Buchen. Uli Ehret (53 Jahre) war über 30 Jahre lang für das in Liquidation befindliche Unternehmen „Franz Fertig Sitz- und Liegemöbelfabrik“ tätig, zuletzt als Prokurist und Betriebsleiter, Katja Mehl arbeitete als Prokuristin und Leiterin des Personal- und Finanzwesen für Buchens ehemals ältesten Industriebetrieb. Im Juli haben sich die beiden mit der „Odenwälder Möbel Manufaktur“ (OMM) selbstständig gemacht.
„Wir haben uns natürlich gefragt: Geht man das Risiko ein?“, sagt Katja Mehl im Gespräch mit den Fränkischen Nachrichten. „Ich hätte mich mit einem branchenfremden Arbeitsplatz nicht wohlgefühlt“, ergänzt Uli Ehret. Er hatte Jobangebote aus Nürnberg und Ulm erhalten. „Das kam für mich nicht infrage“, sagt er. Denn er ist ebenso wie seine Mit-Gesellschafterin in der Region verwurzelt.
Das Treffen mit den Fränkischen Nachrichten findet in der Franz-Fertig-Straße auf demselben Gelände statt, auf dem die beiden jahrzehntelang gearbeitet haben. Die in der Rechtsform einer GmbH gegründeten OMM hat etwa ein Fünftel des rund 10 000 Quadratmeter großen Betriebsgeländes gepachtet. Manche Hallen haben hiesige Handwerker als Lagerfläche gemietet, viele stehen noch leer.
Als Ende vergangenen Jahres klar war, dass Ende März dieses Jahres die Firma Franz Fertig ihre Geschäftstätigkeit würde einstellen müssen, habe der Handel immer noch Ware bestellt. „Das liegt an den hochwertigen Produkten“, sagt Katja Mehl. „Damit haben wir uns immer identifiziert.“ Im Gespräch mit Vertretern aus dem Möbelhandel bestätigte sich, dass die Nachfrage nach hochwertigen Möbeln immer noch bestehe. „Das Potenzial ist immer noch da“, stellt Ehret fest. Und so reifte der Entschluss in den beiden, sich mit einem eigenen Unternehmen selbstständig zu machen.
Bürokratie und Formularflut
Doch bis es so weit war, mussten Mehl und Ehret manche Hürde nehmen. „Die Bürokratie und Formularflut bei der Existenzgründung sind enorm“, sagt Katja Mehl. „Manchmal hatte es den Anschein, die Firmengründung sei nicht gewollt.“ Zudem hatten kurzfristige Zusatzforderungen der Bank dafür gesorgt, dass sich der Start des Projektes verzögerte.
Obwohl OMM rechtlich nichts mit der Firma Fertig zu tun hat, so steckt viel von dem Traditionsunternehmen in der Möbelmanufaktur: Die sieben Voll- und drei Teilzeitkräften standen ehemals auf der Lohnliste von Fertig. Die Maschinen, mit denen das neue Unternehmen produziert, haben Ehret und Mehl aus der Insolvenzmasse erworben. Und auch die neu kreierten OMM-Produkte lehnen sich an die Fertig-Möbel an. So handelt es sich bei dem Sofa „Libro“ um ein Verwandlungssofa, das der Kunde – ähnlich wie ein Auto – nach seinen Vorstellungen konfigurieren kann. Der Sessel „Noel“ kommt ähnlich nüchtern und elegant daher wie die Fertig-Produkte. Dazu bietet OMM den Beistelltisch „Timm“ mit einer massiven Tischplatte an, von dem jedes Exemplar ein Unikat darstellt.
Das am 1. Juli gegründete Unternehmen ist ausgelastet. So fertigt man derzeit zum Beispiel Spezialprodukte für die Palettenindustrie, produziert Holzkonstruktionen für einen Hersteller von Türen und stellt Holzteile für eine Zimmerei nach deren Plänen her. Für ein Möbelhaus aus Freiburg baut OMM Sessel und Sofas. Es ist geplant, diese in Lizenz auch anderen Möbelhäusern anzubieten. Außerdem hat eine Werft angefragt, ob OMM Schlafeinheiten auf einem Kreuzfahrtschiff zurückbauen könne. „Das wäre unser erster Auslandsauftrag“, sagt Ehret.
Fakten zu Existenzgründung und Möbelindustrie
Nach Angaben der IHK Rhein–Neckar haben in den Jahren 2021 bis 2023 mehr Personen ein Gewerbe an- als abgemeldet. Im Neckar-Odenwald-Kreis stehen bis einschließlich zweites Quartal dieses Jahren 2853 Anmeldungen 2156 Abmeldungen gegenüber.
Nur im vierten Quartal 2022 hielten sich An- und Abmeldungen mit 269 beziehungsweise 268 ungefähr die Waage.
Die Möbelindustrie verzeichnete nach Angaben des Verbands der Deutschen Polstermöbelindustrie deutschlandweit im ersten Halbjahr dieses Jahres einen Umsatzrückgang von einem Prozent.
Von Großprojekten, die letztlich der Firma Fertig zum Verhängnis geworden waren, wollen Ehret und Mehl die Finger lassen. Stattdessen werde man hochwertige, individuelle Möbel aus Vollholz „made im Odenwald“ herstellen und den Anteil an Polstermöbel geringer halten. Dabei steht Teamarbeit im Mittelpunkt. Als man das Sofa „Libro“ entwickelte, habe man ein Fertig-Sofa komplett zerlegt und mit den Mitarbeitern überlegt, was man daran verbessern könne. So erhielt die Eigenkreation „Libro“ unter anderem eine andere Unterfederung, und die Armlehnen lassen sich austauschen. „Nachhaltigkeit ist uns besonders wichtig“, erläutert Katja Mehl. Deshalb reparieren die OMM Möbelstücke, die vor Jahren das Werk der Firma Fertig verlassen haben. Die neu entwickelten Möbelstücke werden komplett in Buchen gebaut, möglichst aus heimischen Hölzern.
Erfolgreicher Vertrieb
Und der Erfolg im Vertrieb scheint den beiden Neu-Unternehmern Recht zu geben. Die beiden besuchen regelmäßig kleine, exklusive Möbelhäuser bundesweit und stellen ihre Produkte vor. So stehen OMM-Möbel bereits in Geschäften in München, Freiburg, Frankfurt und Hamburg. „Alle Möbelhäuser, die wir angefahren haben, haben bisher mitgemacht“, sagt Ehret.
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