Neckar-Odenwald-Kreis/Mudau.
„In dieser Form habe ich in 20 Jahren Kreistag noch keine Diskussion erlebt. Ich finde das nicht in Ordnung“, stellte SPD-Fraktionsvorsitzende Heide Lochmann fest. Da war die etwa eineinhalbstündige Debatte in der Mudauer Odenwaldhalle schon voll im Gange. Anlass dazu hatte eine Stellungnahme des Landkreises gegeben, die dieser zur Fortschreibung des „Teilregionalplans Windenergie“ beim „Verband Region Rhein-Neckar“ abgeben wird. Der Kreistag beschloss das Schreiben nach intesiver Diskussion,.
Auslöser der Auseinandersetzung waren Grünen-Fraktionssprecherin Simone Heitz und ihre Fraktion. Denn die Grünen hatten wenige Tage vor der Kreistagssitzung in einer Pressemitteilung den Freien Wählern einen „populistischen Wahlkampf“ vorgeworfen und behauptet, „dass die Dringlichkeit des Menschenrechts Klimaschutz noch nicht in den Niederungen der Kommunalpolitik“ angekommen sei.
Das veranlasste auch Landrat Dr. Achim Brötel (CDU) zu einer dreieinhalbseitigen Stellungnahme, die er während der Sitzung vortrug. „Fakten sind der Feind alles Grünen“ stellte er darin fest und sprach von „Realitätsverweigerung durch die grüne Brille“. Sein Parteikollege CDU–Kreistagsfraktionsvorsitzender Dr. Norbert Rippberger sagte: „Die Grünen beten nach, was die Parteiideologie in Berlin und Stuttgart ihnen vorgibt. Sie sind Parteisoldaten mit wenig Gewissen, sie sind verantwortungslos gegenüber unserer Bevölkerung und ihren Ängsten und Sorgen.“ Er bezeichnete seine Kollegen als „grüne Moralapostel“. Dagegen seien die von den Grünen sogenannten „Niederungen der Kommunalpolitik“ Orte der Klarheit und Wahrheit. „Ihr würdet den Ländlichen Raum ausverkaufen aus reiner Parteiideologie und Parteiendogma heraus“, warf er dem politischen Gegner vor.
Die Vorgeschichte
Der „Verband Region Rhein-Neckar“ stellt derzeit einen Regionalplan auf, der für die gesamte Metropolregion gilt. Diese erstreckt sich von Kandel in der Pfalz bis Bensheim an der Bergstraße und von Bad Dürkheim bis Hardheim. Zu diesem Plan gehört auch der „Teilregionalplan Windenergie“. In diesem werden sogenannte „Vorranggebiete für Windkraft“ festgelegt. Werden diese so beschlossen, kann man diese Flächen nur dann für andere Maßnahmen verwenden, wenn diese mit der Nutzung für Windkraft vereinbar sind. Der Regionalverband hat die Kommunen um Stellungnahme zu diesem Plan gebeten, darunter auch den Neckar-Odenwald-Kreis.
Die Kreistagsfraktion der Freien Wähler wandte sich am 23. Oktober 2023 mit einem Antrag an die Landkreisverwaltung. In diesem äußerte sie ihre Verwunderung darüber, dass für Windenergieanlagen unterschiedliche Abstände zur Wohnbebauung in verschiedenen Teilen der Metropolregion gelten: in Hessen 1000 Meter, in Rheinland-Pfalz 900 Meter und in Baden-Württemberg 700 Meter. Dieser Sachverhalt floss in die Stellungnahme des Landkreises ein.
Der Kreistagsausschuss für Wirtschaft, Umwelt und Verkehr empfahl in seiner nichtöffentlichen Sitzung am 15. April mit einer Mehrheit von neun zu drei Stimmen dem Kreistag, die von der Landkreisverwaltung erarbeitete Stellungnahme in seiner nächsten Sitzung zu beschließen. Das Schreiben an den Regionalverband war schon vor der Ausschusssitzung über das Kreistagsinfosystem für jeden einsehbar.
