Interview mit dem Bad Mergentheimer Rathaus-Chef

OB Glatthaar: „Es passiert irre viel, überall stehen Baukräne“

OB Glatthaar äußert sich im FN-Interview zum Minus im Haushalt, Sparmaßnahmen, „dem Schlechtreden der Stadt durch Wenige“ und einer möglichen dritten Amtszeit.

Von 
Sascha Bickel
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Blick auf die Kurstadt Bad Mergentheim, die noch vor einigen Herausforderungen steht. © Stadt Bad Mergentheim/FN-Archiv

Bad Mergentheim. Oberbürgermeister Udo Glatthaar äußerte sich im großen FN-Interview zum millionenschweren Minus im städtischen Haushalt, zu eingeleiteten Sparmaßnahmen, „zum Schlechtreden der Stadt durch einige Wenige“, wie er meinte, und einer möglichen dritten Amtszeit.

Der städtische Haushalt und die finanzielle Situation der Stadt sollen zuerst unser Thema sein. Zu Jahresbeginn war noch von neun Millionen Euro Minus die Rede. Jetzt ließ der Kämmerer kürzlich im Gemeinderat durchblicken, dass das Loch zum Jahresende nicht ganz so krass ausfällt. Wo stehen wir?

Oberbürgermeister Udo Glatthaar: Die finanzielle Situation ist 2025 und 2026 herausfordernd, trotzdem bleibe ich hier ruhig. In den letzten zwölf Jahren hat sich das Haushaltsvolumen fast verdoppelt, von 45 auf knapp 90 Millionen. Wir hatten damals, als ich kam, keine Rücklagen, jetzt stehen wir bei 35 Millionen. Die Investitionen haben sich von jährlich vier bis sechs Millionen auf nun 16 Millionen beinahe verdreifacht. Die letzten acht Haushaltsjahre haben wir im Plus abgeschlossen. Da weise ich alle Vorwürfe klar zurück, die sagen, wir würden nicht aufs Geld schauen. Die Pro-Kopf-Verschuldung im Kernhaushalt ist zwischenzeitlich unter 1000 Euro gesunken. Wir gehen also nicht aus einer prekären Situation heraus in diese schwierige Phase.

Wir haben den Schuldenberg abgebaut und Vermögen aufgebaut. Klar ist aber auch: Nur weil ich eine Schule neu baue oder eine Straße saniere, habe ich noch keine neuen Einnahmen. Wir setzen aber auf eine gute Infrastruktur. Die Rekord-Investitionen führen dann zum Anstieg bei Abschreibungen, welche wir nach dem neuen Haushaltsrecht erwirtschaften müssen

Ohne die Corona-Pandemie und die Folgen des Krieges gegen die Ukraine oder die derzeitige gesamtwirtschaftliche Lage würden wir natürlich besser dastehen. Von der strukturellen Unterfinanzierung der Kommunen in Deutschland ganz zu schweigen. Ich erwarte von allen Kritikern, dass sie diese Fakten zur Kenntnis nehmen. Das Regierungspräsidium hat unseren Haushalt 2025 genehmigt und dabei lediglich die Verpflichtungsermächtigungen von 15 auf elf Millionen reduziert. Bei Verpflichtungsermächtigungen handelt es sich um die Ausgabeermächtigungen für Investitionen für größere Projekte, die von der Stadt bereits auf den Weg gebracht werden, aber erst in späteren Haushaltsjahren zur Abrechnung kommen. Dann gibt es noch die Kredit-Ermächtigungen. Hier haben wir einige aus den Vorjahren, die wir bislang nicht gebraucht haben.

Um es nochmal klar zu sagen: Wir müssen aus der aktuellen, schlechter gewordenen Gesamtlage das Beste machen. Das kann heißen, Projekte zu verschieben, Prioritäten neu zu bewerten, wo geeignet auch eine Maßnahme abspecken oder ganz darauf verzichten. Aber wir brauchen doch nicht den Kopf in den Sand zu stecken.

Seit zwei Jahren baut die Stadt wieder Schulden auf.

Glatthaar: Ja, so ist es, dass seit zwei Jahren wieder nach dem Schuldenabbau neue Schulden dazukamen, aber weit weg von jeder Katastrophe und vergangenen Zeiten. Deshalb ärgert mich auch, dass das Regierungspräsidium in seinen Haushaltserlass hineingeschrieben hat, die Stadt wäre in einer „finanziellen Abwärtsspirale“, weil dies der Populismus sofort aufgreift und die Stadt damit schlechtredet. Bei uns sind die Einnahmen gestiegen und die Steuerkraft, aber der Aufholbedarf in der Infrastruktur ist groß. Der Investitionsrückstand aus Jahrzehnten muss in ganz Deutschland aufgearbeitet werden – auch bei uns.

