplant – ist das überhaupt denkbar?

Reuter: Ist es wirklich gewollt, eine Apotheke ohne Apotheker, die nur von einer PTA – sie sind die Motoren in den Apotheken – geleitet wird? PTA sollen mehr Verantwortung bekommen, sie wollen jedoch keine billigen Arbeitskräfte oder Ersatzkräfte sein. Denn was bringt es, einen Mangelberuf durch einen anderen zu ersetzen? Hier fehlt mir die Logik. Wenn ich in die Arztpraxis gehe, sei es wegen eines Blutwerts, will ich doch kurz den Doktor sehen, sonst fühle ich mich nicht ernstgenommen und habe das Gefühl, nicht voll umfänglich beraten zu werden. Schließlich steht bei all dem der Mensch im Mittelpunkt.

Was wäre Ihr Ansatz, um den Ist-Zustand zu verbessern?

Reuter: Der Anteil der Apotheken in finanzieller Hinsicht am gesamten Gesundheitskuchen liegt bei rund zwei Prozent. Jener der Verwaltungskosten aller Krankenkassen indes bei 4,9 Prozent. Warum müssen denn die Kassen zum Beispiel in den Stadien riesengroße Bandenwerbung machen? Das verstehe ich nicht. Ich plädiere ohnehin dafür, die Zahl der gesetzlichen Krankenkassen auf maximal zehn zu beschränken – auch vor dem Hintergrund der vielen Verwaltungspaläste, die teilweise leer stehen. Es gäbe bei weniger Kassen für die Bürger immer noch genügend Wahlmöglichkeiten. Wenn sie zudem einen guten Workload hinkriegen würden , würden die Kosten deutlich sinken.

Wie stehen Sie der Möglichkeit gegenüber, im Fall des Falles in einer Filiale ohne Apotheker einen Approbierten via Video zuzuschalten?

Reuter: Wir arbeiten in einem Mangelberuf. Und wenn ich jetzt keinen Apotheker habe – wieso sollte ich den zuschalten können, wenn es ihn ohnehin nicht gibt? Zudem lohnt sich dies kaum für einen durchschnittlichen selbständigen Apotheker, der viel schlechter verdient als einer, der im öffentlichen Dienst, in der Krankenhaus-Apotheke, tätig ist. Das Ganze macht keinen Sinn.

Eine Reform vieler Berufsbilder im Gesundheitswesen ist also unabdingbar?

Jan Reuter, hier im Austausch mit einem Mitarbeiter, fordert eine Perspektive für einen ganzen Berufsstand, um dem Fachkräftemangel erfolgreich entgegenzuwirken. © Klaus T. Mende

Reuter: In jedem Fall. Wir müssen die Jobs attraktiver machen. Alle Berufsgruppen im Gesundheitswesen brauchen mehr Wertschätzung. Durch Corona haben wir gesehen, wie toll das Miteinander funktioniert. Das war ein Kraftakt, aber das hat uns zusammengeschweißt. Doch Karl Lauterbach versucht, einen Keil zwischen die einzelnen Berufsgruppen im Gesundheitswesen zu treiben. Das gelingt ihm in Teilen auch immer wieder mal, aber ich sehe trotzdem, dass es fächerübergreifend immer besser harmoniert, was ihm aber scheinbar nicht zusagt. Wir brauchen einen Minister, der zusammenführt und nicht spaltet.

Wäre Lauterbach bereit, mehr zuzuhören, würde das den Weg in eine bessere Zukunft ebnen?

Reuter: Da bin ich mir sicher. Es ist so viel Potenzial da, es gibt so viele tolle Arbeitskräfte. Die meisten Menschen in den Gesundheits- und Pflegeberufen fühlen sich nicht wertgeschätzt und ernstgenommen – mit Ausnahme der Krankenkassen, die zu viel Macht haben. Im Übrigen sind in letzter Zeit, laut Abgeordneten-Ranking, 705 Anfragen von Bürgern direkt an Karl Lauterbach gerichtet worden – beantwortet hat er keine einzige. Wir haben es mit Menschen zu tun. Wenn man jedoch nicht zuhört, redet man aneinander vorbei, die Zeit ist vergeudet.

Immer wieder kommt es zu Medikamenten-Knappheit und Lieferengpässen. Würde es denn helfen, die Arzneimittel-Herstellung wieder nach Deutschland zu verlagern?

