Bürgermeister-Henn-Straße (Teil 1)

Vor 70 Jahren zogen die ersten Familien ein

Historischer Rückblick auf die innerörtliche Hauptstraße Hardheims

Von 
Hans Sieber
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Hardheim. Sie ist wohl die innerörtliche Hauptstraße Hardheims schlechthin; die Bürgermeister-Henn-Straße ist die wichtigste Ost-West-Achse, die zu den markantesten Punkten der Erftalgemeinde führt. Und sie ist die Straße, mit der die Struktur der städtebauliche Entwicklung Hardheims in den 1950er Jahren begann und über die danach die meisten Straßen im Nord-Osten Hardheims erschlossen wurden. Mit einem geschichtlichen Rückblick soll an diese bedeutende Entwicklung vor Jahrzehnten erinnert werden.

Leben im Norden

Exakt vor 70 Jahren, in der Zeit vom 10. bis zum 20. August 1954, bezogen zwölf „Siedler“-Familien ihre neu erstellten Wohnhäuser des Bauabschnitts IV der Badischen Landsiedlung in der Bürgermeister Henn-Straße. Damit kam Leben in die neue Transversale in Hardheims Norden. Nachdem nur die Schlossstraße und die obere Wertheimer Straße beidseitig bebaut waren, stellte die Bürgermeister-Henn-Straße nun eine wichtige Anbindung der Neubaugebiete im Norden von Hardheim her. Denn die vorhergehenden Bauabschnitte I bis III in der Kolpingstraße und im Adalbert-Stifter-Weg (linke Bebauung) waren wie eine Insel oberhalb des Ortskerns der Erftalmetropole und bisher nur über die Kolpingstraße vom ehemaligen Gasthaus „Prinz Karl“ aus erreichbar. Bei schönem Wetter marschierten die Neusiedler einfach quer über das Feld, auf dem heute das Schulgelände ist.

Informationen und Fakten

Die erste Siedlung nach dem Krieg entstand durch die BaugenossenschaftNeue Heimat“ in der gleichnamigen Straße. Die vier Doppelhaushälften und ein Gebäude mit drei Wohneinheiten wurden bereits in 1949 bezogen. Darin befanden sich auch eine Metzgerei, ein Gipser- und Malergeschäft, ein Schuhmacher, ein Lebensmittelgeschäft sowie ein Spirituosen- und Tabakwarenhandel.

Die nachfolgenden Bauwilligen in Hardheim sollten sich im Oktober 1950 aufgrund einer Verfügung des Landrats entscheiden zwischen einem Bautyp „Eckenbergsiedlung Buchen“ und „Bautyp Architekt Holzfuß, Hardheim“. Die Pläne waren in der Erftalhalle ausgestellt und eine Abstimmung durch Unterschrift erbrachte nach eingehender Erläuterung beider Haustypen eine hundertprozentige Zustimmung für den Haustyp „Holzfuß“.

Parallel zu den beschriebenen Baugebieten entstand in den Jahren 1952/53 die „Eirichsiedlung“, ein Wohngebiet mit sechs Doppelhäusern, die die Maschinenfabrik Eirich erstellte und den Mitarbeitenden zum Kauf anbot. Diese weitsichtige Initiative des größten Arbeitgebers Hardheim ist wert, eigens beleuchtet zu werden.

Bis Ende August 1954 waren neben dem IV. Bauabschnitt in der Bürgermeister-Henn-Straße bereits die ersten drei Bauabschnitte durch die Badischen Landsiedlung erstellt und bezogen. Bauabschnitt I (heutige Kolpingstraße rechts von Am Brennhäusle bis Schubertstraße), Bauabschnitt II (Adalbert-Stifter-Weg links bis zur Schubertstrasse) und Bauabschnitt III (Kolpingstraße rechts von der Bürgermeister-Henn-Strasse bis zur Schubertstrasse). Danach folgten in 1955 Bauabschnitt V (Badische Landsiedlung) und in 1956 Bauabschnitt VI (Hebelstrasse), ehe in rascher Folge die oberen Teile der Kolpingstraße und des Adalbert-Stifter-Wegs sowie der Roten Au folgten.

