Bad Mergentheim. Von 2018 bis zu seinem Ruhestand im März 2022 war Generalleutnant a. D. Jürgen Knappe Befehlshaber des Mulitinationalen Kommandos Operative Führung in Ulm.
Als Unterstützungskommando der Nato baute er dort das „Nato-Joint Support und Enabling Command“ auf. Den Fränkischen Nachrichten stand Jürgen Knappe nach dem Vortrag noch für ein Interview Rede und Antwort.
War die russische Besetzung der Krim die Initialzündung für den Umbau der Nato-Kommandostruktur?
Jürgen Knappe: Ich glaube, dass die Annexion der Krim das nach außen sichtbarste Ereignis war, was zu den Maßnahmen der Nato führte, um das Bündnisgebiet im Sinne der Bündnisverteidigung zu schützen und die Abschreckung glaubwürdig, geschlossen und vor allem sichtbar zu stärken. Aber auch die Terrorattentate von Paris, Brüssel, London oder Berlin haben diesen Prozess beschleunigt, weil auf einmal eine konkrete Gefahr oder Bedrohung mitten in Europa erlebt wurde.
Welche Maßnahmen waren für Sie von entscheidender Bedeutung?
Knappe: Für mich waren es vier Dinge, die sich in den Nato-Gipfeln von 2014 bis heute entwickelt haben. Erstens die konkrete Verstärkung von militärischen Kräften und deren Verfügbarkeit. Das waren die multinationalen „Battle Groups“ in den baltischen Staaten und Polen und die Aufstellung der sogenannten VJTF, das heißt von sofort verfügbaren und verlegefähigen Kräften innerhalb weniger Tage im Nato-Bündnisgebiet. Zweitens der Umbau der Kommandostruktur der Nato mit dem Aufbau eines neuen Kommandos in den USA, um vor allem die Folgekräfte über den Atlantik zu verlegen und meines ehemaligen Kommandos in Ulm, um die weitere Verlegung, wohin im Bündnisgebiet auch immer nötig, zu koordinieren. Drittens sicherlich auch die Willenserklärung bezüglich der Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels aller Nato-Mitglieder des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung zu investieren, und viertens die Neugestaltung einer Militärstrategie in 2019 und die daraus abgeleiteten Arbeiten, alle militärischen Pläne daran ausgerichtet neu zu gestalten.
Im November 2019 sprach der französische Staatspräsident Emmanuel Macron vom „Hirntod der Nato“. In ihrem Vortrag beim 19. Ketterberg Dialog haben Sie herausgestellt, dass es dem westlichen Militärbündnis seit der russischen Besetzung der Krim 2014 gelungen ist, sich neu zu positionieren. Ist dies nicht ein Widerspruch?
Knappe: Ich glaube, dass dies eine politische Aussage ist, die ich schlecht bewerten kann. Ich denke, dass sie dem geschuldet war, dass diese Prozesse nicht schnell genug vorankamen und die Abstimmung zwischen den Nationen auf der politischen Ebene zu lange brauchten, um für alle 30 Nationen tragbare Lösungen zu finden. Es war die Zeit, wo die Nato sich auf ihren Ursprung, die eigentliche Bündnisverteidigung rückbesinnen musste. Dass sie es kann, das hat sie in ihrer Geschlossenheit seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine bewiesen.
Sie haben deutlich gemacht, dass die Nato jeden Zentimeter des Territoriums der Mitgliedsländer schützen wird. Die Ukraine ist nicht Mitglied. Nach ihrem Vortrag merkte der frühere Landrat des Main-Tauber-Kreises Reinhard Frank an, ob nicht schon das weltweit gültige Völkerrecht eine Beistandspflicht vorsehe. Was ist Ihre Meinung?
Knappe: Die Charta der UN sieht im Artikel 41.1 die Möglichkeit der Verteidigung bei einem ungerechtfertigten Angriffskrieg vor. Aber dann muss sich die UN damit beschäftigen und es muss von da mandatiert werden. Aber verurteilen alle UN-Mitglieder den Angriff Russlands wie wir bzw. bewerten das so? Das ist eine Fragestellung, die hochpolitisch ist und sicherlich auch juristisch zu bewerten ist.
Welche Alternativen gibt es, um den Krieg möglichst rasch beenden zu können?
Knappe: Wirtschaftliche Sanktionen und Waffenlieferungen, beides abgestuft, aufwachsend und immer intensiver; das wurde gemacht, und zwar in einer beeindruckenden Solidarität in der Nato und auch der EU. Gleichzeitig darauf achtend, dass der Krieg mit der Atommacht Russland nicht eskaliert. Es zeigt gerade hier auch unsere Grenzen im Machbaren. Können wir ein weiteres Risiko gehen? Wohl kaum mit Blick auf die zunehmende Unkalkulierbarkeit Russlands und: Was hält auch unsere Gemeinschaft und unsere Gesellschaft aus? Ich habe da keine zufriedenstellende Antwort.
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