Interview mit Oberbürgermeister Glatthaar - Gegen „brutale Sparmaßnahmen“ in der Energiekrise, aber dafür, „schwere Waffen zu liefern“. „Brauchen wohl für Flüchtlinge keine Hallen“. Anlaufstellen im Notfall

Bad Mergentheim: „Wir treffen Vorbereitungen, um auch für schlimmste Fälle im Winter gerüstet zu sein“

Über Energiesparmaßnahmen, mögliche Blackouts, mehr Flüchtlinge, Hilfspakete und den sozialen Zusammenhalt in Bad Mergentheim sprachen die FN mit Oberbürgermeister Udo Glatthaar.

Von 
Sascha Bickel
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Oberbürgermeister Udo Glatthaar stand Rede und Antwort zu den Themen Energiekrise und Sparmaßnahmen, Flüchtlingen, Corona-Hilfsgeldern und mehr. © Sascha Bickel

Bad Mergentheim. Was sagt Udo Glatthaar als Oberbürgermeister von Bad Mergentheim zur Energiekrise, zu Wärmestuben, städtischen Hilfs- und Sparmaßnahmen, aber auch zu den steigenden Flüchtlingszahlen und zum sozialen Zusammenhalt in der Kurstadt? Dazu befragte ihn die Redaktion.

Herr Oberbürgermeister, was treibt Sie persönlich in diesen aktuell schwierigen Zeiten von Ukrainekrieg, hoher Inflation und Energiekrise besonders um?

Udo Glatthaar: Da ich meine Verantwortung als erstes für die Bürgerschaft dieser Stadt sehe, bin ich was die Stadt selbst angeht zuversichtlich und was die Entwicklung angeht sogar gelassen. Wenn ich aber über den Tellerrand der Stadt hinaus schaue und sehe, was an Einfluss von außen kommt, dann habe ich große Sorgen. Ich bin aber auch zuversichtlich, dass wir das gemeinsam packen werden. Regional beschäftigt mich der starke Anstieg an Flüchtlingen aus der Ukraine, aber auch aus anderen Ländern.

Meine Stimmung drücken der Krieg, der bei uns bisher als Wirtschaftskrieg spürbar ist, und die Sorge, was noch daraus wird. Putin hat mit seinem Überfall auf die Ukraine etwas Unmenschliches ausgelöst. Er verursacht viel Leid im Nachbarland, hat aber auch die ganze Welt in eine Armutsspirale hineingerissen. Starke Länder wie Deutschland können dies noch mit vielen zusätzlichen Schulden auffangen. Trotzdem spüren wir alle, dass der Geldbeutel immer leichter wird, viel härter trifft es aber die Entwicklungs- und Schwellenländer.

Wir sind auf eine russische Propaganda über Jahrzehnte hinweg hereingefallen und nun teils gelähmt in der großen Angst vor einem möglichen Nuklearkrieg. Ich werfe uns allen die Zögerlichkeit vor, dass wir nicht im Februar schon, mit dem Einmarsch der russischen Truppen in der Ukraine, schneller und entschlossener gehandelt haben. Ich verstehe nicht, warum wir nicht auch schwere Waffen zur Verteidigung der Ukraine liefern. Wir müssen Putin mit klarem Handeln die Stirn bieten, denn er hat schon zu viele rote Linien überschritten und wird damit auch nicht aufhören.

Ja, ich bin überzeugt, wir verteidigen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung für ganz Europa in der Ukraine, auch mit Blick auf die vielen anderen Autokraten und Diktatoren in der Welt, die sich sonst ermutigt fühlen, selbst loszuschlagen.

Meine große Sorge ist, dass wir uns zu schwach geben!

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Wie stark sehen Sie den sozialen Zusammengehalt in Bad Mergentheim durch die ganzen Verwerfungen gefährdet? Und wie groß ist die Gefahr, dass viele Menschen aufgrund eigener Sorgen den Blick von den Nöten anderer – auch Länder – abwenden?

Glatthaar: Die Fragen sind sehr gut, denn die langfristigen Antworten darauf werden entscheiden, wie wir als Gesellschaft aus der Krise herauskommen.

Bei uns ist die Stimmung noch nicht gekippt, aber die Themen stecken in den Köpfen der Menschen. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht in eine Abwärtsspirale begeben. Ich sehe eine starke Angst, dass wir unseren Wohlstand verlieren und Arbeitsplätze wegfallen, und die Sorge um die Bewältigung des täglichen Lebens. Bei einigen platzen zudem die Träume vom Eigenheim und vieles mehr.

Den sozialen Zusammenhalt in unserer Stadt halte ich aber für gegeben, trotz aller Herausforderungen.

Bad Mergentheim hat bislang rund 400 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Was erwartet die Stadt in den nächsten Monaten?

Glatthaar: Die Zahl stimmt und sie ist bemerkenswert. Bislang sehe ich, dass wir mehr zusammengerückt sind und viele ukrainische Flüchtlinge hier Sicherheit gefunden haben. Unsere Systeme funktionieren, das sieht auch die Bevölkerung.

Zur Wahrheit gehört auch, dass wir weitere Flüchtlinge aufnehmen müssen, nicht nur aus der Ukraine, aber wohl nächstes Jahr am Ende unserer Kapazitäten ankommen werden. Es wird auch auf Dauer in Bad Mergentheim nicht mehr ohne sichtbare Ausweitungen gehen, sprich neue Containeranlagen oder anderes. Da kommt eine neue Herausforderung auf uns zu. Ich sehe aber auch mit Freude die große Hilfsbereitschaft in unserer Stadt und denke, dass bislang alle Flüchtlinge gut untergebracht wurden.

