Untrennbar mit der 2002 aufgelösten Panzerbrigade 36 am einstigen Bundeswehrstandort Bad Mergentheim verbunden sind die Ketterberg-Dialoge. Nach zweijähriger Pause traf man sich wieder zum Austausch.
Bad Mergentheim. Wegen der Pandemie hatte es vor zwei Jahren nur ein virtuelles Treffen gegeben, doch jetzt konnte wieder das Reinhold Würth Haus als ideale Begegnungsstätte genutzt werden.
Rainer Bürkert, Geschäftsbereichsleiter der Würth-Gruppe und Geschäftsführer der Würth Industrie Service, zeigte sich erfreut über die große Resonanz. Zahlreiche Ehrengäste waren gekommen, unter ihnen ranghohe Vertreter der Bundeswehr.
Bürkerts Willkommensgruß zum 19. Ketterberg-Dialog galt insbesondere Generalleutnant a. D. Jürgen Knappe, der aus Sicht der Nato und Deutschlands rund um das Thema „Krieg in der Ukraine“ referierte.
In der Ukraine, so Rainer Bürkert in seiner Einführung, werde unser Wohlstand, unsere Sicherheit und vor allen Dingen unsere Freiheit und der Frieden in Europa verteidigt.
Massiver Einschnitt
Jürgen Knappe erinnerte an seinen Besuch 2019 im Reinhold Würth Haus, als sich immer deutlicher abzeichnete, dass die Landes- und Bündnisverteidigung verstärkt in den Fokus der Nato rücken würde. Er betonte, dass er nicht als Vertreter der Bundeswehr oder Nato spreche, sondern seinen persönlichen Blickwinkel mit einem Erfahrungshintergrund von fast 45 Dienstjahren darstelle. Ein sehr massiver Einschnitt sei schon der 11. September 2001 gewesen. In Europa hätten die Anschläge in Paris, am Flughafen in Brüssel, London oder in Berlin gezeigt, dass der Terror in Europa angekommen ist.
„Die militärstrategische Entwicklung der Nato war geprägt durch die großen Gipfel in Wales 2014, in Warschau 2016 und in Brüssel 2018“, betonte der Referent. Es seien elementare Ziele festgelegt worden, wie etwa 2014 mit dem Zwei-Prozent-Ziel. Zwei Prozent des jährlichen Bruttosozialprodukts sollten in den nächsten zehn Jahren in den Verteidigungshaushalt gehen.
Wegweisend sei auch die Einrichtung einer „Task Force“ als schnelle Eingreiftruppe mit 40 000 Kräften gewesen. Immer einsatzbereit müssten davon 5000 Soldaten sein. Dies sei von der Nato als Reaktion auf die Krim-Annexion festgelegt worden.
Verpflichtung der Amerikaner
Bereits vor drei Jahren hatte Knappe in Bad Mergentheim erläutert, dass im Rahmen der Anpassung der Nato-Kommandostruktur eines von zwei neuen Kommandos – das Joint Support and Enabling Command (JSEC) – in Ulm aufzustellen ist. Dieses Kommando untersteht dem militärischen Nato-Hauptquartier (Supreme Headquarters Allied Powers Europe/Shape) – und hat den Auftrag, den Schutz, die Ausbildung, die Einsatzbefähigung sowie die Truppen- und Materialtransporte im rückwärtigen Raum sicherzustellen.
Knappe führte aus, dass sich die Amerikaner verpflichtet hätten, drei Korps verfügbar zu machen, um sie nach Europa zu schicken. Bis dahin müssten die Europäer 30 Tage mit ihren Kräften durchhalten.
„Das fünfte US-Korps ist mit Teilen seines Stabes bereits in Polen präsent.“ Dies erinnere ihn, so der Referent, an die Situation, als es noch den Warschauer Pakt und die Nato gegeben habe. „Nur damals standen sich die Kräfte an der innerdeutschen Grenze gegenüber.“ Jetzt gelte es, die Folgekräfte, die eben nicht mehr in Deutschland seien, über den Atlantik zu führen.
Ist die Nato bedroht?
Bei der Diskussion um die neue Kommandostruktur 2019 habe immer die Frage eine Rolle gespielt, ob die Nato bedroht sei, sich nur Risiken oder nur einem potenziellen Risiko gegenüber sehe.
Knappe erläuterte den langfristig angelegten Prozess des Ausbaus neuer Kommandostrukturen. Deren Grundkonzept stehe.
In der aktuellen Situation in der Ukraine habe es bereits seine Bewährungsprobe bei der Übung „Steadfast Defender“ im Mai letzten Jahres bestanden.
Im Sinne einer effektiven Abschreckung habe die Nato über die gesamte Ostflanke alles getan, um Russland – mit den Worten des Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg – deutlich zu machen: „Wir werden jeden Zentimeter des Nato-Raumes verteidigen.“ Das sei bis heute die rote Linie und eine glaubwürdige Abschreckung zur Verteidigung.
Er glaube, dass Russland nicht erwartet habe, dass die Nato so geschlossen auftreten würde. Zu den Waffenlieferungen an die Ukraine merkte Knappe an, dass dabei die logistischen Versorgungsketten eine echte Herausforderung seien. Mit dem Fähigkeitsprofil von 2018 werde in Deutschland so sichtbar wie nie zuvor, wo die Lücken zum gegenwärtigen Verteidigungshaushalt seien. Es gehe nicht darum, EU-Streitkräfte aufzubauen, sondern der europäische Pfeiler in der Nato müsse gestärkt werden.
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