Hardheim. Sie ist wohl die innerörtliche Hauptstraße Hardheims schlechthin; die Bürgermeister-Henn-Straße ist die wichtigste Ost-West-Achse, die zu den markantesten Punkten der Erftalgemeinde führt. Und sie ist die Straße, mit der die Struktur der städtebauliche Entwicklung Hardheims in den 1950er Jahren begann und über die danach die meisten Straßen im Nord-Osten Hardheims erschlossen wurden. Mit einem geschichtlichen Rückblick soll an diese bedeutende Entwicklung vor Jahrzehnten erinnert werden. Vom 10. bis zum 20. August 1954 bezogen zwölf „Siedler“-Familien ihre neu erstellten Wohnhäuser des Bauabschnitts IV der Badischen Landsiedlung in der Bürgermeister Henn-Straße.
Ein wichtiges Thema der damaligen Zeit war die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichender Nahrung. Die Alliierten wollten mit einer Bodenreform dem deutschen Großgrundbesitz und dem sogenannten „Junkertum“ ein Ende machen. Während dies in der sowjetischen Besatzungszone wegen der östlichen Großgüter und der politischen „Großwetterlage“ leichter vonstatten ging, taten sich die Westalliierten sehr schwer, denn in ihren Zonen gab es diesen Großgrundbesitz nicht und wenn, dann waren es Wälder.
Darum versuchten die deutschen Behörden die alliierten Befehle mit ständigen Kompromissen zu umgehen und statt einer Enteignung verfolgten sie eine Politik der freiwilligen Umlegung, um zu Baugrund und Pachtflächen zu kommen.
Wegen des Kriteriums „Siedler“ sollten die künftigen Bewohner von „Hardheim-Nord“ neben ihren Wohngebäuden auch kleine „Wirtschaftsgebäude“ erhalten, um neben dem Hausgrundstück auch hinzu gepachtete oder eigene Grundstücke der „Altbürger“ zu bewirtschaften, um eine kleine Viehhaltung zu betreiben. Gerade auf diesen Aspekt legte die Siedlungsbehörde großen Wert und forderte die Gemeinde zu detaillierten Angaben auf.
Die konnte dem Landratsamt in Buchen berichten, dass die 19 Alt- und 37 Neusiedler in den inzwischen bezogenen Bauabschnitten I bis IV Ende August 1954 insgesamt 80 Schweine, 366 Hühner, 40 Gänse, 13 Enten und 28 Ziegen halten und neben den Hausgrundstücken noch zusätzliche 1713 Ar an landwirtschaftlichen Flächen bearbeiten würden.
Die Pacht von Ackerland war allerdings nicht so einfach, denn die ansässigen Grundstückseigentümer wollten ihre Parzellen gleichfalls für ihren Eigenbedarf nutzen. Die Gemeinde stellte nun Äcker im Bereich der Gewanne „Strich“ und „Hafengrube“ zur Verfügung. Die Zuweisung dieser Äcker erfolgte im Rahmen einer Verlosung. Die Felder erwiesen sich schon bei der ersten Bewirtschaftung aber als sehr unfruchtbar, steinig und völlig ungeeignet für eine landwirtschaftliche Bestellung.
Der berechtigte Zorn der Siedler veranlasste die Gemeinde, die katholische Kirchengemeinde, die im Tal Richtung Schweinberg größeren Grundbesitz hatte, Gartenland zu parzellieren und zu verpachten. Interessant ist, dass diese von der Gemeinde verpachteten Gartengrundstücke heute fast vollständig von Spätaussiedlern aus Russland, Kasachstan und Polen bewirtschaftet werden.
Bei der Auswahl der Siedler hatte die Gemeinde seinerzeit auf Weisung der vorgesetzten Behörden strenge Maßstäbe anzulegen. So konnte eine Witwe, die in der Heimat ihren landwirtschaftlichen Besitz verloren, aber nach dem Krieg einen Nichtlandwirt geheiratet hatte, nicht von der Siedlungsbehörde zugelassen werden.
Tragisch war das Los eines Spätheimkehrers, der aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrend, seine Ehefrau aber in den Armen eines anderen Mannes fand. Er kam erst dann wieder als Siedleranwärter in Betracht, nachdem er selbst wieder eine Vertriebene als neue Partnerin geheiratet hatte; allerdings fand er mit ihr in einer anderen Gemeinde in einem Nachbarkreis ein neues Zuhause.
