Niederstetten. Anfangs wirkt die Tat sogar eher kurios als bedrohlich. Ende Oktober 2024 betritt der 49-jährige Angeklagte das Grundstück seines Nachbarn und beginnt, „im hohen Bogen“ (so beschreibt es eine Zeugin) Gegenstände aus dessen Gartenschuppen zu werfen. Ein Sonnenschirm, ein Hasenstall, ein Vogelhaus und Gartengeräte flogen da plötzlich durch die Luft auf den Rasen. Eine Nachbarin alarmiert den Besitzer, der den Mann daraufhin konfrontiert. Es fallen Drohungen, die so schlimm sind, dass es der Geschädigte mit der Angst zu tun bekommt. Er alarmiert die Polizei.
Dieser Fall wurde kürzlich am Amtsgericht Bad Mergentheim. Es geht um Sachbeschädigung (durch den Wurf der Gegenstände), insbesondere aber um Hausfriedensbruch und Bedrohung. Denn laut Anklage muss der 49-Jährige im Streit mit seinem Nachbarn massive verbale Drohungen ausgestoßen haben. „Ich kann euch mit einem Gewehr alle erschießen“, soll er dem Geschädigten und weiteren Nachbarn gedroht haben.
Vor Gericht wird schnell klar: Hier findet kein ganz normaler Prozess statt. Der Angeklagte erscheint ohne Anwalt, dafür aber mit einem „Querdenken“-Shirt. Das wird später noch eine Rolle spielen. Die „Querdenken“-Bewegung fiel vor allem zu Zeiten der Coronamaßnahmen mit allerlei Verschwörungstheorien bis hin zu rechtsextremem Gedankengut auf, der Verfassungsschutz hat Teile der Bewegung im Blick. Der Niederstettener will mit der Bewegung nichts zu tun haben, gibt an, sich davon distanziert zu haben. Die Wahl des Shirts für den Tag seiner Gerichtsverhandlung soll ein Zufall und der finanziellen Situation geschuldet sein: „Ich habe nicht viele Shirts, weil ich kein Geld habe.“
Angeklagter wirkt wie entrückt, gestikuliert im Stehen
Richterin Susanne Friedl will wissen, wie der Mann jene Situation erlebt hat, die ihn nun vor Gericht brachte. Doch das ist gar nicht so einfach, der Angeklagte schweift immer wieder recht weiter vom eigentlichen Geschehen ab. Deutlich wird, dass er sich als Opfer der Nachbarschaft sieht, die ihn alle mehr oder weniger grundlos ablehnen und teilweise sogar körperlich attackieren würden. Nicht er habe gedroht, sondern sei selbst bedroht wurden, erklärt er. „Ich traue mich schon gar nicht mehr raus“, führt er als Folge mehrerer Konflikte mit der Nachbarschaft aus.
Eine Behauptung, die insofern fragwürdig ist, als dass es dann nicht zu der Tat im Nachbarsgarten gekommen wäre. Die außerdem von den Nachbarn vor Gericht später anders geschildert wird, als es der Mann wahrgenommen haben will. Das könnte auch daran liegen, dass er zum Tatzeitpunkt rund zwei Promille Alkohol im Blut gehabt hatte. Ein Alkoholproblem, wie von der Richterin vorgebracht, bestreitet er. „Ich trinke nur selten“, erwidert er. Der zusätzliche Cannabis-Konsum sei medizinisch bedingt. Entgegen seiner Beteuerungen wirkt der Mann auch vor Gericht regelrecht entrückt, springt in seinen ausführlichen Schilderungen hin und her, gestikuliert dabei teils wild im Stehen vor sich hin.
Normale Aussprache mit zwei Promille Alkohol im Blut?
Wer dem Angeklagten zuhört, könnte den Eindruck eines stets unschuldigen Opfers von Anfeindungen und Attacken durch die Nachbarschaft gewinnen. Doch Friedl lässt diese Darstellung nicht unkommentiert. Als er Mann sein „astreines Führungszeugnis“ erwähnt, hält sie ihm trocken entgegen: „Das stimmt nicht, hier stehen drei Einträge im Register, darunter eine gefährliche Körperverletzung.“ Doch der Angeklagte geht darauf gar nicht mehr ein.