Reuter: Dies lohnt sich noch nicht, obwohl dies Lauterbach bereits mehrfach öffentlich kundgetan hat. So etwas dauert. Der Großteil der pharmazeutischen Unternehmer sagt ohnehin, dass es gar keinen Sinn mehr mache, hierzulande zu produzieren, weil die Bürokratie viel zu groß ist. Deswegen haben viele die Produktion ins Ausland verlagert. Wenn es nur noch einen oder zwei Cent für eine normale Schmerzkapsel gibt, wo bleibt da noch eine Marge übrig? Eigentlich kann es sich kein Unternehmen mehr leisten, nach Deutschland zurückzukommen, es sei denn, es gibt massiv Subventionen. Zudem bräuchte es absolute Planungssicherheit und deutlich weniger Kosten, um eine hohe Qualität gewährleisten zu können.

Wäre die Liberalisierung des Filialsystems ein Ansatz, um aus der Sackgasse zu finden?

Reuter: Wenn wir genügend Apotheker hätten, könnte es theoretisch einer sein. Der Arzt ist der Architekt, der Apotheker der Bauleiter. Will man ein Haus ohne Bauleiter bauen? Es ist genügend Struktur da, es ist angeblich auch genug Geld da für Kioske. Jene 420 Millionen Euro, die Karl Lauterbach dafür ausgeben möchte, würden bestehenden Apotheken-Strukturen helfen, zumindest mal wieder ein bisschen Sauerstoff zu bekommen und die Patienten als seriöse Anlaufstelle zu beraten. Unterm Strich würde eine Liberalisierung des Apothekenmarktes nichts bringen, was auch Studien belegen. Dann wären die Patienten deutlich schlechter versorgt.

Wo sind die Hebel anzusetzen, um wieder mehr Fachpersonal zu akquirieren?

Reuter: Hierfür braucht es eine Perspektive. Die Betroffenen machen eine Ausbildung, bei der sie Spaß haben möchten. Dann haben sie ihre Berufung gefunden. Das ist aber unter den derzeitigen finanziellen Voraussetzungen nicht verlockend.

Welche Rolle hat Karl Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn gespielt, um die jetzige Situation herbeizuführen?

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Reuter: Er hat sich in Widersprüche verstrickt und bei den Masken sicherlich nicht alles richtig gemacht. Er hat aber wenigstens zugehört und mit allen gesprochen. Und er war immer an einem Kompromiss interessiert.

Auch bei der Vergütung sind Veränderungen vorgesehen. Das Fixum soll erhöht, die prozentuale Vergütung gesenkt werden. Weiter gibt es mehr Geld für Notdienste, um auf der anderen Seite den Zuschlag für pharmazeutische Dienstleistungen zu reduzieren. Was sagen Sie dazu?

Reuter: Das ist nur eine Umverteilung, zumal wir Apotheken ohnehin bereits 7,5 Milliarden Euro im Jahr für die Krankenkassen einsparen. Wenn Leistung belohnt würde, ginge es den Patienten besser. Aber diese Umverteilung ist de facto eine Kürzung. Die Kosten werden – indirekt verschleiert – nochmals erhöht. Das kann nicht funktionieren – wir haben noch weniger Personal, wir haben noch weniger Arzneimittelsicherheit, wir haben noch mehr Lieferengpässe. Das System implodiert.

Wie müsste jener Gesundheitsminister ticken, bei dem die Situation der Apotheken nicht aus dem Ruder läuft?

Reuter: Ein Gesundheitsminister sollte ein Praktiker und kein Lobbyist sein. Und es bräuchte jemanden mit Herz und Händen, mit Respekt, Einstellung und Spaß an der Sache.

Glauben Sie, dass sich Karl Lauterbach aufgrund des vielen Gegenwinds noch zu Korrekturen bei den Reformplänen bewegen lässt?

Reuter: Der Druck auf ihn nimmt zu. Denn inzwischen sagen auch viele Politiker aus Reihen der Ampel, mit denen ich spreche, dass es so nicht mehr weitergehen kann und es den Patienten nicht mehr zuzumuten ist.

Was wäre, wenn die Reform wie geplant umgesetzt wird?

Reuter: Das Apothekensterben würde sich beschleunigen, jede dritte ist bereits heute unrentabel. Und damit einher ginge ein Praxissterben.

Wo sehen Sie die Apotheken-Branche in zehn oder 15 Jahren?

Reuter: Dann wird es weniger als 10.000 Apotheken geben. Ich wünsche den Patienten, dass es Inhaber geführte Apotheken sind und nicht solche in Fremdbesitz, etwa durch große Ketten. Es wird aber dennoch mehr über Abos und Blister laufen.

Redaktion Mitglied der Main-Tauber-Kreis-Redaktion mit Schwerpunkt Igersheim und Assamstadt

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