Auch als Mieter in den neu gebauten Häusern sollten in erster Linie Flüchtlinge, Vertriebene, Evakuierte oder politisch Verfolgte in Betracht kommen. Bevorzugt wurden auch Berufspendler, die aus Ortschaften ohne Bahnanschluss keine brauchbaren Verkehrsverbindungen hatten. Die Mietwohnungen in der Bürgermeister-Henn-Straße füllten sich so bis zum Jahresende 1954 vor allem mit „Ostzonenflüchtlingen“, die erst kurz zuvor über die „grüne Grenze“ die Besatzungszonen wechselten oder aus „Transitlagern“ der Gemeinde zugewiesen wurden.
Und noch zwei weitere Besonderheiten beschäftigten die „Amtsschimmel“. Nach den Richtlinien des Landwirtschaftsministeriums von Württemberg-Baden musste die Besiedlung in einem Neubaugebiet in einem Verhältnis von sieben Neubürgern zu drei 3 Altbürgern bestehen. Das gelang in Hardheim reibungslos und stellte eine gute Mischung dar, die recht schnell zu einem gutnachbarschaftlichen Zusammenleben führte.
Strenge Regelung
Und keiner der Siedler durfte ein selbstständiges Gewerbe ausüben. Diese Regelung war streng auszulegen, weil der komplette Nutzraum nur zu Wohnzwecken zur Verfügung stehen sollte. Erst bei der Bebauung der Bürgermeister-Henn-Straße wurden diese Beschränkungen deutlich gelockert. So siedelten in dieser Straße zwei selbstständige Schneider (eine Damenschneiderin und ein Herrenschneider) als Hausbesitzer sowie ein Herrenschneider als Mieter, die aber nur jeweils einen Raum ihrer Wohnung nutzten, sowie Polsterer und Raumausstatter Gregor Schelmbauer mit seinem Ladengeschäft.
Wie weitsichtig die Gemeinde Hardheim damals schon plante, kann man darin ersehen, dass gleichzeitig mit Fertigstellung der Wohnhäuser in der Bürgermeister-Henn-Straße auch Hugo Dietz mit einer Bäckerei und einem Lebensmittelgeschäft und in 1955 das Lebensmittelgeschäft Maria Schoisser sowie das Schreibwarengeschäft Alois Seufert ansiedelten und das immer größer werdende Wohngebiet ortsnah versorgten. Dieses löbliche Unterfangen fand allerdings nicht die Zustimmung des bestehenden örtlichen Gewerbes, das wohl um eigene Einnahmequellen fürchtete. Aber ein zweiter Aspekt sorgte in der „etablierten“ Bevölkerung für Neid und Missgunst: Alle Neubauten waren mit einem Wasserklosett (nicht aber mit einem Badezimmer) und einer Klärgrube ausgestattet, während der größte Teil der Altortsbewohner noch das „Plumpsklo“ neben der Dunglege (Misthaufen)hatte.
Dass sich gleichzeitig in 1954 auch die Kleiderfabrik Alfons und Leo Ballweg in der Straße „Badische Landsiedlung“ mit rund 100 Beschäftigten ansiedelte und vor allem Mädchen und Frauen der Siedungsgebiete zu Arbeit und Lohn verhalf, war ein weiterer Glücksfall.
Zur gleichen Zeit wurde auch die Post in der Henn-Straße fertiggestellt. Sie befand sich zuvor in von Franz Gärtner angemieteten Räumen in der Walldürner Straße. Nachdem die Pläne, das neue Postamt nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bretzinger Straße zu errichten, nach jahrelangen und zähen Verhandlungen scheiterten, wurden zugleich mit dem neuen Postamt auch die Bahnbuslinie und die Kraftpostlinie mit Haltestelle in der neuen Bürgermeister-Henn-Straße etabliert.
Häuser haben sich verändert
Von den ursprünglich zwölf Siedlungshäusern (Doppelhaushälften) in der Bürgermeister-Henn-Straße, sind heute nur vier im Besitz der ursprünglichen Siedlerfamilien oder deren Nachfahren. Und auch die Anzahl der Bewohner hat sich dramatisch verringert. Lebten in 1954 noch 96 Menschen in den 24 Wohnungen mit je 45 Quadratmetern Wohnfläche, so sind es heute gerade noch 20 Prozent. Durch Um- und Anbauten veränderte ein großer Teil der Häuser das ursprüngliche Aussehen einer „Siedlung“. Benannt wurde die Straße nach dem ersten frei gewählten Bürgermeister nach dem Weltkrieg, Anton Henn, der in 1952 einem tödlichen Verkehrsunfall zum Opfer fiel, zuvor jedoch schon weitsichtig die Weichen für einen zukunftsfähigen Aufbau Hardheims stellte.
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