Grünsfeld. Doch daneben ist der gebürtige Nürnberger mit türkischen Wurzeln gleichermaßen ein ausgezeichneter Keynote-Speaker und Unternehmensberater. Und was für einer – rund 500 restlos begeisterte Zuhörer überzeugten sich davon am Donnerstagabend im Rahmen einer Benefizveranstaltung – durchgeführt von der Stadt, dem FC, dem Fußballkreis und der Schiedsrichter-Vereinigung Tauberbischofsheim, in der Grünsfelder Stadthalle. Das Spektakel gipfelte darin, dass es am Schluss für Deniz Aytekin und die anderen Gäste, DFB-Vizepräsident Ronny Zimmermann und Gert Mauersberger, Schiedsrichter-Chef des FC Bayern München, stehende Ovationen gab.
Keine großen Unterschiede zwischen Schiedsrichter und Privatmensch
Viele wollten mal erleben, wie sich der Mensch Deniz Aytekin vom Schiedsrichter Deniz Aytekin unterscheidet. Da gebe es keinerlei große Unterschiede, so der beliebte Referee. Er vermittelte seinem Publikum, worauf es im Leben wirklich ankommt: auf Wertschätzung und Menschlichkeit. Bis diese Erkenntnis in ihm gereift war, seien mehrere Jahre vergangen, dazu habe er hart an sich gearbeitet – mit tatkräftiger Unterstützung von Aron Schmidhuber. Denn der ehemalige Weltschiedsrichter (1992) habe ihn, so Aytekin, wie einen „Ziehsohn“ auf seine Karriere als Bundesliga- und Fifa-Schiedsrichter vorbereitet und begleitet. Alles andere habe er sich mit Hilfe von Büchern und im Austausch mit Psychologen und Verhaltensforschern selbst angeeignet, so der nicht nur wegen seiner Größe von 1,97 Metern überragende Gast. Bei einem Empfang der Stadt Grünsfeld hatte er sich zuvor im Übrigen ins goldene Buch eingetragen.
Strategien als Schiedsrichter
In seinem kurzweiligen Vortrag sprach Deniz Aytekin über Strategien, wie man als Schiedsrichter proaktiv, also vorausschauend, arbeiten müsse. „Man kann nicht alle Situationen zu 100 Prozent erkennen, dafür ist das Spiel inzwischen zu schnell geworden.“ Aber durch persönliche Strategien sei es möglich, viele Situationen richtig zu beurteilen – und dann dementsprechend zu entscheiden. Dazu gehöre stets eine gute Vorbereitung auf ein Match. Während desselben stelle sich die Frage: „Wo ist mein nächstes Problem“. Sein Ratschlag: „Vorausschauende Denken erleichtert oft die Arbeit.“
Weiterer Erfolgsfaktor sei, „den Menschen immer voller Wertschätzung auf Augenhöhe zu begegnen“: Sie mitnehmen und erklären, warum so entschieden worden sei. Hierzu hatte Aytekin mehrere Videosequenzen aus der Bundesliga dabei, um dies zu untermalen.
Vieles sei auch über die Körpersprache der Spieler auf dem Platz zu erkennen. Wenn man in der Lage sei, sie zu lesen, sei dies ein weiterer Baustein des Erfolgs. Und außerdem sei gute Teamarbeit mit den Assistenten wichtig, die ihm in vielen Situationen beistünden.
Auch nach rund 220 Spielleitungen in der Bundesliga habe er noch immer Spaß: „Wenn ich in ein vollbesetztes Stadion einlaufe – das ist es, was mich antreibt“. Mit Sorge sieht Deniz Aytekin allerdings die gesellschaftliche Entwicklung, die sich auf dem Fußballplatz widerspiegele. Schwindende Wertschätzung und Empathie seien kein Phänomen ausschließlich auf dem Platz, sondern überall im Alltag. Erst wenn man seinem Gegenüber wieder jene Sympathie entgegenbringe, die er verdiene, werde sich gesellschaftlich etwas verändern.
