Freudenberg. Rainer Hribar hat schon mehrere Unternehmen umgekrempelt, damit sie zurück auf die Erfolgsspur finden. Für die Rauch Möbelwerke in Freudenberg erwartet er für die nächsten Monate noch eine Durststrecke. Mit einem besserem Konsumklima soll die Wende kommen. Die FN unterhielten sich mit ihm Fehlleistungen bei Rauch in der Vergangenheit und die Strategie, wie er die Möbelwerke aus der Krise holen will.
Herr Hribar, Sie sind nun mehr als ein Jahr bei Rauch. Ihr Auftrag ist, das Unternehmen aus der Krise zu holen. Wie ist denn momentan die Situation in der Möbelbranche generell?
Rainer Hribar: Die Möbelbranche steckt leider in einer tiefen Krise, die nun schon eine Zeit lang andauert. Während der Corona-Pandemie ist das Pendel sehr weit in die positive Richtung ausgeschlagen. Jetzt geht es zu weit in die andere Richtung. Der Bevölkerung fehlt Kaufkraft. Wenn man knapp bei Kasse ist, kann die Anschaffung eines Schlafzimmers noch ein Jahr warten.
Gibt es auch andere Faktoren?
Rainer Hribar: Ein weiterer, wesentlicher Grund ist die geringe Bautätigkeit. Wann werden Möbel gekauft? Das findet etwa statt, wenn man in eine neue Wohnung zusammenzieht. Oder es gibt eine Scheidung. Oder wenn man umzieht. Wer in eine neue Wohnung oder ein Haus zieht, schafft sich meist neues Mobiliar an. Also Umzüge helfen der Branche, weil sie Nachfrage erzeugen. Die maue Bautätigkeit führt dazu, dass die Möbelbranche leidet. Nach der Pandemie sind viele Leute auch erstmal wieder in Urlaub geflogen und haben andere Anschaffungen hintenangestellt.
Wie lange wird der Zustand Ihrer Meinung nach andauern?
Rainer Hribar: Das wird bis weit ins Jahr 2024 andauern. Dann schwingt das Pendel wieder zurück. Es gibt immer noch über 80 Millionen Menschen in Deutschland und es kommen durch die Flüchtlingswellen noch viele hinzu, die alle Möbel benötigen. Diesbezüglich ist mir nicht bange, wenn ich das mittel- und längerfristig betrachte. Aber zurzeit ist es anspruchsvoll. Praktisch jede Woche geht ein Wettbewerber, Zulieferer oder Händler pleite.
Gibt es eine Art Marktbereinigung?
Rainer Hribar: Ja, das ist so. Es gibt ein Ausscheidungsrennen. Wer hält durch? Wenn man finanziell nicht solide ausgestattet ist, wird es schwierig. Das wird wohl bis ins Jahr 2025 so sein.
Wer sind denn die wesentlichen Wettbewerber?
Rainer Hribar: Bezogen auf Rauch sind das bekannte Namen wie Hülsta. Das Unternehmen befindet sich momentan in einem Insolvenzverfahren. Selbst Ikea, die unangefochtene Nummer eins in Europas Handel, dreht seine Bestellungen massiv zurück. Es gibt Zulieferbetriebe, die quasi nur für Ikea gearbeitet haben, die in Deutschland dicht machen, wie die Maja-Möbelwerke im sächsischen Wittichenau.
Wie ist denn die Lage bei Rauch?
Rainer Hribar: Wir haben im abgelaufenen Geschäftsjahr zum 30. Juni dieses Jahres nochmals zehn Prozent Umsatzrückgang verzeichnet. Bezogen auf die Menge macht das deutlich über 20 Prozent aus, weil natürlich auch unsere Produkte wegen der Inflation und den gestiegenen Materialpreisen teurer geworden sind.
Kommen wir noch mal zurück auf die Sanierungsmaßnahmen im vergangenen Jahr. Wie viele Arbeitsplätze haben Sie denn letztlich abgebaut?
Rainer Hribar: Konkret waren das 87 Stellen, wie angekündigt. 25 Prozent der Belegschaft in der Verwaltung, nicht im Werk. Die Geschäftsentwicklung zeigt, dass das auch dringend notwendig war. In den Möbelwerken haben wir Kurzarbeit eingeführt. Wir hoffen, dass wir dadurch diese Delle durchstehen können. Man muss leider einräumen, dass auch in den ersten drei Monaten des neuen Geschäftsjahres die Menge nochmals über 20 Prozent zurückgegangen ist. Totale Flaute. Aber die Ergebnisse sind deutlich besser als im Vergleichszeitraum des vorhergehenden Geschäftsjahrs in den ersten drei Monaten. Das zeigt, dass die Umbaumaßnahmen wirken. Aber wir machen immer noch Verluste.
