Prozess am Landgericht Ellwangen

Niederstetten: „Fühle mich wie in einer Folge ‚Barbara Salesch‘“

Ende einer unendlichen Geschichte? Das Landgericht Ellwangen verurteilte einen Niederstettener erneut. Schlusspunkt eines absolut denkwürdigen Prozesses.

Von 
Simon Retzbach
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Das Landgericht Ellwangen befasst sich bereits zum zweiten Mal mit einem Fall aus Niederstetten. Nach einem sehr umfangreichen Prozess steht das Urteil nun fest © picture alliance/dpa

Niederstetten. „Ich komme mir vor wie in einer Folge ‚Barbara Salesch‘“, zieht Staatsanwältin Larissa Wiest in einer der vielen Verhandlungspausen einen Vergleich zu der beliebten Pseudo-Doku, die bis 2012 in mehr als 2000 Episoden oft besonders kuriose Fälle vor Gericht verhandelt wurden. Seit 2022 gibt es eine Neuauflage der Serie. Der jüngste Fall des Landgerichts Ellwangen hätte durchaus das Potenzial, ebenfalls in der Serie gezeigt zu werden.

Auch die FN haben schon viel berichtet. Zwangsläufig, denn die Vorwürfe (Betrug und Diebstahl) beschäftigten nicht nur mehrfach die Gerichte, es kam auch in jeder Verhandlung eine neue Erkenntnis hinzu. So ist es auch in der ‚dritten Runde‘ am Landgericht Ellwangen. Nimmt man die vorherige Revision am Oberlandesgericht Stuttgart hinzu, ist es sogar die vierte Runde. „Alles gesagt“, könnte man denken. Doch dem ist mitnichten so.

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Bei dem Betrugsvorwurf ist die Sache noch recht eindeutig. Der erste vermeintliche Fall wurde bereits am Amtsgericht Bad Mergentheim mit einem Freispruch zugunsten des Angeklagten beurteilt, der zweite folgt nun am Landgericht. Zu wackelig die Aussage der vermeintlich Geschädigten, die nicht überzeugend erklären konnte, weshalb sie dem Mann (ihrem damaligen Partner) per Kredit eine größere Geldsumme lieh – obwohl er ihr bereits 10.000 Euro schuldete. „Nicht jedes Geld leihen ohne Rückzahlung ist auch ein Betrug“, merkt Richter Heiko Baumeister vorsichtig an.

Es fehlt, was der Jurist „Vermögensirrtum“ nennt. Dieses Konzept ist zentral für den Betrugsvorwurf und bedeutet letztlich, dass sich ein Geschädigter durch Täuschung des Täters in dessen Vermögensverhältnissen geirrt hat. Oder anders betrachtet: Wer jemandem Geld leiht, obwohl er von dessen schlechter Finanzlage weiß, ist kein Betrugsopfer, auch wenn ihm vielleicht eine Rückzahlung mündlich versprochen wurde. Im vorliegenden Fall ist selbst das fraglich: Auf hartnäckiges Nachfragen von Verteidiger Michael Reichelt wird deutlich, dass die Frau selbst nicht wirklich zu wissen schien, ob das Geld nun als Kredit oder als Investition in eine gemeinsame Zukunft zu betrachten war. Auf die Frage nach dem Grund für das wiederholte Geldgeben antwortet sie lediglich, dass der Angeklagte sie wiederholt unter Druck gesetzt und für jede Frage eine Ausrede parat gehabt habe.