Die Mitglieder der Grünen-Kreistagsfraktion störten sich daran, dass die Landkreisverwaltung sich zu diesem Thema nicht mit den Fraktionsvorsitzenden des Kreistags abgestimmt habe. In ihre Rede vor dem Kreistag wies Simone Heitz auf die „globale Erderwärmung“ hin: „Wir steuern auf drei Grad mehr zu, auf eine Welt, die in großen Teilen für Menschen unbewohnbar ist. (...) Ich würde am liebsten laut schreien. (...) Die Angst vor eigenen kleinen Nachteilen ist größer als die vor der globalen Katastrophe.“
Sie verglich die Menschheit mit einem Frosch in einem Wassertopf, der langsam gekocht werde. Abstandsregelungen müssten vor solch einer Bedrohung in den Hintergrund rücken. Sie hat kein Verständnis dafür, dass man den durch die zuständigen Gremien beschlossenen Abstand zur Wohnbebauung wieder infrage stelle. Heitz schlug vor, über die Stellungnahme abschnittsweise abzustimmen, da ihre Fraktion Teilen daraus zustimmen könne. Dies lehnte das Gremium ab.
Einheitlicher Mindestabstand
Die Redner von SPD-, CDU- und Freie-Wähler-Fraktion betonten wie der Landrat, dass es wichtig sei, Windkraftanlagen möglichst im Einvernehmen mit der Bevölkerung zu errichten. Das erreiche man, wenn der Mindestabstand zur Wohnbebauung einheitlich auf 1000 Meter festgelegt werde. Die Redner sprachen sich auch für die Einführung eines vom Landrat vorgeschlagenen „Verdichtungsfaktor“ aus. Diese berücksichtige, dass zum Beispiel im dichter besiedelten Rhein-Neckar-Kreis Windkraftanlagen eher errichtet werden könnten, wenn dort der festgelegte Mindestabstand zur Wohnbebauung geringer sei.
Martin Diblik, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler, lobte die Stellungnahme des Landkreises: „Sie ist fachlich fundiert, ausgewogen, sie betrachtet die Realität aus der Sicht unseres Neckar-Odenwald-Kreises.“ Dr. Norbert Rippberger (CDU) betonte: „Wir alle unterstützen den weiteren Ausbau. Gleichzeitig erwarten wir aber die Berücksichtigung unserer legitimen Interessen im Ländlichen Raum.“
Alois Gerig sprach sich gegen einen „radikalen Ausbau der Windkraft bei uns“ aus: „Wir allein können die Welt nicht retten. Zuviel ist zuviel.“ Er wünschte sich mehr Vernunft und Augenmaß und „keine Keule aus der Metropolregion.“
Dagegen forderte Günter Schmitt-Haber (Grüne) „so viel Windkraftanlagen wie nötig und so schnell wie möglich.“ Der Abstand zur Wohnbebauung sei nur bei Lärmbelästigung relevant. „Wir brauchen mehr Windkraft“, forderte auch Amelie Pfeifer (Grüne). Durch finanzielle Beteiligung der Bürger an den Anlagen könne man eine größere Akzeptanz bei der Bevölkerung erreichen. Tobias Eckert (AfD) sagte, dass seine Fraktion die Stellungnahme des Landkreises billigen könnte, nicht aber die darin aufgeführte Begründung. So sei der Landkreis nicht für Geopolitik und für den Klimawandel zuständig. Letztlich stimmte das Gremium für die Stellungnahme Die drei Kreisräte der AfD votierten dagegen, die sieben Kreisräte der Grünen enthielten sich.
Die Stellungnahme
Hier die zentralen Punkte, die der Landkreis an dem Entwurf des „Teilregionalplans Windkraft“ kritisiert:
.Abstand zu Wohnbauflächen: Der Landkreis fordert einen einheitlichen Abstand von Windkraftanlagen zur Wohnbebauung von 1000 Meter in der gesamten Metropolregion.
Ausgleich für überproportionale Inanspruchnahme von Flächen: Es ist politisch vorgegeben, dass 1,8 Prozent der Metropolregion-Fläche für Windkraftanlagen ausgewiesen werden müssen. Da in den Ballungsräumen Platz fehlt, um Windkraftanlagen aufzustellen, müssen verhältnismäßig mehr im ländlichen Raum errichtet werden. Dafür fordert der Landkreis einen Ausgleich, entweder finanziell oder dadurch, dass das Ausweisen von Wohn- und Gewerbegebieten erleichtert wird.
Berücksichtigung bestehender Windkraftanlagen: Manche bestehende oder in Planung befindliche Windkraftanlagen im Landkreis werden in dem „Teilregionplan Windkraft“ nicht berücksichtigt. Der Landkreis fordert, dass man das ändert. mb
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