Igersheim. Gertrud und Peter Brettinger leben seit 2016 in Igersheim. Seit dem Wegzug vom vorherigen Wohnort Seckenheim bei Mannheim und dem Einzug in ihre neue Igersheimer Wohnung in der alten Heimat von Gertrud Brettinger legten sie allerdings ein paar Umwege ein. Geplant war das alles so nicht.
Peter Brettinger erzählt: „Wenn man so zurückblickt, war das schon eine Ansammlung von glücklichen Zufällen, dass wir 20 Jahre unterwegs waren und uns mit unserem Schiff die Welt angeguckt haben.“ Zunächst einmal führten die beiden ein Leben wie die meisten Menschen auch. Peter war angestellter Fahrschullehrer und alles lief ihn geordneten Bahnen, als ihn eines Tages sein Chef zum Segeln auf einem Katamaran mitnahm. Schon war es um ihn geschehen. Er hatte, nach seiner Frau, die zweite große Liebe seines Lebens gefunden. Diese war zunächst nicht wirklich begeistert.
Gertrud Brettinger: „Ich hatte mit dem Segeln nichts am Hut und konnte noch einige Zeit lang verhindern, dass mein Mann sich ein Boot zulegte.“ Irgendwann war es dann aber soweit und eine kleine Jolle wurde gekauft. Ein schnittiges und rasantes Boot mit einem kleinen Haken: Es war sehr leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Gertrud machte diese Erfahrung sehr schnell, ein ums andere Mal landete sie im Wasser, was sehr viel weniger unangenehm gewesen wäre, wenn sie ihre ersten Geh- und Stehversuche nicht im Oktober/November unternommen hätten.
Doch diese Hürde wurde gemeistert und fortan nutzten sie jede Gelegenheit um von März bis in den Spätherbst zu segeln. Natürlich war die Jolle irgendwann für ihre Ambitionen zu klein, erst wurde dann ein 7,5 Meter langes Boot mit Kajüte gekauft, bevor man sich einige Jahre später letztendlich ein 13 Meter langes Boot mit Motor zulegte, das dann bis 2016 ihr Zuhause war.
Peter hatte mittlerweile eine eigene Fahrschule und die ganze Familie wohnte in ihrem Mehrfamilienhaus. Als ein neuer Konkurrent versuchte mit Dumpingpreisen die ortsansässigen Anbieter unter Druck zu setzen, entschied sich Peter gegen den ruinösen Wettbewerb und kurzerhand wurde die Fahrschule samt Haus verkauft, das große Schiff gekauft und der Liegeplatz in Lignano bei Venedig festgezurrt. Es dauerte noch ein wenig, dann lebten beide auf der „Dogeta“. Dort gab es alles, was man so zum Leben braucht. Zwei Toiletten, Duschen, 700 Liter Wassertank, 480 Liter Diesel konnten gebunkert werden, von Solarzellen bis Kühlschrank blieb kein Wunsch offen. Bestens ausgerüstet begannen die beiden dann ihre lange Reise.
Von Jugoslawien über die Griechischen Inseln, von der Krim bis nach Marokko, unzählige Seemeilen haben sie hinter sich gebracht, viele schöne Begegnungen mit Menschen gehabt und oft meinte es das Schicksal gut mit ihnen. Peter Brettinger: „Ich muss ehrlich sagen, dass wir oft Glück hatten. Wir konnten immer zur richtigen Zeit ein genau für uns passendes Boot kaufen, wir wurden oft unfreiwilllig in die richtige Richtung geschubst und mit weniger Fortune hätte es nicht selten auch schiefgehen können.“
So auch bei der Besichtigung des Stromboli. Kaum waren sie wieder unten, erfolgte eine heftige Eruption. Oder auf Teneriffa, ein typisches Beispiel für das Leben der beiden. Als der Hafenmeister ihnen aus Platzmangel einen Liegeplatz an der Außenseite des Hafens zuwies, waren sie zunächst enttäuscht. Als der Wind allerdings nachts einen Steg abriss, der den Hafen komplett blockierte, waren sie die Einzigen, die weiter segeln konnten. Glück auch, dass sie bei einem aufziehenden Hurrikan einen Platz im Hafen von Gomera fanden. Dort entdeckten sie mehrere Ruderboote aus Deutschland, Frankreich, Belgien und England, die sich einmal im Jahr trafen um gemeinsam den Atlantik zu überqueren.
Unvergesslich
Ein unvergessliches Erlebnis war für die beiden die Schwarzmeerrallye 1999. Schon die reinen Eckdaten imponieren. 2200 Seemeilen sollten in 58 Tagen bewältigt und 32 Stationen besucht werden. Türkei, Rumänien, Bulgarien, Russland, Georgien und zurück in die Türkei, so hieß die grobe Route. Unglaublich schöne Momente wechselten sich mit weniger schönen Erlebnissen ab. Peter Brettinger: „Diese Reise werden wir nie vergessen. Jeden Tag gab es Neues zu erleben, auf jeder Station machten wir Ausflüge ins Landesinnere, überall wurden wir von den örtlichen Segelclubs willkommen geheißen und freundlich bewirtet.“
Leider endete die Reise früher als gedacht. Nachdem ein Motoschaden das Schiff lahmlegte, war Istanbul die nächste Möglichkeit einen neuen Motor zu bekommen. Als sie dort hingesegelt waren und sich schlafen legten, wurden sie nachts durch einen großen Rumms geweckt. Ein großes Erdbeben, das zehntausende Menschenleben kostete und große Verwüstungen anrichtete, hatte die Türkei erschüttert. Gertrud Brettinger: „Man kann sich nicht vorstellen, welches Elend herrschte. Nachdem der Transport von Lebensmitteln, Wasser etc. über die Bosporusbrücken nicht mehr funktionierte, baten die Behörden die Bootseigentümer um Hilfe und ab diesem Zeitpunkt brachten die Lastwagen die Waren an den Hafen, die dann auf die andere Seite gebracht wurden. Es herrschte eine große Welle der Hilfsbereitschaft!“
Noch bis 2016 waren die Brettingers mit ihrem Boot unterwegs und erst dann fiel die Entscheidung in die alten Heimat von Gertrud Brettinger – genauer gesagt nach Igersheim – zu ziehen. Auf die Frage, wie man so lange auf engstem Raum zusammenleben kann, lächelt Gertrud Brettinger: „Wir haben uns immer an das Prinzip der Gewaltenteilung gehalten. Peter war früher für die Fahrschule zuständig, ich für den Rest. Und auf dem Boot ging es dann genau so weiter. Jeder hatte seine Aufgaben und seinen Bereich, nur so ging es.“ Langweilig wurde es den beiden nie auf dem Boot und auch jetzt sind sie ständig unterwegs, pro Jahr kommen inzwischen locker 5000 Kilometer auf dem Fahrrad zusammen.
Und das Schönste ist wahrscheinlich, dass sie ihr altes Leben kein bisschen vermissen. Peter Brettinger: „Wir sind froh und dankbar, dass wir eine so tolle Zeit hatten. Wir waren eigentlich keine Weltenbummler, haben nie von so einem Leben geträumt, aber haben es am Ende doch in vollen Zügen genossen.“
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