Hardheim. Es war in der jetzigen Situation gar nicht so leicht, ein Interview mit einem Berufssoldaten zu bekommen. Aufgrund der aktuellen Sicherheitslage wird seitens der Bundeswehr genau darauf geachtet, wer was wo und wie kommuniziert. Das Warten hat sich aber gelohnt. Mit Pascal Pane, dem Chef der Hardheimer Carl-Schurz-Kaserne, erhielten wir einen Gesprächspartner, der sehr fundiert Auskunft gab.
Herr Pane, beschleicht Sie und Ihre Soldaten in Hardheim aktuell die Angst, in einen Krieg ziehen zu müssen?
Oberstleutnant Pascal Pane: Sowohl die Bundesregierung als auch die Regierungen der Nato-Staaten sind doch sehr darauf bedacht, dass wir nicht in einen Krieg hineinschlittern. Insofern hält sich meine Sorge in Grenzen, auch wenn das eine sehr ernste Lage ist. Abseits dessen, muss aber jeder/jede, der/die sich entscheidet, den Soldatenberuf zu ergreifen, mit der Frage „in den Krieg zu ziehen“ vorher auseinandersetzen. Dieses sage ich auch den Soldaten und Soldatinnen, die ich in meinem Bataillon zum Zeitsoldaten und zur Zeitsoldatin ernenne. Der Kern des Berufs ist die Ausübung der extremsten Form von Gewalt, wenn auch staatlich legitimiert – darüber muss ich mir vorher klar sein. In meinen Gesprächen, die ich derzeit mit meinen Soldaten und Soldatinnen führe, wird deutlich, dass sich die überwiegende Zahl sehr intensiv damit auseinandergesetzt hat. Niemand will in den Krieg ziehen, aber durch unsere Ausbildung sind wir auch auf einen solchen Fall vorbereitet. Lassen Sie mich noch einen anderen Gedanken dazu loswerden: Mich erstaunt es doch sehr, dass der Wille der Soldaten und Soldatinnen, den geleisteten Eid ernst zu nehmen, teilweise mit Befremdung zur Kenntnis genommen wird. Für uns ist es kein bloßes Lippenbekenntnis, der Bundesrepublik treu zu dienen sowie das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Wir bürgen mit unserem Leben dafür.
Der frühere Nato-General Egon Ramms antwortete in unserer Zeitung kürzlich auf die Frage, ob sich Deutschland im Ernstfall verteidigen könne, mit einem Wort: Nein. Das macht den Bürgern Angst. Kommen Sie zum gleichen Ergebnis?
Pane: Ich denke, dass die Landesverteidigung für die Bundeswehr schon von jeher eine Bündnisverteidigung gewesen ist. Was heißt das? Auch die Bundeswehr vor 1990 konnte nur im Rahmen der Nato-Alliierten Deutschland verteidigen, und das ist heute nicht anders. Richtig ist aber auch, dass die Umfänge an Personal und Material, die wir aktuell bereitstellen können, erheblich eingeschränkt sind. Insofern teile ich die Aussage nicht in der Absolutheit, will die Lage der Bundeswehr aber auch nicht schönreden. Dass ich an dieser Stelle nicht auf Details eingehen kann, versteht sich von selbst. Aber lassen Sie es mich einmal anhand eines Fußballbildes erklären. In den letzten über 25 Jahren hat man uns Soldaten und Soldatinnen immer wieder gesagt, dass wir in der Champions League mitspielen sollen. Allerdings hat man uns keine elf Fußballspieler gegeben, sondern nur sieben Spieler. Und von den sieben Spielern hatten nur fünf Fußballschuhe an. Aber trotzdem sind wir zu jedem Spiel aufgelaufen und haben das Beste rausgeholt. Bosnien, Kosovo, Afghanistan, Mali, Evakuierungsmission aus Kabul, Einsatz bei Flut- und Schneekatastrophen, oder aber die Amtshilfe in Corona-Zeiten, um nur einige Beispiele zu nennen – wenn wir gebraucht wurden, waren wir zur Stelle. Das wird auch zukünftig so sein.
Hat Deutschland vergessen, dass eine Demokratie, wie die hierzulande, auch wehrhaft sein muss?