Mit dem geplanten Fachraumzentrum zwischen Deutschorden-Gymnasium und Kopernikus-Realschule setzen wir ein weiteres Signal, nachdem wir schon viel Geld in den vergangenen Jahren in Schulen und Kindergärten gesteckt haben. Wir konnten Hausaufgaben erledigen, andere Kommunen können das gerade nicht. Bad Mergentheim ist in keiner Abwärtsspirale, wir müssen nur den richtigen Weg finden, uns nicht zu überheben. Gründe für Mutlosigkeit und Zögerlichkeit gibt es keine.

Wir brauchen unsere Neubaugebiete, denn eine wachsende Einwohnerzahl bringt uns eine Finanzkraftstärkung. Wir wollen Gewerbe und die schon anvisierten Hotels ansiedeln. Dabei gilt: Wenn es mit dem einen nicht klappt, kommt ein anderer. Die wirtschaftliche Grundlage ist da, die natürlichen Wachstumschancen für Bad Mergentheim sind da.

Wir sind bei knapp 25.000 Einwohnern angekommen. Wir haben Anziehungskraft.

Sie rechnen mit noch mehr neuen Einwohnern?

Glatthaar: Wenn wir die großen Maßnahmen rund um die Landesgartenschau hinbekommen, fördert das den weiteren Zuzug. Unsere Attraktivität wächst mit jeder fertigen Baustelle.

Welche Sparmaßnahmen hat die Stadt selbst zuletzt eingeleitet, um Ausgaben zu reduzieren?

Glatthaar: Wir haben reagiert und versuchen im Moment mit internen Restriktionen die Ausgaben im Ergebnishaushalt, wo immer es geht, nochmal um 20 Prozent zu drücken – das ist schmerzhaft und schwierig, da es bereits ein „Sparhaushalt“ war und wir bei vielen Positionen aufgrund vertraglicher Verpflichtungen nicht kürzen können. Das Ziel ist trotzdem, einen siebenstelligen Betrag nochmal einzusparen. Der Haushalt wird aufgrund seiner späteren Verabschiedung auch später erst bewirtschaftet.

Genaues dazu erfährt die Öffentlichkeit in wenigen Tagen, wenn wir im Gemeinderat den Finanzzwischenbericht geben. Wir haben voraussichtlich Ausfälle bei der Gewerbesteuer, die zusätzlich belasten; etwas günstiger entwickeln sich aktuell die Einnahmen aus der Einkommenssteuer und die Personalkosten, die aufgrund von unbesetzten Stellen wohl unter dem Planansatz bleiben.

Grundsätzlich gilt: Wir investieren in keine Luxus-Dinge. Wir beschränken uns auf das Machbare. Das zeigt doch die Sporthalle am Deutschorden-Gymnasium, in Form einer Art Industriehalle. Die Halle hat ihre Nachteile, das merken Lehrkräfte, Schüler, Vereine und wir als Stadt auch. Vielleicht wäre ein Architektenwettbewerb doch besser gewesen. Vielleicht sind wir aus dieser Negativ-Erfahrung klug geworden. Die Wettbewerbe für die neue Grundschule und das Fachraumzentrum waren gut. Auch bei der Feuerwehr haben wir dazugelernt, siehe Wachbach und Stuppach.

Die Stadt hat mehr Aufgaben übernommen, deshalb hatten wir einen Personalzuwachs in der Stadtverwaltung. Wir haben zum Beispiel einen kompletten Kindergarten in Neunkirchen von der evangelischen Kirche übernommen.

Wir sind trotzdem gehalten, neue Einnahmen zu schaffen. Die Verwaltung und ich wollten das fünfte Windrad auf der Höhe bei Neunkirchen und die jährlichen Pachteinnahmen durch die Nutzung des städtischen Grundstücks. Die Ratsmehrheit sah es anders. Die FN haben berichtet. Dann muss man wissen, dass wir derzeit auf Parkgebühren verzichten, die Kindergartenbeiträge und Freibad-Eintrittspreise nicht so stark angehoben und auch sonst nicht groß an der Steuerschraube gedreht haben. Das hat unser Defizit im Haushalt nicht verkleinert. Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass Erhöhungen hier und da noch kommen müssen.

Blicken wir in Ihre politische Zukunft: Zwei Jahre sind in Ihrer laufenden zweiten Amtsperiode noch übrig, 2027 gibt es die nächste Oberbürgermeisterwahl. Streben Sie eine dritte Amtszeit in Bad Mergentheim an?

Glatthaar (lächelt): Natürlich macht man sich immer Gedanken, wie es beruflich mit einem weitergeht. Ich möchte zuvorderst, dass die nächsten zwei Jahre bis Ende Mai 2027 so aktiv ausgefüllt sind, wie bislang auch. Ich möchte noch viele Projekte anstoßen und die großen Würfe für die Landesgartenschau in die Spur bringen. Im Sommer 2026 werde ich mich entscheiden und öffentlich bekanntgeben, ob ich um das Mandat zum Weitermachen bitte und erneut zur Wahl antrete.

Nehmen Sie auch wahr, dass Sie nach 14 Jahren an der Rathaus-Spitze öffentlich inzwischen mehr angegriffen werden, auch aus den Reihen der CDU, ihrer eigenen Partei, und Sie mehr Kritik einstecken müssen als noch vor einigen Jahren? Der Ton wird rauer.