Der Jahresfehlbetrag im Geschäftsjahr 2021/22 lag bei rund zwölf Millionen Euro.
Rainer Hribar: Das war im abgelaufenen Geschäftsjahr besser. Ich kann momentan keine genauen Zahlen nennen. Das Ergebnis fiel um ein paar Millionen Euro besser aus. Es ist aber natürlich immer noch total unbefriedigend.
Sie haben angesprochen, dass finanziell weniger gut ausgestattete Wettbewerber die Krise wahrscheinlich nicht überleben werden. In den Büchern der Rauch Möbelwerke gab es viel Tafelsilber wie etwa Wertpapiere. Was ist daraus geworden?
Rainer Hribar: Wir haben die Hälfte dieses Tafelsilbers verkauft. Das war notwendig für die Finanzierung der Umbaumaßnahmen. Auch für die Finanzierung des Verlustes. Geldbeschaffung über Banken ist heute in der Branche extrem schwierig. Wenn man heutzutage über längere Zeit hohe Verluste macht, gibt es kein frisches Geld von den Kreditinstituten.
Wir haben die Hälfte dieses Tafelsilbers verkauft.
Wann wird die Flaute vorbei sein?
Rainer Hribar: Aus heutiger Sicht rechnen wir damit, dass es noch etwa ein Jahr andauern wird. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Pendel zurückschwingen wird. Ein wesentlicher Faktor ist die Kaufkraft der Bevölkerung. Es gab ja zum Teil recht beachtliche Lohnerhöhungen. Das wird helfen. Auch, wenn die Energiepreise wieder auf ein vernünftiges Niveau fallen. Wenn mehr Berechenbarkeit da ist, wenn die Leute wieder besser planen können, kommt der Konsum zurück. So lange Unsicherheit herrscht, ist es eine natürliche Reaktion, dass jeder versucht, das Geld zusammenzuhalten. In Deutschland stieg die Sparquote. Das ist ein typisches Resultat der Unsicherheit. Die Leute halten das Geld zusammen, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt.
Gibt es für Ihre Prognose Datengrundlagen?
Rainer Hribar: Konkret nicht, aber nach jeder Delle gibt es wieder einen Aufschwung. Wir gehen davon aus, dass 2024 die Energiekosten eher sinken, Löhne und Gehälter eher steigen. Wenn wieder Stabilität da ist, wird der Konsum wieder zurückkommen. Es wird – auch was die Möbel betrifft – dann sogar Nachholeffekte geben.
Mit welchen Maßnahmen auf der Produktseite reagieren Sie auf die schwache Nachfrage?
Rainer Hribar: Wir hatten hier in Freudenberg auf über 2500 Quadratmeter eine komplett neue Ausstellung für die Hausmesse. Zu Gast waren die wichtigsten Kunden aus Europa, und es gab viel Lob für die neuen Modelle. Wir haben massiv in die Entwicklung neuer Modelle investiert. Die Rückmeldungen waren sehr positiv: Man sieht, dass bei Rauch neuer Schwung drin ist, dass sich etwas bewegt. Im Ergebnis haben wir sehr viele neue Zusagen für Platzierungen in den Möbelhäusern erhalten. Das ist wichtig. Wenn man in den Möbelhäusern nicht präsent ist, kann man nichts verkaufen. Das ist die Basis für den künftigen Erfolg, selbst wenn in den Häusern momentan die Kundenfrequenz relativ niedrig ist.
Welche Ideen haben Sie bei Ihrer neuen Produktstrategie umgesetzt?
Rainer Hribar: In der oberen Mittelklasse haben wir mit einem externen Designer zusammengearbeitet: Jochen Flacke. Er hat schicke Schlafzimmer entworfen, die wirklich gut ankommen. Er hat ein gutes Gespür für Trends und uns inspiriert. Aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres eigenen Produktmanagements haben im mittleren und unteren Segment tolle Produkte entworfen. Das merkt man bei den Bestellungen. Wir haben offensichtlich die richtigen Farben und Materialien gewählt, die im Trend sind. Unsere Kunden bestätigen das. Selbst für das Einstiegssegment haben wir Modelle gefunden, die sehr gut ankommen. Eine gute Basis, für das, was noch alles kommen soll.
Rauch hatte Probleme, was Liefertreue und Qualität angeht. Ist das besser geworden?
Rainer Hribar: Ja, wir haben die Reklamationsquote mehr als halbiert. Die Kosten für Reklamationen sind stark zurückgegangen.