Eine „Aussprache“ mit dem Nachbarn habe er an jenem Tag gesucht, böse gemeinte Drohungen will er nicht geäußert haben. „Eine Aussprache mit zwei Promille? Das ist nicht sinnvoll“, erwidert Friedl. Die Drohungen sind zudem in der Akte durch mehrere Zeugenaussagen belegt. Demnach soll die Drohung mit der Waffe ebenso dokumentiert sein wie eine besonders kuriose Ankündigung: „Ich kenne Donald Trump und Elon Musk, habe Kontakte zu Reichsbürgern. Ich kann mich verteidigen.“ Angesichts der bereits erwähnten Kleidungswahl hält Friedl zumindest den Kontakt zu Reichsbürgern für glaubhaft.
Der Grund für den Konflikt soll der Wunsch des Angeklagten sein, ein von ihm angenommenes Überfahrtsrecht über das Grundstück des Nachbarn nutzen zu können, um so das eigene Haus besser mit dem Fahrrad zu erreichen. Der Nachbar verweigerte ihm dies allerdings, da ein solches Überfahrtsrecht nicht existiere.
Nachbar vor Gericht: Angeklagter in „anderen Sphären“
Jener Nachbar sagt vor Gericht aus. Der Mittsiebziger gibt an, „immer mal wieder kleinere Anstöße“ mit dem Angeklagten gehabt zu haben. „Er ist in einer anderen Sphäre als normale Menschen“, fasst er seine Eindrücke zusammen. Vieles habe er ignoriert, erst bei der Androhung von Waffengewalt informierte er die Polizei. Die Familie des Angeklagten habe einen Bezug zu Schusswaffen, weshalb er diese Drohung als tatsächliche Gefahr einstufte.
„Es war für mich sehr beängstigend“, schildert eine weitere Anwohnerin den Vorfall. Sie beschreibt ein „bleibendes Angstgefühl“, hat beobachtet, wie der Angeklagte auch ihr Haus fotografiert habe. Er rede andauernd wirres Zeug, auch davon, dass man „in dieser Straße mal aufräumen“ muss. Ein weiterer Nachbar wundert sich über das Verhalten der Polizei. „Wir hatten den Eindruck, sie spielen es runter. Das wirkte lustlos, ich fand das unpassend“, beschreibt er. Denn auch er fühlte sich von der Äußerung „Ich habe genug Waffen zuhause, ich knalle euch alle ab“ eindeutig bedroht.
Ob er Schusswaffen zuhause habe, will die Richterin von dem Mann wissen. Er verneint das. Um dann doch noch anzufügen: „Nur einen Elektroschocker, einen Säbel und einen Bogen. Das ist in der BRD ja erlaubt.“
Von einem „erheblichen Bedrohungspotenzial“ spricht abschließend die Anklage, zumal der Mann einschlägig mit Gewaltdelikten vorbestraft sei. Fünf Monate Freiheitsstrafe fordert der Staatsanwalt. Der Mann verstehe das Unrecht seiner Tat aber wohl auch ohne Vollstreckung, weshalb eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung erfolgen könne.
„Die Nachbarn hatten zurecht Angst vor Ihnen. Keiner kann Ihnen in den Kopf schauen, da hat man einfach Angst“, so Susanne Friedl in ihrem Urteil. Sie folgt im Strafmaß der Anklage und verhängt fünf Monate, ausgesetzt zur Bewährung. Eine Auflage allerdings: Der Verurteilte darf keines der umliegenden Nachbargrundstücke mehr betreten. Andernfalls drohen drastische Konsequenzen: „Wenn Sie eines der Grundstücke nochmal betreten, widerrufe ich die Bewährung. Dann sitzen Sie die fünf Monate ab.“ Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
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