Pane: Eine wehrhafte Demokratie hat meiner Meinung nach viele Facetten wie beispielsweise einen durch freie Wahlen legitimierten Gesetzgeber, eine unabhängige Justiz, eine starke Polizei und eben auch eine funktionierende Armee. Ich denke nicht, dass Deutschland vergessen hat, dass eine Demokratie wehrhaft sein muss. Allerdings hat man der Bundeswehr politisch wie gesellschaftlich keine große Bedeutung mehr beigemessen. Die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch zu verteidigen, wurde zwar akzeptiert, aber der verfassungsmäßige Auftrag der Landesverteidigung wurde marginalisiert. Das kann man sehr gut aus der Höhe der Verteidigungshaushalte seit 1990 ablesen.
Haben die Bundesregierungen der vergangenen Legislaturperioden die Bundeswehr kaputt gespart?
Pane: Naja, wenn es richtig ist, dass die Regierung den Wählerwillen umsetzt, dann haben nicht die Regierungen die Bundeswehr kaputtgespart, sondern, und da verweise ich auf Ihre vorangehende Frage, waren die Deutschen nicht bereit, das Geld für eine funktionsfähige Bundeswehr aufzubringen. Der gesellschaftliche Wille und die Einsicht in die Notwendigkeit schlagkräftige Streitkräfte zu unterhalten, war nicht vorhanden. Lassen Sie mich aber auch sagen, dass ich es sehr bedaure, dass wir einen Krieg in Europa nötig haben, um zu verstehen, dass eine Armee kein Luxus ist.
Wie viel der 100 Milliarden Euro, die Bundeskanzler Olaf Scholz der Bundeswehr zugesagt hat, werden in Hardheim benötigt und wie viele werden tatsächlich dort ankommen? Und wann? Ist das nicht reine Symbolpolitik?
Pane: Die 100 Milliarden werden vor allem benötigt, um die Truppe voll auszustatten. Es geht also nicht um Aufrüstung, sondern um Ausrüstung – also die fehlenden Fußballschuhe kaufen. Die Ministerin (Christina Lambrecht, Anm. d. Red.) hat ja bereits betont, dass „eine Bundeswehr gebraucht wird, die Fähigkeiten im gesamten militärischen Spektrum vorhält, vor allem für Landes- und Bündnisverteidigung, aber auch für das internationale Krisenmanagement“. Das heißt für uns in Hardheim, dass wir jetzt schneller unsere vollständige Ausstattung bekommen. Also wird tatsächlich Geld in Form von Ausrüstung auch in Hardheim ankommen. Da die Planungen auf den verschiedenen Ebenen dazu aber erst anlaufen, kann ich da keine konkreten Zahlen nennen. Darüber hinaus halte ich 100 Milliarden und die Aussage des Bundeskanzlers, dass nun mehr als zwei Prozent des Bundeshaushalts für Verteidigung ausgegeben werden, dann doch für eine zu beachtliche Summe, um dieses als Symbolpolitik abzustempeln.
In Hardheim wurde über Jahrzehnte Grundwehrdienst geleistet. Nun ist die Diskussion wieder entbrannt, diese einzuführen. Ist das purer Aktionismus oder ein ernsthaft zu verfolgendes Thema?
Pane: Das ist eine zutiefst gesellschaftliche Frage, die in einem öffentlichen Diskurs zu erörtern ist. Grundsätzlich ist die Wehrpflicht lediglich ausgesetzt, insofern ist die Wiedereinführung auch eine Frage, die man bestimmt stellen kann, dann aber auch ernsthaft diskutieren muss. Allerdings war diese Diskussion wohl eher ein Strohfeuer. Ich kann derzeit nicht sehen, dass diese wirklich noch geführt wird.
Wäre es überhaupt möglich, die allgemeine Wehrpflicht zeitnah wieder einzuführen? Wie lange würde das dauern?
Pane: Wenn wir einmal annehmen, dass der Deutsche Bundestag die Wiedereinführung der Wehrpflicht beschließen würde, wäre das grundsätzlich möglich. Aber das macht man nicht von heute auf morgen. Eine zeitnahe Umsetzung, also innerhalb weniger Monate, ist nicht realisierbar. Die notwendige Organisation, also von der ärztlichen Musterung über die Einkleidung bis hin zu den Ausbildern und der Infrastruktur sowie vieles andere mehr wäre erheblich und bräuchte Zeit. Da wird man sicherlich über mehrere Jahre sprechen.