Mit welchen Maßnahmen haben Sie das erreicht?
Rainer Hribar: Oft sind es simple Dinge. Es sind immer wieder Prozesse, Prozesse und nochmals Prozesse. Wir haben im Team diese Prozesse analysiert und untersucht, was man verändern muss. Das ist alles nicht immer eine Riesenwissenschaft. Es geht um strikte Führung und Disziplin. Man darf nicht wegschauen, wenn etwas nicht funktioniert, sondern muss eine Lösung zu suchen. Die zwei großen Probleme waren Verpackung und Fehlmenge. Wir haben hier immer noch jeden Tag 30 000 Packstücke, die ausgeliefert werden. Da passiert es schnell, dass eines stehen bleibt oder auf einem falschen Lkw landet, also einfach beim Kunden nicht ankommt. Wenn ein Packstück mehrfach umgeladen wird, kann es Schaden nehmen. Bei mangelhafter Verpackung kommt es beim Kunden kaputt an. Das sind Basics. Es muss gelingen, unsere Ware pünktlich, vollständig und unversehrt anzuliefern. Das mussten wird zuerst wieder hinbekommen.
Erstaunlich. Eigentlich sollte ein Industriebetrieb permanent die Prozesse verbessern…
Rainer Hribar: Irgendwie ist das bei Rauch aus dem Ruder gelaufen.
Wie konnte das passieren?
Rainer Hribar: Es ist auch eine Mentalitätsfrage.Wenn die Top-Manager im Home-Office arbeiten und nicht mehr vor Ort sind, dann laufen die Dinge aus dem Ruder.
Das sind erstaunlich offene Worte…
Rainer Hribar: Ja, aber das ist meine Art, auch intern. Man muss die Dinge ansprechen, die nicht funktionieren. Das kann man ja alles in einem vernünftigen Tonfall machen. Aber Du darfst einfach nicht wegschauen. Wenn es Leute in Führungspositionen gibt, die nicht funktionieren, dann rumpelt es halt, dann sind die weg.
Was ist denn schiefgelaufen?
Rainer Hribar: Der grundlegende Fehler war: Die Gesellschafterfamilien haben viele Jahre akzeptiert, dass die Möbelwerke Verluste machen und das Spanplattenwerk das auffängt. Das ging viele Jahre gut. Aber wenn das Spanplattenwerk aufgrund der massiven Preissteigerungen für Holz, Leim und Energie nicht mehr so profitabel arbeitet, dann bricht alles wie ein Kartenhaus zusammen.
Bei Rauch waren vor ein paar Jahren Unternehmensberater im Haus. Hat das nichts gebracht?
Rainer Hribar: Die Übung mit den externen Beratern hat unglaublich viel Geld gekostet hat, bei ganz wenig Output. Berater machen immer die zwei gleichen Fehler: Sie treten nicht an und sagen, sorry, aber mit dieser Geschäftsführung kann ich die Probleme nicht lösen. Eine schwache Geschäftsführung ist immer gut für die Berater. Dann können sie viele Kollegen ins Unternehmen holen und sie in Rechnung stellen. Sie gehen nicht zum Aufsichtsrat oder zu den Gesellschaftern und informieren darüber, dass es mit der Geschäftsführung nicht funktioniert. Der zweite Fehler ist, dass sie die komplette Organisation überfordern. Die Berater kommen mit hunderten von Maßnahmen, die umgesetzt werden sollen, und die Organisation kann das überhaupt nicht verdauen. Ganze Abteilungen sind dann nur noch am Berichten und können nicht mehr ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen.
Wie sind Sie vorgegangen?
Rainer Hribar: Es sind immer zwei Dinge. Erstens: Klare Ansagen und neue Köpfe. Die Erfahrung, die ich als Sanierer gemacht habe, zeigt: Mit Führungskräften, die die Firma an die Wand gefahren haben, bekommst du sie nicht mehr weg von der Wand. Wenn man reinkommt und mit ihnen diskutierst, dann heißt es stets, dass alles doch nicht so schlecht war, dass man nicht alles ändern sollte, und es Gründe hat, warum man es so macht. Unendliche Diskussionen. Bei der Sanierung einer Firma hat man zwei Dinge nicht: Zeit und Geld. Darum braucht es einfach neue Köpfe. Bei Rauch wurde die komplette Geschäftsführung ausgewechselt. Bis auf den Finanzleiter und Personalchef wurde auch die komplette zweite Führungsebene herausgenommen. Das war meine Entscheidung. Ich war dann total überrascht, welches Potenzial eine Ebene darunter vorhanden ist, wie viele gute, auch junge Leute da sind, die dann auch Verantwortung übernommen haben. Und wie da plötzlich wirklich an einem Strang gezogen wird. Zweitens: Rasch herausfinden, welches die wichtigsten Maßnahmen sind, die zur Gesundung des Unternehmens ergriffen werden müssen und diese konsequent umsetzen.
