Odenwald-Tauber. Im Juli schloss die Bäckerei Lunkenheimer in Buchen, im Mai die Bäckerei Trabold in Osterburken und Ende März die Bäckerei Schmid in Boxberg. Im Durchschnitt schließt jeweils eine Bäckerei im Neckar-Odenwald- und Main-Tauber-Kreis, pro Jahr. Ein Grund für die Fränkischen Nachrichten, bei den Innungsobermeistern der Landkreise nachzuhaken, welche Gründe es dafür gibt. Peter Schlär, Bäcker-Innungsobermeister Neckar-Odenwald und selbstständiger Bäckermeister mit 48 Angestellten aus Mudau, und Florian Morschheuser, Fleischer- und Bäckerinnungsobermeister aus dem Main-Tauber-Kreis standen Rede und Antwort zu aktuellen Herausforderungen, aber auch zu den Vorzügen des Bäckerhandwerks.
Herr Schlär, Herr Morschheuser, die Deutschen lieben ihr Brot und ihre Brötchen. Was unterscheidet die handwerklich gefertigten Bäckereiprodukte von den industriell gefertigten?
Peter Schlär: An erster Stelle sind die heimischen Zutaten zu nennen, die wir handwerklichen Bäcker verwenden. Wir aus dem Neckar-Odenwald-Kreis beziehen unser Mehl ausschließlich von Mühlen aus der Region. So kommen Dinkel, Weizen und Roggen aus dem Bauland, also quasi von um die Ecke.
Gibt es auch Unterschiede, die der Verbraucher erkennen kann?
Schlär: Auf jeden Fall. Beim Backen kann es vorkommen, dass ein Brot aufplatzt. Das ist Natur pur und Hinweis auf die handwerkliche Herstellung. Bei uns soll zwar jedes Brot wie das andere aussehen, aber es passiert auch schon mal, dass eines mit mehr Mehl bestreut ist als das andere. Wir backen nicht nach Din-Norm, sondern mit unseren Händen.
Die Zutaten werden bestimmt auch anders verarbeitet als bei großen Industriebäckern, oder?
Schlär: Bei großen Industriebetrieben müssen die Teiglinge gefroren werden. Sonst funktioniert es nicht. Das ist bei uns nicht der Fall. Und natürlich ist auch die Verarbeitungszeit entscheidend. Ich kann ein Brötchen in 2,5 oder 16 Stunden herstellen. Mit weniger Hefe ist die Geschmacksentwicklung langsamer. Je länger es in der Kühlung bei etwa sechs Grad liegt, desto mehr entwickelt sich der Geschmack. Das Brot oder Brötchen hat dann zwar ein etwas geringeres Volumen bei gleichem Gewicht, schmeckt aber besser. Zu wissen, wie lange der Teig zur optimalen Reifung braucht, beruht auf langjähriger Erfahrung.
Das statistische Bundesamt stellt fest, dass die Preise für Brot und Brötchen mit einem Plus von 34,4 Prozent von 2019 bis 2023 überdurchschnittlich gestiegen sind. Die Verbraucherpreise insgesamt stiegen in dieser Spanne lediglich um 17,3 Prozent – also nur um die Hälfte. Wie erklären Sie sich das?
Schlär: Vor 33 Jahren hatte ich rund 23 Prozent Lohnkosten. Heute liegen die bei 50 Prozent. Und da sind Energie-, Rohstoffpreise und sonstige Kosten nicht eingerechnet. Unsere Energiekosten liegen aktuell bei 38 Cent pro Kilowattstunde. Früher waren es mal 14 Cent. Deshalb wurden die Preise angepasst, aber nicht eins zu eins an den Kunden weitergegeben. Trotz der Anpassung ist die Gewinnmarge sehr gering, denn die Personalkosten sind prozentual stärker angestiegen als der Preis von Brot oder Brötchen.
Morschheuser: Genau diese Probleme sind auch im Main-Tauber-Kreis von den Bäckern zu hören.
Stellen Sie fest, dass immer weniger Kunden zu Ihnen in die Bäckerei kommen, weil die Preise angestiegen sind?
Schlär: Nein, momentan nicht. Die Nachfrage ist so groß, dass ich sogar noch mehr backen könnte. Während der Pandemie habe ich Kunden hinzugewonnen, die noch heute bei mir einkaufen.
Und dennoch sinkt die Zahl der Bäckereien in den Bezirken der Handwerkskammern Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald und Heilbronn-Franken um einen Betrieb pro Jahr. Woran liegt das?
Schlär: Der demografische Wandel ist deutlich zu spüren. Als ich gelernt habe, waren wir in zwei Klassen rund 70 Schüler. Allein die Gemeinde Mudau hatte sieben Bäcker. Heute sind wir in Mudau noch zu zweit. Allerdings produzieren wir mehr als die Bäckereien damals. Das Problem ist, dass nur wenige eine Bäckerei übernehmen wollen, weil viele Betriebe technisch nicht aufgerüstet haben, sondern irgendwann stehen geblieben sind. Deshalb sind Investitionen wichtig. Wenn der Betrieb nicht auf Vordermann gehalten wird, explodieren die Investitionskosten irgendwann. Das schreckt dann vor der Übernahme ab.
Wie viel kostet denn zum Beispiel ein Backofen?
Schlär: Ich habe vor vier Jahren drei neue Backöfen gekauft. Die haben zusammen rund 200 000 Euro gekostet.
Immer wieder ist von Facharbeitermangel die Rede. Sicher gibt es den auch in Ihrer Branche. Wie reagieren Sie auf diesen Trend?