Was wären die Vorteile, wenn die allgemeine Wehrpflicht zurückkommt?
Pane: Verankerung in der Gesellschaft – das ist für mich der wesentliche Vorteil einer Wehrpflichtarmee. Die Bundeswehr soll etwa 200 000 Soldaten und Soldatinnen umfassen. Bei einer Bevölkerungsgröße von etwa 80 Millionen, leisten damit ungefähr 0,25 Prozent aktiven Dienst in den Streitkräften. Mit einer Wehrpflichtarmee müsste sich jede Familie mit Kindern mit diesem Thema beschäftigen. Die Bundeswehr wäre somit ein permanentes Thema in der Gesellschaft.
Und die Nachteile?
Pane: Die heutigen Anforderungen an das Personal, die speziellen Aufgaben in einer modernen Armee zu erfüllen, könnte Wehrpflichtige nicht ohne Weiteres erfüllen.
Wären Sie also für eine Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, um auch in der Gesellschaft den Sinn wieder dafür zu schärfen, dass Demokratie und Werte notfalls zu verteidigen sind?
Pane: Dieser Begründung folgend, müsste es dann ja auch eine Art Wehrpflicht für die Polizei und weitere Institutionen geben, um den Sinn dafür zu schärfen, dass diese für unser Leben in einer wehrhaften Demokratie ebenfalls notwendig sind. Ich bin davon überzeugt, dass die Vermittlung der Sinnhaftigkeit schon lange vorher an anderen Stelle zu erfolgen hätte, konkret in der Erziehung und an den Schulen. Dort wird dieses aber meiner Auffassung nach überwiegend versäumt und das dann in der Bundeswehr in wenigen Monaten nachzuholen, ist ein recht hoher Anspruch. Dennoch kommen wir dem Leitbild „Staatsbürger in Uniform“ in unseren politischen Bildungen erfolgreich nach. Um aber Ihre Frage zu beantworten: Nein, ich bin nicht für die Wiedereinführung einer Wehrpflicht.
Hat sich in der Carl-Schurz-Kaserne in Hardheim nach dem Ausbruch des Krieges irgendetwas verändert? Herrscht eine Art Alarmbereitschaft? Werden die Soldaten über die Ereignisse in der Ukraine informiert? Üben Sie mehr?
Pane: Wir verfolgen weiterhin unseren Plan, um das Panzerbataillon aufzubauen. Das ist mit intensiven Ausbildungen und Übungen verbunden. Für uns hat sich also zunächst keine Änderung im täglichen Dienstbetrieb ergeben. Einige Soldatinnen und Soldaten des Panzerbataillons 363 gehören zur Nato Response Force Land 2022 – 2024 (NRF-L), also den schnellen Einsatzkräften der Nato. Diese Soldaten befinden sich aufgrund der NRF-Verpflichtung, unabhängig vom Krieg in der Ukraine, in einer erhöhten Verlegebereitschaft, wie es auch bereits seit Januar 2022 konzeptionell vorgesehen ist. Unsere Soldaten und Soldatinnen werden auch über den Krieg in der Ukraine informiert. Aber die meisten machen sich ohnehin schon selbst ein Bild von der Lage. Mir kommt es eher darauf an, dass wir sie über die Gefahren von falschen Informationen und Propaganda informieren.
Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einer „Zeitenwende“. Welche Rolle spielt die Bundeswehr künftig und welche Rolle spielt hierbei der Standort Hardheim?
Pane: Die Bundeswehr ist ein Baustein in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Die militärischen Fähigkeiten erweitern sozusagen den Werkzeugkasten für die Politik, und die Auslandseinsätze der Bundeswehr zeigen, dass davon Gebrauch gemacht wird. Die Frage, welche konkrete Rolle die Bundeswehr in der „Zeitenwende“ spielt, muss erst noch in Berlin beantwortet werden. Dass die Bundeswehr dabei eine Rolle spielen wird, ist aus meiner Sicht unstrittig, ansonsten würde man nicht 100 Milliarden Euro investieren. Mit Blick auf den Standort Hardheim bin ich mir sicher, dass sowohl die Stabs- und Führungsunterstützungskompanie als auch das Panzerbataillon 363 dabei Fähigkeiten zur Verfügung stellen, die im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung einen hohen Stellenwert haben. Hardheim ist sozusagen mitten drin, statt nur dabei.
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