Bad Mergentheim/Niederstetten. Dass alles rund um das Thema Zeit relativ ist, dürfte eine Binsenweisheit sein. Was der Eine unter „schnell“ versteht, fühlt sich für den Anderen wie eine Ewigkeit an. Eine derart große Lücke in der Zeitwahrnehmung klafft oft auch dann auf, wenn es um Gerichtsverfahren geht. Wiederholt stellt man bei Gericht fest, dass vorgeworfene Taten bereits mehrere Jahre zurückliegen. Man wundert sich: Warum dauert das so lange?
Antworten auf diese Frage gibt es viele. Denn oft dauern die Ermittlungen lange an, auch die Zulassung einer Anklage am Gericht kann nochmal etliche Monate in Anspruch nehmen. Ein Beispiel hier der Prozess gegen mutmaßliche Reichsbürger aus Bobstadt: Zwischen Anklageerhebung und erster Prozesseröffnung verging mehr als ein Jahr. Doch auch wenn der Prozess eröffnet ist, kann der Weg zu einem Ergebnis noch lange sein. Sehr lange.
Exemplarisch hierfür ist ein Fall, den die Fränkischen Nachrichten schon länger begleiten. Begonnen hatte alles mit einer größeren Razzia in Niederstetten, bei der mehr als 100 Gegenstände als mutmaßliches Diebesgut sichergestellt wurden. Juristisch begann die ‚Reise‘ am Amtsgericht Bad Mergentheim, ehe sie sich im Laufe der Zeit über Ellwangen bis in die Landeshauptstadt Stuttgart fortsetzte – um am Ende wieder in Ellwangen zu landen. Also vorerst zumindest.
Aber von vorn: Der Niederstettener musste sich vor dem Amtsgericht Bad Mergentheim wegen unterschiedlicher Sachverhalte verantworten. Zum einen wegen einer größeren Einbruchsserie im Oberen Bezirk und dem angrenzenden Landkreis Schwäbisch Hall, zum anderen wegen Betrugs zum Nachteil seiner zwei Lebensgefährtinnen (der erste bereits im Sommer 2021, also vor rund vier Jahren). Während beide Sachverhalte zu Beginn noch separat verhandelt wurden, sind sie mittlerweile zusammengezogen. Beide Tatbestände sind also nun gewissermaßen in einem Verfahren verbunden und werden zusammen verhandelt.
Im Juli wird erneut gegen den Mann wegen des Betrugs und der Einbruchsserie am Landgericht Ellwangen verhandelt. Erstinstanzlich hatte Richterin Susanne Friedl den Mann im Juli 2024 in Bad Mergentheim wegen des Betrugs und den Einbrüchen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Bereits im Januar 2024 wurde wegen des Betrugs verhandelt. Gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Mergentheim legte der Mann Berufung ein, sodass der Betrugsfall in Ellwangen landete. Das dortige Landgericht bestätigte die Auffassung aus Bad Mergentheim, wonach der Mann wegen des Betrugs an seinen Ex-Partnerinnen schuldig sei und für mehr als ein Jahr in Haft müsse. In der Revision, also der rechtlichen Prüfung des Urteils, am Oberlandesgericht Stuttgart dann eine Kehrtwende: Der Erste Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hob das Urteil auf.
„Nach der Revisionsentscheidung des Senats genügt die landgerichtliche Beweiswürdigung nicht den bei einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation anzulegenden strengen Anforderungen“, erklärt das Oberlandesgericht dazu auf FN-Anfrage. Der Tenor aus Stuttgart: Das Landgericht habe nicht ausreichend hinterfragt, weshalb die Zeuginnen den Angaben des Angeklagten zu seiner Vermögenssituation so unkritisch Glauben schenkten. Sie hätten ihm Kredite im Glauben an Rückzahlung gewährt, obwohl es Hinweise auf finanzielle Schwierigkeiten des Mannes gab. Wenngleich es nur eine rechtliche Prüfung war, wirken die Äußerungen der Richter aus Stuttgart auch wie inhaltliche Zweifel an den bisherigen Urteilen.
Letztlich ein gutes Zeichen für den Angeklagten. Schon in Bad Mergentheim hatte dessen Verteidiger Michael Reichelt allerhand Zweifel am Betrugsvorwurf gesät. Denn Betrug sei es ja nur, wenn „der Täter einen Anderen über eine Tatsache täuscht“. Genau das sah er nicht erfüllt und forderte einen Freispruch für seinen Mandanten – was er zumindest in einem der Fälle durch hartnäckiges Nachfragen bei der vermeintlich Geschädigten auch erreichte. Nun scheint es so, als würde das Oberlandesgericht seiner Auffassung folgen.
Vierte Runde mit sechstem Richter im Juli
Der Fall zeigt an dieser Stelle eine wichtige Erkenntnis: Eine gute Verteidigung macht einen erheblichen Unterschied. Michael Reichelt war von Anfang an sehr engagiert bei der Sache, erreichte durch präzises und wiederholtes Nachbohren zumindest teilweise einen Freispruch, säte ansonsten Zweifel, die nun sogar vor dem Oberlandesgericht Zustimmung fanden. Es kommt also im Strafrecht nicht unbedingt darauf an, ob eine Handlung so ausgeführt wurde wie vorgeworfen. Bei der Frage nach (Il-)Legalität geht es primär um die rechtliche Würdigung besagter Handlungen. Denn die Frauen hatten tatsächlich Kredite für den Mann aufgenommen und dieser hatte sie auch nicht zurückgezahlt. Ob das aber als Betrug strafbar ist, ist eben nicht so eindeutig, wie es für den Laien wirken mag. Genau diesen Umstand hatte Reichelt überzeugend herausgearbeitet.
Insgesamt beschäftigten die Taten des Niederstetteners bereits fünf Berufsrichter, jeweils einen am Amts- und Landgericht sowie drei am Oberlandesgericht. Auch einen sechsten Richter wird es noch beschäftigen. Nachdem das Urteil aus der 4. Kleinen Strafkammer in Ellwangen aufgehoben wurde, landet das Verfahren nun in der sogenannten Auffangstrafkammer, die von einem anderen Richter geleitet wird. „Hauptverhandlungstermine sind bestimmt auf 15., 17. und 23. Juli“, erklärt Heiko Baumeister seitens des Landgerichts Ellwangen das weitere Vorgehen. Die vierte Runde also, Ausgang offen. Die Hinweise aus Stuttgart werden zwar sicherlich einen Einfluss auf das Urteil haben, eine Revision wäre aber trotzdem wieder möglich. Und damit auch eine fünfte Runde – dann wieder in Stuttgart. Vier Jahre sind seit dem ersten Tatzeitpunkt vergangen. Zur Einordnung: Die Verjährungsfrist für einen Betrug beträgt lediglich fünf Jahre.
Auch bei den Einbrüchen bleibt es kompliziert. Verteidiger Michael Reichelt hatte auch hier in Bad Mergentheim einen Freispruch gefordert und Rechtsmittel gegen die Verurteilung eingelegt. Mit der bewährten Taktik: Zweifel säen.
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