Die Siedler schlossen zunächst mit der Badischen Landsiedlung einen Trägervertrag ab und konnten das Objekt frühestens drei Jahre nach Bezug erwerben. In der Zwischenzeit sollten sie sich „bewähren“ und galten de facto als „Mieter“.

Eine Doppelhaushälfte kostete rund 20 000 bis 22 000 DM (bei seinerzeitigen Stundenlöhnen von 1,10 bis 1,25 DM für einen Facharbeiter). Viertausend DM sollten die Siedler als Eigenleistung erbringen, wobei auch ein Aufbau-Darlehen des Bundes angerechnet werden konnte. Der Rest wurde mit Hypotheken abgesichert, die von der Badischen Landeskreditanstalt in Karlsruhe zur Verfügung gestellt wurden. Bei Nichterfüllung der vertraglichen Bedingungen war eine „gnadenlose“ Rücküberäußerung (Wiederkaufsrecht nach § 20 Reichssiedlungsgesetz) angesagt.

Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in Hardheim Siedlungsprogramme. In den 1920er-Jahren entstanden die Häuser in der Wertheimer Straße (nach dem Krankenhaus rechts) und in 1937 di rechte Seite der Schlossstraße ebenfalls im Rahmen eines Wohnbauförderprogramms. hs

Heutzutage ist die Bürgermeister-Henn-Straße stark frequentiert und mit Schule, Sporthalle, Sparkasse, Apotheke, Pflegeheim, Kindergarten, Post und Geschäften auch ein Mittelpunkt oberhalb des Ortskerns an der Bundesstraße 27. Über sie werden Kirche, Rathaus und Erftalhalle primär angefahren.

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Bereits 1948 waren die Gewanne „Bangert“, „Am Brennhäusle“ und „Hofacker“ schon in die städtebaulichen Planungen der Gemeinde einbezogen, die von Architekt Heinrich Holzfuß gestaltet wurden. Denn nach 1946 hatte sich die Einwohnerzahl von Hardheim von bisher etwas mehr als 2500 Einwohnern durch den Zuzug von 1016 Vertriebenen und Flüchtlingen als „Neubürger“ dramatisch erhöht. Sogar Ausländer wohnten hier, die bis zum Kriegsende als Elsässer, als Lothringer oder Österreicher Inländer waren.

Nachdem der Zuzug nicht zu stoppen war und Um- und Übersiedlungen gar zwischen den westlichen Besatzungszonen anstanden (vor allem Bayern hatte mit einer sehr hohen Zuweisung von Vertriebenen zu kämpfen, die der Freistaat allein nicht schultern konnte), trafen Bürgermeister, Gemeinderat und Gemeindeverwaltung rechtzeitige Vorbereitungen, die eklatante Wohnungsnot und damit soziale Spannungen zu beseitigen.

Sogar an eine Wohnbebauung südlich der Würzburger Straße – also im Bereich der heute noch bestehenden Gärten zwischen Steingasse und Gartenstraße – war in 1948 gedacht worden, die aber immer wieder modifiziert wurde und schließlich wegen der vielen Kleinparzellen wegfiel. Diese Gärten waren ein wesentlicher Faktor für die zusätzliche Fruchtgewinnung während der Lebensmittelknappheit nach dem Kriege. Da wollte keiner sein „Gärtchen“ abgeben.

Die wichtigste Planänderung war, dass das Areal des heutigen Schulzentrums nicht mit Wohnhäusern bebaut werden sollte, sondern einem innerörtlichen Festplatz und erst später einer Schulhauserweiterung vorbehalten blieb. Und eine weitere interessante Planung stammt aus 1948/49: Es gab zeichnerische Überlegungen, die Landstraße L 508 (Wertheimer Straße) aus dem Innerortsbereich herauszunehmen und südlich des Innerortskerns als Umgehungsstraße über die heutige „Alte Würzburger Straße“ und unterhalb der heutigen Kaserne an Rüdental vorbei in Richtung Steinfurt zu führen.

