Eberstadt. Die zehn Kinder, die fröhlich und unternehmungslustig zum alten Eingang der Eberstadter Tropfsteinhöhle springen, besuchen das Naturdenkmal nicht zum Vergnügen. Jedes von ihnen leidet an einer meist chronischen Krankheit, zum Beispiel an Allergien, Neurodermitis, an einer bronchialen Erkrankung oder an Asthma. Der Aufenthalt in der Höhle soll Linderung bringen. Spaß soll die Höhlentour den Kindern aber trotzdem machen.
Dazu tägt Gabriele Weimer aus Bödigheim bei. Die Altenpflegerin im Ruhestand führt an fünf Tagen pro Woche jeweils zwei Gruppen von Kindern oder Eltern mit ihren Kindern durch die Tropfsteinhöhle. Am Anfang erinnert sie die Kinder an die „Höhlenregeln“: „Nicht rennen, nichts essen, nichts anfassen!“ Dann geht es hinein in die Eberstadter Unterwelt.
Manche der Kinder besuchen täglich die Höhle, außer am Wochenende. Damit es für die Kinder trotzdem spannend bleibt, erzählt Weimer immer wieder phantasiereiche Geschichten. Zum Beispiel jene von einem ausgerissenen Zirkuselefanten, der aus Neugierde seinen Rüssel in eine Erdspalte gesteckt hatte. Den bekam er – gleichsam als Strafe für sein unbotmäßiges Verhalten – nicht mehr heraus. Seitdem ziert ein „Elefantenrüssel“ genannter Tropfstein die Höhle. Immer wieder bindet Weimer die Kinder durch Fragen in die Höhlenführung ein. Jene, die schon öfter hier waren, erklären den anderen Fachausdrücke und Fakten zu dem Naturdenkmal.
Steigerung der Leistungsfähigkeit
„Ich bin keine Therapeutin“, betont Weimer. „Die Höhle ist die Therapie.“ Aufgrund der Armut an Allergenen und Schadstoffen in der Luft bei gleichbleibender Temperatur von zehn bis elf Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von 95 Prozent über das ganze Jahr hinweg, führe der Besuch der Höhle an sich bereits zu einer Verbesserung des Krankheitsbildes, ist auf der Internetseite des „Gesundheitszentrums an der Höhle“ zu lesen. Atemübungseinheiten bei einem therapeutischen Höhlen-Spaziergang könnten „zur moderaten Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit“ beitragen.
Atemübungen als Spiel
Eine Höhlen-Therapie-Einheit dauert für die Kinder 45 Minuten. Sie absolvieren dabei auch Atemübungen auf eine spielerische Weise. Je nach Art der Bewegungen, die Weimer vormacht, nennt sie diese „Affe“, „Schlange“ oder „Holzfäller“. Die Kinder schlagen sich zum Beispiel dabei auf die Brust, sie klatschen in die Hände oder brüllen. „Höhlentherapie macht müde“, hat Weimer an den Kindern beobachtet. Manchen Teilnehmern läuft die Nase, andere verspüren einen Hustenreiz.
Steffen Kreß, Mitglied der Geschäftsleitung des Gesundheitszentrums, vergleicht das Einatmen der reinen Höhlenluft mit einer Inhalationstherapie. „Inwiefern das aber zu einer langfristigen Wirkung führt, ist noch nicht untersucht“, sagt er. Um eine Anerkennung dieser Heilmethode, auch „Speläotherapie“ genannt, bemüht sich unter anderem der Deutsche Heilstollenverband. Dieser führt auf seiner Internetseite elf Heilstollen-Therapiezentren in Deutschland auf, nicht aber die Tropfsteinhöhle in Buchen. Nach den Worten von Sarah Wörz hat die Stadt Buchen einen Antrag auf Anerkennung der hiesigen Höhle als Heilstollen beim Regierungspräsidium eingereicht. Eine Entscheidung steht noch aus.
Wie Steffen Kreß erläutert, ist das Gesundheitszentrum auf dem Gelände der früheren Gaststätte „Höhle“ Mitte 1990-er Jahre entstanden. Im August 1996 habe man einen Erweiterungsbau in Betrieb genommen. Anfang der 2000-er Jahre folgte ein weiterer Ausbau. Bei dem Gesundheitszentrum handele es sich um eine Rehabilitationseinrichtung für Eltern mit ihren Kindern, für „erschöpfte Familien“, wie er sagt. Die Kinder seien verhaltensauffällig oder chronisch krank, die Eltern, meist Mütter, bräuchten Entlastung und Erholung. Die von den gesetzlichen Krankenkassen finanzierten Kuren dauern in der Regel drei Wochen lang.
Keine Vollauslastung möglich
Nach den Worten von Kreß arbeiten im Gesundheitszentrum derzeit 111 Angestellte. „Für eine Vollbelegung bräuchten wir 140 Mitarbeiter“, sagt er. Deshalb könne man derzeit höchsten 85 bis 90 Familien aufnehmen statt 110 Erwachsenen mit Kindern. Das sei auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie zurückzuführen, sagt Kreß. „Wir haben seit Beginn der Pandemie keine Vollauslastung mehr“, erläutert er. Drei Monate lang habe man während der vergangenen beiden Jahre das Zentrum komplett schließen müssen. Mitarbeiter hätten sich andere Arbeitsstellen gesucht. Auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht hätte ihren Teil zum Personalproblem beigetragen. Mitarbeiter aus Altenpflegeeinrichtungen oder von Intensivstationen an Krankenhäusern habe man keine dazugewonnen.
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