Bobstadt/Mosbach. Als wäre ein Korken aus der Flasche: Nach der mit Spannung erwarteten Aussage von Ingo K. äußern sich gleich drei der Angeklagten selbst – teilweise sehr emotional. Den Anfang macht der 52-jährige Familienvater. Er erklärt die beiden Kammern, die als zweite Waffenkammer sowie als Cannabisplantage genutzt wurden, als „mäusefreie Lagerräume“. Diese habe er beim Ertüchtigen des Gebäudes eingerichtet und sei daraufhin von Ingo K. danach gefragt worden.
K. wollte demnach dort Dinge seiner verstorbenen Mutter einlagern, was der 52-Jährige genehmigte. Man habe dann allerdings nicht geprüft, was Ingo K. dort einlagerte. „Ich habe ihn in meine Familie aufgenommen und ihm vertraut“, erklärt der Familienvater das vor Gericht. Was der verurteilte Reichsbürger vor Gericht ausgesagt habe, sei „eine Lüge“.
Ein weiterer Angeklagter, der ältere Sohn, macht Angaben zu seinen Runen-Tattoos und den Vorwürfen, wonach er der rechtsextremen Szene angehöre. „Die gefundenen Bilder sind mehrere Jahre alt und die Runen auf meiner Brust habe ich, weil ich ein Faible für Wikinger habe“, führt der junge Mann aus. Mit der gesamten Szene will er nach eigenen Angaben „nichts mehr zu tun haben“. Früher sei er dort unterwegs gewesen, weil er keine anderen Freunde gefunden habe. Der Weg nach rechts? Ein „Reinrutschen“, wie er es beschreibt.
Sturmgewehr von Ingo K. umgehängt bekommen?
Alle Angeklagten bestreiten weiterhin, etwas mit den aufgefundenen Waffen zu tun zu haben. Sämtliche der Schusswaffen gehörten Ingo K. „Der hatte überall Waffen und an dem Tag (= gemeint ist der 20. April 2022, als es zu der Polizeiaktion mit dem Schusswechsel kam; Anm. d. Red.) war er völlig gestört, so habe ich ihn noch nie erlebt“, beschreibt der ältere Sohn der Familie den verhängnisvollen Aprilmorgen vor drei Jahren aus seiner Sicht.
Das Sturmgewehr, das man dem mittlerweile 27-Jährigen zurechnet, soll Ingo K. ihm um den Hals gehängt haben. Auch die Schussweste habe dieser ihm gegeben. So erklärt er sich die gefundenen Spuren, die letztlich unter anderem zum Vorwurf des illegalen Besitzes einer Kriegswaffe führten. Der Angeklagte will die Waffe jedoch gleich wieder abgelegt haben.
Die mitangeklagte Mutter, Ehefrau des 52-Jährigen, betrauert mit Tränen in den Augen den Verlust ihrer Tiere, die ihnen entweder weggenommen wurden oder beim Brand des Anwesens ums Leben kamen. Als die Frau die Schuldigen dafür bei der Polizei sucht („Die Polizei hat mein Haus angezündet“), ist beim Ersten Staatsanwalt Fabian Schür das Ende der Geduld erreicht. „Die Ursache für all das waren Schüsse aus Ihrem Haus in Richtung der Polizisten, nichts anderes“, ruft er lautstark aus.
Staatsanwalt sieht Vorwürfe bestätigt, Verteidiger zweifeln
Aufschlussreich die Frage von Richterin Scheuble in Richtung des Familienvaters zu dessen Reichsbürgerideologien. Ob er diese mittlerweile abgelegt habe, wollte sie nach Verlesung eines einschlägig formulierten Briefes wissen. Die Antwort des Mannes eher ausweichend: „Ich lege dieses Wissen über gültiges Recht ab, weil Sie mir in dieser Auffassung sowieso nicht folgen. Es führt zu nichts“.
Mit dem Ende der Beweisaufnahme dann die Plädoyers. „Fünf intensive Tage“, in denen ein großer Umfang an Ermittlungsunterlagen „in mehreren dutzend Leitz-Ordnern“, besprochen werden musste, bringen für Staatsanwalt Schür ein klares Ergebnis. „Die Anklageschrift bestätigt sich vollumfänglich“, so sein Fazit. Die Zuordnung der Waffen zu den jeweiligen Angeklagten sei korrekt, die zentrale Theorie der Verteidigung, wonach alle Waffen Ingo K. zuzurechnen seien, sieht er dagegen widerlegt.