Schlär: Wir haben unser Sortiment angepasst und gestrafft. Es gibt nicht mehr jeden Tag alle Backwaren. Außerdem wechsele ich mich mit meinem Kollegen ab: Ich backe an einem Sonntag, die Woche drauf dann er.
Der Beruf Bäcker oder Bäckerin hat wenig mit einer guten Work-Life-Balance zu tun, weil es sich um Nachtarbeit handelt. Was macht den Beruf denn attraktiv für neue Auszubildende?
Schlär: Auf jeden Fall die Kreativität. Außerdem sieht man jeden Tag, wofür man arbeitet, denn vom Teig bis zum fertigen Produkt ist man an jedem Arbeitsschritt beteiligt. Und man kann wirklich überall arbeiten: ob hier in der Region, auf dem Schiff oder in einem anderen Land – ein Bäcker wird nie arbeitslos.
Zahlen und Fakten zu Bäckerhandwerk
Im Neckar-Odenwald-Kreis ist die Zahl der Bäckerbetriebe seit Jahren rückläufig. Waren es im Jahr 2000 noch 50 Bäckereien, so sind es 2023 nur noch 27 gewesen.
Der Höchststand mit fünf Betriebsaufgaben von Bäckern im Landkreis verzeichnete die Handwerkskammer 2015.
Auch die Zahl der abgeschlossenen Bäckerverträge geht zurück. 2014 wurden insgesamt 38 neue Verträge abgeschlossen. Im vergangenen Jahr waren es noch 20.
Das Statistische Bundesamt gibt an, dass bundesweit immer weniger eine Ausbildung zum Bäcker oder zur Bäckerin anstreben.
2022 schlossen rund 1640 Personen in Deutschland einen neuen Ausbildungsvertrag ab. Damit hat sich die Zahl der Neuverträge in zehn Jahren halbiert.
Zum Vergleich: Der Rückgang bei Neuverträgen aller Ausbildungsberufe fiel laut Statistischem Landesamt in derselben Dekade mit einem Minus von 18,9 Prozent deutlich geringer aus.
Was halten Sie von Schichtmodellen im Bäckerhandwerk oder von einem späteren Verkaufsbeginn, wie das vereinzelt schon praktiziert wird?
Schlär: Das funktioniert auf dem Land nicht, denn die Kunden wollen in der Früh ihre Backwaren haben. Wenn wir um fünf Uhr den Laden öffnen, sollen frisches Brot und frische Brötchen für die Pendler bereitliegen, die in die Ballungsräume fahren. Deshalb brauchen wir die Vorlaufzeit. Alternativ müssten wir auf Teiglinge zurückgreifen, und das wollen wir nicht.
Morschheuser: Die Kunden sind ein gewisses System gewohnt. Da kann man nicht alles von jetzt auf gleich umstellen.
Schlär: In der Stadt kann ein System funktionieren, bei dem Brot und Brötchen später fertig sind. Denn da gibt es mehr Laufkundschaft. Aber hier auf dem Land verlassen sich die Kunden darauf, dass die Waren um fünf Uhr fertig sind.
Was ist an alternativen Arbeitszeitmodellen dennoch vorstellbar?
Schlär: Wir haben unsere Arbeitsabläufe umgestellt. Statt um 23 Uhr fangen die Ersten jetzt um ein Uhr an. Weitere Mitarbeiter kommen um drei Uhr dazu, die Konditorinnen beginnen um sechs Uhr. Feste Arbeitszeiten sind angenehmer, als ständig in Wechselschicht zu arbeiten, wie es in der Industrie üblich ist.
Hat bei Ihnen schonmal ein Lehrling aufgehört, weil ihm der Arbeitsbeginn zu früh war?
Schlär: Ja, zwei haben aufgehört. Einer ist aber zurückgekommen, weil ihm die Arbeit im Industriebetrieb zu eintönig war und er den ganzen Tag das gleiche machen musste. Bei uns sind die Abläufe immer unterschiedlich.
Inwiefern bremst Sie die Bürokratie aus?
Morschheuser: Es werden viele Regelungen erlassen, bei denen sich Selbstständige denken: Warum habe ich mir das angetan? Da muss man sich mit Briefen von der Behörde herumschlagen, dann kommt etwas vom Steuerberater und Dinge rund um die Ausbildung müssen auch geklärt werden. Das schreckt viele ab.
Schlär: Man sitzt oft länger am Schreibtisch als man in der Backstube arbeitet. Wir müssen uns um Themen wie Belegausgabepflicht oder Allergeninformation kümmern.
Spüren Sie Konkurrenz durch Discounter und Backshops?
Morschheuser: Als Konkurrenz würde ich das nicht bezeichnen. Wer bei einem Handwerksbetrieb einkaufen möchte, der geht gezielt dorthin, weil er die Arbeit zu schätzen weiß. Das Problem ist vielmehr, dass die regionalen Bäcker mit den Discounterwaren verglichen werden. Wenn das Brötchen im Supermarkt 19 Cent kostet, beim Bäcker um die Ecke aber deutlich mehr, dann stellen sich viele Kunden die Frage: Ist es mir das wert?
Schlär: Es gibt Dinge, die kann ein Discounter einfach nicht bieten: zum Beispiel den persönlichen Kontakt. Der findet in kleinen Bäckereien noch statt – und das ist die halbe Miete. Außerdem können wir von heute auf morgen individuell auf Kundenwünsche eingehen. Und natürlich beliefern wir auch Vereinsfeste und backen dann extra mehr Brötchen. Das geht beim Discounter nicht so einfach.
Wird es in Zukunft noch weniger Bäckereien geben?
Schlär: Das ist der Trend. Dafür machen die verbliebenen Bäckereien womöglich weitere Filialen auf, weil eine andere zugemacht hat.
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