Bebauungsplan genehmigt

Schließlich wurde der Bebauungsplan am 15. Oktober 1949 vom Landratsamt Buchen genehmigt, aber am 8. Mai 1951 auf Antrag der Gemeinde wieder abgeändert. Jetzt wurde der Bereich der heutigen Bürgermeister-Henn-Straße nicht mehr als ein reines Wohngebiet, sondern stattdessen als ein gemischtes Wohngebiet ausgewiesen und auch so realisiert.

Die Besiedlung von Hardheims Norden vollzog sich nicht einfach. Nachdem der Gemeinderat am 13. Dezember 1949 ein Vorkaufsrecht für alle Grundstücke im Baugebiet zugunsten der Gemeinde beschlossen hatte, musste sich die Gemeindeverwaltung erst einmal mit 53 Einsprüchen gegen Bebauungsplan und Vorkaufsrecht auseinandersetzen.

Nachdem aber der Landkreis in seinem Amtsblatt Ende 1949 einen weiteren Zuzug von Flüchtlingen ankündigte, war höchste Eile geboten, ausreichenden Wohnraum zu schaffen, weil die bestehenden Verhältnisse nicht mehr tragbar und menschlich unzumutbar waren. Es waren zwar Ende September 1949 schon die ersten Kleinsiedlungen in der Straße „Neue Heimat“ bezogen worden, aber die Wohnraumnot bestand weiterhin.

Mit der „Badischen Landsiedlung“ in Karlsruhe wurde eine großflächige Bebauung realisiert. 1951 wurden die Siedlungshäuser auf der rechten Seite der Kolpingstraße (bergwärts) fertig, 1952 folgten die linken Häuser im Adalbert-Stifter-Weg bis zur Franz-Schubert-Straße und in 1953 die linke Häuserzeile in der Kolpingstraße. Waren alle diese Häuser mit „Kniestock“ und den typischen Gauben erstellt, wurden die Häuser in der Bürgermeister-Henn-Straße erstmals mit doppelstöckigen Vollgeschossen errichtet.

Die einheimischen Bauwilligen hatten den Bauplatz „einzubringen“, was dadurch geschah, dass sie eigenen Grundbesitz auf der Gemarkung als Grundstock für die Finanzierung einbringen sollten. Den Heimatvertriebenen jedoch fehlte wegen der zwangsweisen Enteignung in ihrer Heimat sowohl Grundbesitz als auch Geld. So mussten sie de facto eine hundertprozentige Fremdfinanzierung stemmen. Aus Mitteln des Europäischen Wiederaufbauprogramms (ERP – European Recovery Program), das die US-amerikanische Regierung auflegte, konnten die Siedler diese zinsgünstigen, langfristigen Darlehen als „Eigenkapital“ ansetzen; selbstverständlich mussten diese Darlehen auf Heller und Pfennig zurückgezahlt werden.

Die Baugebiete trugen die Bezeichnung „Kleinsiedlung“ oder „Nebenerwerbssiedlung“, die auch von den vorgesetzten Behörden wie Landratsamt beziehungsweise Landesamt für Flurbereinigung und Siedlung in Ludwigsburg als obere Siedlungsbehörde eng ausgelegt wurde. Denn mit dem Gesetz zur Milderung dringender sozialer Notstände (Soforthilfegesetz SHG) vom 8. August 1949 war beabsichtigt, aus ihrer Heimat vertriebene Landwirte in die hiesige Landwirtschaft einzugliedern.

Sie sollten entweder als Siedler im Sinne der Siedlungs- und Bodenreformgesetzgebung oder als Pächter landwirtschaft-licher Grundstücke oder auslaufender Höfe für eine ausreichende Lebensmittelerzeugung des übervölkerten Nachkriegsdeutschlands sorgen.

Denn die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichender Nahrung war bis Ende der 1950er-Jahre noch nicht ausreichend gesichert. (Wird fortgesetzt).

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