Hürden für Verurteilung wegen Betrugs einfach zu hoch

Nachdem das Oberlandesgericht an der Verurteilung aus der Vorinstanz (ebenfalls das Landgericht Ellwangen, allerdings ein anderer Richter) entsprechende Zweifel äußerte, war fast klar, dass eine erneute Verurteilung wegen Betrugs kaum möglich ist. Nach der Aussage der Frau rät Heiko Baumeister dann auch zur Einstellung dieses Verfahrensteils. Dem stimmt Staatsanwältin Wiest zu, wenn auch mit gewissem Widerwillen: „Der Angeklagte weiß genau, was er getan hat. Er ist keinesfalls ein solches Unschuldslamm, wie er hier tut.“

Im Gegensatz dazu sind die Diebstahlsvorwürfe keinesfalls eindeutig. Die zahlreichen Einzeltaten wurden sowohl am Amtsgericht Bad Mergentheim als auch am Landgericht Ellwangen zeitintensiv mit jeweils Betroffenen rekonstruiert. Dass die Taten stattfanden, steht außer Frage. Doch der Angeklagte streitet weiterhin ab, hiermit etwas zu tun zu haben. Ganz im Gegenteil: Er belastet eine seiner Ex-Partnerinnen schwer, sie soll ihm zufolge selbst bei einer Tat als Komplizin dabei gewesen sein. Eine Zeugin bestätigt das und will sogar einen Screenshot vorlegen können, der das beweist. Baumeister lässt extra Polizei zu ihrer Wohnung nach Bad Mergentheim bringen, um das Bild dort zu sichern.

Zeugin verlässt den Saal und bricht zusammen

Als Verteidiger Reichelt die junge Frau damit konfrontiert, kriegt das Verfahren endgültig Züge einer Doku-Soap. Auch sie verstrickt sich in Widersprüche. Unerlaubt verlässt sie schluchzend den Saal, ist selbst von Heiko Baumeister nicht aufzuhalten. „Ich bestehe auf einer Befragung, ich habe noch einen längeren Fragenkatalog“, kündigt Reichelt an. Doch zumindest am dritten Verhandlungstag wird das nichts mehr, die Frau bricht hyperventilierend auf dem Gang zusammen. Da zeigt sich selbst beim erfahrenen Heiko Baumeister, seit über 20 Jahren als Richter tätig, eine gewisse Ratlosigkeit.

Weniger Ratlosigkeit als vielmehr blanke Wut hat Baumeister zuvor für einen Zeugen übrig, der entweder ein extrem schlechtes Gedächtnis hat oder zum Schutz des Angeklagten lügt. „Das ist die falscheste Aussage, die ich seit langem gehört habe. Ich glaube Ihnen kein Wort“, wirft er dem Mann vor. „Das ist ja dermaßen abgesprochen, da stellen sich mir die Haare hoch“, wütet der eigentlich eher ruhige Richter weiter. „Ich habe die Überzeugung, hier belogen worden zu sein“, fasst er etwas ruhiger zusammen. Man gewinnt im Verfahren immer wieder den Eindruck: Zeugen wollen den Angeklagten schützen, die Schuld auf andere (wie etwa die ehemalige Lebensgefährtin) abwälzen.

Letztlich ist das Gericht von diesen Versuchen nicht überzeugt. Nach vier vollgepackten Verhandlungstagen verurteilt es den 32-Jährigen wegen mehrerer Diebstähle und der „Entziehung elektrischer Energie“ zu insgesamt vier Jahren Haft. Hierbei spielen auch vorherige Verurteilungen des massiv vorbestraften Mannes eine Rolle. Mit dem Urteil liegt das Landgericht näher an der Forderung der Anklage, die insgesamt fünf Jahre Haft gefordert hatte. Die Verteidigung wollte – wie bereits in allen Vorinstanzen – einen Freispruch erreichen. Es ist ein höchstens vorläufiges Ende dieses gefühlt unendlichen Vorgangs. Eine Revision ist auch gegen dieses Urteil möglich – und ziemlich wahrscheinlich. Ein besonderes Verfahren, das selbst erfahrene Juristen erstaunt. „Es sind schon außergewöhnliche Dinge in der Hauptverhandlung passiert“, blickt Heiko Baumeister im FN-Gespräch auf den denkwürdigen Prozess zurück. Eine Tatbeteiligung der jungen Frau, wie seitens der Verteidigung vorgeworfen, stellte das Gericht im Übrigen nicht fest.

Redaktion

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