Diese Position vertrat Deniz Aytekin auch im folgenden Talk, moderiert von Klaus T. Mende. Mit Gert Mauersberger und Ronny Zimmermann diskutierte er über die momentane und künftige Situation im Schiedsrichterwesen.
Ronny Zimmermann sah vor allem die schwindende Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren, als Hauptgrund für Fehlentwicklungen in der Gesellschaft und damit auch bei den Referees. Schon seine Oma habe ihm als Juristen und Funktionär beigebracht, dass man andere Menschen so behandeln solle, wie man selbst behandelt werden will.
Im „Jahr der Schiedsrichter“ sieht nicht nur Gert Mauersberger Chancen auf einen Neubeginn. Denn neben der Wertschätzung, die man einem Schiedsrichter auf und neben dem Platz entgegenbringen sollte, seien es auch finanzielle Aspekte, die eine Rolle spielten. So habe Bayern in dieser Saison die Aufwandsentschädigungen für Unparteiische angehoben, um auch so die Wertschätzung auszudrücken. Viele Jungschiedsrichter könnten sich nun etwas leisten und sich so besser in der Gesellschaft und vor ihren Freunden behaupten.
Mit Spaß an eine Sache herangehen
Wichtig im Sport sei aber auch der Spaß. Wer mit Freude an eine Sache herangehe, für den spiele der finanzielle Aspekt nur eine untergeordnete Rolle, meinte Deniz Aytekin. Aber nur, wenn man sich mit Respekt begegne, könne man auch Spaß haben. „Wir Schiedsrichter sind auch Menschen und keine Roboter“, brach er eine Lanze für mehr Menschlichkeit. Gleichzeitig sagte Aytekin aber auch, dass man sich als Referee nicht alles gefallen lassen dürfe. Er habe bereits vor Jahren gelernt, konsequent zu sein, dies wolle er aber menschlich vermitteln. Vielleicht sei das ein Geheimnis seines Erfolgs, mutmaßte Klaus T. Mende.
„Die Schiedsrichter müssen spüren, dass sie wertgeschätzt werden“, war eine weitere Forderung von Deniz Aytekin. Aktuell laufe eine Werbekampagne für die Gewinnung von Jungreferees über die Social-Media-Plattformen. Denn die Menschen seien dort viel unterwegs und potenzielle Kandidaten für ein Schiedsrichteramt.
In Kürze beginnt übrigens ein neuer Schiedsrichterkurs im Fußballkreis Tauberbischofsheim, zu dem sich auch dessen Vorsitzender Jürgen Umminger angemeldet hat. Er wolle mit gutem Beispiel vorangehen und junge Leute motivieren, sagte er am Rande der Veranstaltung. „Vielleicht bewirkt solch ein Handeln etwas bei Vereinen und Spielern.“
Erziehungsmaßnahme: selbst zur Pfeife greifen
Ronny Zimmermann plädierte sogar dafür, dass Aktive, die sich gegen Schiri-Entscheidungen wenden, nicht mit Sperren bestraft werden, sondern selbst zur Pfeife greifen müssten. Diese Umkehr der Sichtweise habe vielleicht mehr erzieherische Wirkung, „als jede monetäre Strafe“. Bei allem Änderungswillen, am wichtigsten sei, dass man gesund auf dem Platz stehen kann – fanden alle vier Diskutanten und leiteten damit zum Hauptzweck des Abends über: der Überreichung der Spendenschecks (siehe Extrabericht).
Alles in allem ein Abend, bei dem es lauter Gewinner gab – und der neben einer attraktiven Verlosung auch mit aktuellen Videobeiträgen der ehemaligen Spitzen-Schiedsrichter Bibiana Steinhaus, Markus Merk, Knut Kircher und Lutz Wagner bereichert wurde. Und Stargast Deniz Aytekin dürfte schlussendlich auch zufrieden von dannen gezogen sein, bereits die sonntägliche Bundesliga-Spielleitung 1. FC Köln gegen Borussia Mönchengladbach im Fokus. ktm/mae
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