Besondere Bedeutung misst die Anklage der „beachtlichen, völlig offenen“ Aussage von Ingo K. im Prozess zu. „Die Angaben waren wahrheitsgemäß, er hätte von einer Lüge keinen Vorteil gehabt“, ist Schür sicher. Dass er die Waffen über das gesamte Grundstück verteilt hatte, sei völlig abwegig, wo er doch direkt in seinen Wohnräumen eine Waffenkammer eingerichtet hatte. Schür und auch seine Kollegin Martina Hennhöfer bezeichneten die Angeklagten wahlweise als „Staatsleugner“, die das Gericht nicht anerkennen würden oder als Rechtsextremisten. Deren Erklärungen empfinden sie als „nicht glaubhaft“.
Die Forderungen der Anklage: Ein Jahr und zehn Monate Haft ohne Bewährung für den Familienvater. Für den älteren Sohn zwei Jahre und vier Monate Haft, für den jüngeren Sohn ein Jahr und sechs Monate ebenso wie für dessen Frau. Für die Ehefrau des Familienvaters hält die Anklage hingegen eine Strafaussetzung der neunmonatigen Freiheitsstrafe zur Bewährung für angemessen, da sie sich „eher von der Familie treiben lässt“, keine Anzeichen für ein rechtsextremes Weltbild erkennbar seien und als Einzige Anzeichen von Reue für das Geschehene zeige.
Die fünf Verteidiger meldeten in ihren Plädoyers massive Zweifel an der Aussage Ingo K.s an. „Ingo K. ist schlicht und ergreifend durchgedreht und hat mit allem, was er hatte, auf Polizisten geschossen. Ohne ihre Schutzausrüstung wären an dem Tag mehrere Beamte verstorben. So viel zu dem glaubwürdigen Zeugen Ingo K.“, führt Anwalt Werner Meisenbach aus. Alle Waffen seien Ingo K. zuzuordnen. „Mein Mandant hatte nie Waffen, wozu auch? Zum Schafe züchten? Er hatte nie einen Bezug zu Waffen“, so Meisenbach weiter.
Gericht hat zu große Zweifel an der Zuordnung
Holger Reichert, der einen der Söhne vertritt, bezeichnete die Waffen als „Uraltzeug“ und sah mit Blick auf die Kriegswaffe keine eindeutige Zuordnung. „Die Spuren sind gerade so an der Nachweisbarkeitsgrenze“, beruft er sich auf ein entsprechendes Gutachten. Bei einem tatsächlichen Besitz hätten diese Spuren anders ausgesehen.
Die einzigen Vorwürfe, die eingeräumt werden, betreffen die Cannabisplantage. Hier fordern Philipp Gehrig und Sven-André Pfisterer niedrige Freiheitsstrafen von sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden sollen. Alle Angeklagten bestreiten sämtliche Vorwürfe bezüglich der gefundenen Schusswaffen, hier fordern sie Freisprüche. Insbesondere der Umstand, dass die Munition in der zweiten Waffenkammer nicht zu den dort gefundenen Waffen passt, sehen sie als Indiz für die Verantwortung von Ingo K.
Nach rund zwei Stunden Beratung verkündet Dr. Barbara Scheuble das Urteil. Dann die Überraschung: Keiner der Angeklagten muss in Haft! Eine Frau wird komplett freigesprochen, die anderen vier Familienmitglieder erhalten Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr, die aber allesamt zur Bewährung ausgesetzt werden. Zu große Zweifel hatte die Kammer laut Scheuble an der „tatsächlichen Gewaltausübung“, einfacher gesagt: der faktischen Kontrolle, über die meisten der gefundenen Waffen. Insbesondere auch bei der Kriegswaffe, dem schwerwiegendsten Vorwurf. Von diesem wird der Angeklagte, dem die Waffe zugeordnet wurde, freigesprochen.
Bezüglich der zweiten Waffenkammer mit mehreren Schusswaffen und tausenden Schuss Munition bleiben die Besitzverhältnisse offen. Die Zuordnung zu zwei Angeklagten zweifelt das Gericht an, sie werden lediglich wegen der Cannabisplantage verurteilt. „Es fehlten einfach jegliche Zuordnungskriterien. Nur in der Wohnung zu leben, reicht nicht aus“, begründet die Vorsitzende die vielen (Teil-)Freisprüche. Oft beruft sie sich auf Argumente aus den Verteidigerplädoyers, diese scheinen die Kammer weitgehend überzeugt zu haben.
Die Strafaussetzungen zur Bewährung hält die Richterin für angemessen, da die vier Verurteilten jeweils bereits Jobs in Aussichten hätten oder bereits arbeiteten. „Sie wollen wieder arbeiten gehen und ins bürgerliche Leben zurückfinden. Die U-Haft hat sie sichtlich beeindruckt und verändert“, führt sie abschließend aus. Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist: Im Saal sind die Familienmitglieder und Angehörigen sichtlich erleichtert und glücklich, die fünf Bobstadter verlassen das Landgericht Mosbach nach rund einem Monat Untersuchungshaft wieder ohne Fesseln.
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