Erstaunlich, dieses Phänomen. Es waren Leute mit eigenen Ideen da, die bisher nicht zur Geltung kamen?
Rainer Hribar: Die haben alle den Kopf eingezogen, weil sie gemerkt haben, dass es ungesund ist, wenn man den Kopf herausstreckt. Jetzt, wo diese Lehmschicht dazwischen weg war, kamen viele gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Vorschein, und wir haben, bis auf eine, alle diese Führungspositionen mit internen Leuten nachbesetzt.
Die Nachricht, dass Rauch das Spanplattenwerk in Markt Bibart veräußert, hat überrascht. Der Gedanke lag nahe, dass es jetzt ans Tafelsilber geht. War der Verkauf für die Finanzierung der laufenden Maßnahmen notwendig?
Rainer Hribar: Es war eine Gelegenheit. Es gibt weltweit nur ein paar große Unternehmen, die in dieser Branche mitmischen. Ich habe mitbekommen, dass die österreichische Egger-Gruppe in Süddeutschland etwas auf die Beine stellen will. Die Egger-Leute haben schnell festgestellt, dass die Genehmigungen für den Bau einer neuen Fabrik auf der der grünen Wiese sechs bis sieben Jahre dauern würde. Dann sind wir ins Gespräch gekommen und Egger wollte nicht einfach ein weiteres Spanplattenwerk aufbauen, sondern auch in die Weiterveredelung investieren. Wir konnten – neben 200 Mitarbeitern – ein recht modernes Werk anbieten, weil Rauch 2015/2016 hier 60 Millionen in eine neue Presse investiert hatte. Zudem gehören zum Werk bisher ungenutzte Gewerbeflächen, die Wachstum ermöglichen. Egger hat auch angekündigt, kurzfristig einen dreistelligen Millionenbetrag zu investieren, vor allem in die Veredelung von Spanplatten. Egger kommt mit dem Kauf also schneller voran.
Sie haben zuvor gesagt, dass das Spanplattenwerk die Rauch-Gruppe jahrelang in den schwarzen Zahlen gehalten hat. Im Grunde geben Sie mit dem Verkauf Marge ab.
Rainer Hribar: Wir geben auch Erträge ab, das stimmt. Aber so ein Spanplattenwerk ist sehr kapitalintensiv. Rauch hat einfach nicht die Kraft, auf Dauer auf zwei Hochzeiten zu tanzen. Als das Werk 1958 von Rauch übernommen wurde, wollte man vornehmlich Spanplatten für den eigenen Bedarf produzieren. Inzwischen mussten wir zwei Drittel des Volumens extern an Dritte verkaufen. Nur noch ein Drittel ging an die Möbelwerke. Am Markt gibt es Wettbewerber, die nichts anderes tun, als Spanplatten herzustellen und zu verkaufen. Da wird es wirklich schwierig, wettbewerbsfähig zu bleiben. Rauch war der einzige kleine Produzent. Egger hat als großer Player mit 21 Werken weltweit ganz andere Möglichkeiten, was die Einkaufsmacht und so weiter angeht. Auf Dauer – nicht kurzfristig – hätten wir keine Chance gehabt. Der Verkauf gibt uns die Möglichkeit, die Bankschulden loszuwerden. Dann bleibt noch Geld übrig für kräftige Investitionen in die Möbelwerke. Rauch will und soll sich auf die Kernkompetenz konzentrieren: die Möbel.
Wie lange werden Sie noch bei Rauch sein?
Rainer Hribar: Ich bin jetzt 66 Jahre alt und war eigentlich schon im Ruhestand. Meine Zeit hier wird natürlich endlich sein. Ursprünglich habe ich für zwei Jahre zugesagt. Ich weiß, dass das nicht genügt. Das wäre bis Juni 2024 gewesen. Die Aufgabe ist bis dahin nicht abgeschlossen, und ich werde dann nicht einfach davonlaufen. Wichtig war das erste Jahr, in dem wir sehr viel erreicht haben. Der Verkauf des Spanplattenwerks ist ein zweiter, wichtiger Schritt. Der dritte ist jetzt, die Möbelwerke so zu konsolidieren, so hinzustellen, dass es – wenn das Volumen zurückkommt – eine erfreuliche Geschäftsentwicklung nimmt.
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