Wir gehen derzeit davon aus, dass wir bis zum Jahresende noch 40 Flüchtlinge – zugewiesen vom Landkreis – unterbringen müssen.

Werden bald auch Schulturnhallen für die Flüchtlinge gebraucht?

Glatthaar: Die 40 zusätzlichen Personen in diesem Jahr werden wir mit den vorhandenen Kapazitäten noch alle unterbringen. Wenn wir also heute überlegen, ob und wo wir neue Containeranlagen anschaffen oder städtische Immobilien bereitmachen, dann bezieht sich das auf das kommende Frühjahr, sofern die Flüchtlingszahlen so hoch bleiben oder weiter steigen. Schulen und Vereine brauchen sich jedoch keine Sorgen zu machen. Solange nichts Großes passiert, brauchen wir keine Schulsport-Hallen und erst recht keine Zelte.

Schauen wir auf die Energiekrise und ihre Folgen. Was passiert hier in Bad Mergentheim? Sind Wärmestuben für Notfälle vorgesehen? Wird es ein eigenes Hilfspaket der Stadt für Einzelhandel und Bürger geben, so wie in der Corona-Krise?

Glatthaar: Ja, bevor jemand frieren muss, wenn Strom oder Gas ausfallen, werden wir in der Lage sein, Wärmestuben einzurichten. Bei einem Blackout sind unsere Feuerwehrgerätehäuser im Notfall die ersten Anlaufstellen für Hilfe suchende Bürgerinnen und Bürger.

Wir treffen Vorbereitungen, um auch für schlimmste Fälle gerüstet zu sein, zum Beispiel durch unseren Zugriff auf Dorfgemeinschaftshäuser. In großer Not wird zudem auch die Berufsschulturnhalle in der Seegartenstraße wieder durch den Landkreis umgenutzt werden. Aber ich möchte klar betonen: Wahrscheinlich wird es nicht zu solchen Szenarien kommen, wir werden genug Energie haben, wir bereiten uns zwar vor, wollen den Ball aber flach halten und weder beschwichtigen noch Panik machen.

Zu Ihrer Frage nach einem eigenen Hilfspaket durch die Stadt: In der Corona-Krise konnten wir durch unsere Maßnahmen viel Unterstützung leisten. In der Energiekrise sind zunächst der Bund und das Land gefordert. Diese sind ja auch bereits sehr aktiv. Der Staat muss dafür sorgen, dass die Menschen nicht abrutschen, ihre Energie- und Lebensmittelkosten tragen können.

Lassen Sie mich rückblickend noch einen Satz zur staatlichen Bürokratie und der Corona-Krise sagen: Es empört mich, wenn von den vielen kleinen Firmen, denen in der Corona-Krise mit Finanzspritzen geholfen wurde, jetzt vom Land verlangt wird, diese Hilfe wieder zurückzuzahlen, mit verschiedenen Begründungen. Das kann nicht sein! Nur wenn betrügerisches Handeln vorliegt, ist die Rückforderung keine Frage, ansonsten sollte sie unterbleiben, denn es war eine Hilfe. Das jetzige Vorgehen würgt das Vertrauen vieler in den Staat ab, die weitergemacht haben, um für uns eine Versorgung oder Lebensqualität aufrechtzuerhalten. Hier muss der Staat korrigieren, sonst erleben wir Pleitewellen.

Auf welche städtischen Sparmaßnahmen in der Energiekrise müssen sich die Bürger und die Vereine noch einstellen?

Glatthaar: Die Stadt diskutiert gerade in den Gremien und innerhalb der Verwaltung nötige Energieeinsparmaßnahmen, einige wurden bereits umgesetzt und bekanntgemacht. Der Gemeinderat beschließt wohl bald weitere Schritte.

Ich habe momentan ein bisschen Sorge vor den schrillen Tönen in der Energiespardebatte. Dazu zähle ich zum Beispiel Vereinsmitglieder, die behaupten, bei ihnen ginge jetzt alles kaputt, falls wir aus Spargründen das warme Wasser in Turnhallen abstellen sollten. Wenn ich das höre, habe ich die Sorge, dass Kleinigkeiten zu viel Unmut auslösen.

Grundsätzlich will ich den Bürgern nicht die Freude am Leben nehmen, deswegen bin ich auch gegen radikale Maßnahmen, wie die Straßenlaternen ganz abzuschalten oder gar keine Veranstaltungen oder Weihnachtsmärkte mehr durchzuführen. Da sage ich: Leute, das ist zu brutal. Wenn es im Winter ganz schlimm kommt, muss das Land einheitliche Regeln für alle Städte aufstellen. Ich will hier keinen Wettbewerb der Kommunen entfacht sehen.

Ein beleuchteter Weihnachtsbaum pro Stadt – so lautet der Vorschlag der Deutschen Umwelthilfe – ist Ihnen also zu wenig?

Glatthaar: Ganz klar: Ja. Ich möchte die Dinge gerne reduzieren, aber nicht radikal streichen. Gemeinsam mit der Citygemeinschaft werden wir eine gute Variante für unsere Weihnachtszeit in Bad Mergentheim finden.

Redaktion Stellvertretender Reporter-Chef; hauptsächlich zuständig für die Große Kreisstadt Bad Mergentheim

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