Glatthaar: Ja, ich nehme das auch wahr, wobei meine Zusammenarbeit mit der CDU-Fraktion sehr gut ist, ich mich auch zu den anderen Fraktionen in einem – wie ich meine – guten und konstruktiven Verhältnis sehe und es im Gemeinderat regelmäßig schrille Töne eher von wenigen Einzelpersonen anderer Fraktionen gibt. Ich bitte aber auch darum, dies in der gesamtgesellschaftlichen Situation zu sehen, dass leider überall mehr kritisiert, gejammert, herumgenörgelt und polemisiert wird. Viele Amtskollegen erfahren dies, landauf landab. Wir müssen leider eine zunehmende Verrohung in der Gesellschaft feststellen. Es gibt einen Verfall von früher traditionellen Wertestrukturen und höflichen Umgangsformen. Wir (Ober-)Bürgermeister bekommen Drohungen, anonyme Anrufe, böse E-Mails und anonyme Briefe in den privaten Briefkasten…

Sie auch?

Glatthaar: Natürlich. Das habe ich alles schon erlebt. Seit Corona. Da geht es oft um Widerwärtiges. Morddrohungen habe ich bislang keine bekommen, aber so Schreiben wie: „Glatzkopf Glatthaar, wir wissen, wo du wohnst, wir kriegen dich“, schon. Das ist leider normal. Dann wird der Briefkasten zerkratzt.

Als wir schon am Anfang meiner ersten Amtszeit die Hundesteuer erhöht haben, hatte ich eine Zeit lang Hundehäufchen auf der Zugangstreppe zu meinem damaligen Wohnort (schüttelt den Kopf).

OB Udo Glatthaar sprach im FN-Interview auch über seine persönliche Zukunft. © Carsten Müller

Trotz allem haben Sie den Spaß und die Freude an ihrem Job noch nicht verloren, oder?

Glatthaar: Nein, weil ich nach wie vor viel Zuspruch erfahre und ja auch im Gemeinderat sehe, dass die allermeisten Entscheidungen in dem insgesamt 38-köpfigen Gremium einstimmig oder mit nur zwei/drei bis wenigen Gegenstimmen gefasst werden. Auch deshalb appelliere ich an alle, die schrillen Töne zu lassen, weil wir uns damit als Ganzes nur selbst schaden.

Ich mache meinen Job als Oberbürgermeister immer noch mit großer Freude, ich sehe viele Erfolge und die großen Chancen, die wir noch vor uns haben. Viele wollen wie ich die Stadt mit einem positiven Ansatz voranbringen. Und das ist gut so.

Allein in den vergangenen zwölf Monaten haben wir die neue Grundschule Nord eingeweiht, das neue Feuerwehrhaus in Wachbach in Betrieb genommen, die Fassadensanierung am Rathaus Hachtel erledigt, die sanierte Nonnengasse und den neuen Gänsmarkt eröffnet. Das waren fünf große Projekte und dazu gab es unzählige laufende Themen. Es passiert irre viel, überall stehen Baukräne. Oder schauen Sie sich das laufende Mammutprojekt der Wandelhallen-Sanierung im Kurpark an. So etwas ist doch keine Selbstverständlichkeit. Trotzdem gibt es ständig Kritik von Einzelnen.

Das wurmt Sie sichtlich?

Glatthaar: Die Stadt macht so viel parallel. Wir arbeiten auf Hochtouren. Da ärgert mich das Schlechtreden als Selbstzweck. Es verleitet einen dazu, nicht mehr richtig hinzuhören – aber das will ich nicht! Ich will wissen, was die Menschen bewegt. So habe ich mich auch beim Stadtfest wieder zu den Leuten gesetzt und ihnen zugehört.

Wir haben die Stadt gemeinsam vorangebracht, das soll weitergehen. Es braucht den demokratischen Meinungsbildungsprozess, auch wenn er anstrengend ist. Nur bitte kein halbwahres Geraune, ehrabschneidende Unterstellungen oder persönliche Herabwürdigung.

Was wollen Sie in den nächsten zwei Jahren noch angehen?

Glatthaar: Wir wollen noch viel bewegen, das ist bei den Themen und Projekten, die wir in diesem Interview besprochen haben, deutlich geworden (die FN berichteten bereits vergangene Woche). Ein Anliegen ist mir darüber hinaus die Modernisierung der Verwaltung, das Gewinnen und Halten von Fachkräften. Wir haben ein starkes Team. Als OB wünsche ich mir mehr Beinfreiheit. Größtes Problem ist, dass die Kommunen viele Aufgaben vom Bund und Land übertragen bekommen, eine adäquate Finanzierung aber oft fehlt. Dabei müsste stets gelten: Wer bestellt, bezahlt auch.

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Redaktion Stellvertretender Reporter-Chef; hauptsächlich zuständig für die Große Kreisstadt Bad Mergentheim

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